(griech.), im allgemeinen s. v. w. Altertumskunde; im engern Sinne nach modernem Sprachgebrauch
die Wissenschaft, welche sich mit der bildenden Kunst des klassischen Altertums beschäftigt. Als solche bildet sie einen Teil
der gesamten Altertumswissenschaft, welche bestrebt ist, die Kultur und das gesamte Leben des Altertums in seiner Entwickelung
zu verfolgen, und nimmt in derselben ihre besondere Stelle insofern ein, als sie auf den Kunstsinn der
alten Völker gerichtet ist, diesem in seinem Werden und in seiner Entwickelung nachgeht, seine Erzeugnisse nach Form und Inhalt
betrachtet und so die Geschichte der Kunst im Altertum zu gewinnen sucht.
Diesem ihrem Zweck nach ist die Archäologie anderseits ein Teil der allgemeinen Kunstwissenschaft oder Kunstgeschichte, neben
dieser aber dennoch als besondere Wissenschaft berechtigt, weil die antike Kunst für die Gegenwart, wenn auch vielfach unbewußt,
noch wirksam und in mannigfacher Weise bestimmend ist, und weil sie sich ein für alle Zeiten normgebendes Gebiet wählt, in
dem sie als in einem engen, aber sehr geeigneten Kreis
[* 4] alle die Betrachtungen durchführt, welche das
Ideal der Kunstwissenschaft an die Kunst der Menschen heranbringen kann.
Die realen Hilfsmittel der Forschung sind für die Archäologie dieselben wie für die übrige Altertumswissenschaft,
ihre Verwertung ist eine andre. Aus den litterarischen Quellen erhält sie einen reichen Schatz von Kenntnissen über die antike
Kunst; in hervorragenderer Weise aber als alle verwandten Wissenschaften richtet sie ihre Studien auf die
aus dem Altertum erhaltenen Denkmäler selbst. Was nur immer von den Resten des Altertums die Spuren menschlicher Hand
[* 5] und menschlichen
Geistes trägt, die unterirdische Grabkammer nicht weniger als der hoch gebaute Tempel,
[* 6] die unscheinbare Gemme
[* 7] ebenso gut
wie die herrlichen Gebilde der Plastik, unterliegt ihrer Forschung.
Auch die in unzähliger Menge für das tägliche Leben handwerksmäßig hergestellten Gebrauchsgegenstände sind ihr nicht
entlegen, denn auch bei diesen kommt wenigstens noch ein Abglanz der Kunst, ein stilistisches Gepräge zum Vorschein. Betrachtet
aber werden diese Dinge nur aus dem Gesichtspunkt der Kunst; ihre Form vorzugsweise unterliegt der Beurteilung,
ihr Inhalt und ihre Bestimmung nur insofern, als diese für die Form maßgebend war. Die Bedeutung jener
¶
mehr
Altertümer für die mannigfachen Bedürfnisse des Lebens zu untersuchen und zu lehren, überläßt die der Altertumskunde,
diese Kenntnis zu verwerten, der Geschichte. In diesem Sinn hat zuerst O. Jahn 1848 die Archäologie richtig definiert als »die wissenschaftliche
Bearbeitung der durch Masse, Form und Farbe wirkenden Denkmäler der Völker des klassischen Altertums nach
der ihnen eigentümlichen Ausdrucksweise und die darauf wesentlich gegründete Erkenntnis der Entwickelung und des Bestands
der bildenden Kunst im Altertum als eines Gliedes in dem gesamten Kulturleben desselben, oder kurz gefaßt, die wissenschaftliche
Beschäftigung mit der bildenden Kunst des Altertums«.
Das Wort Archäologie wurde schon von den Griechen häufig gebraucht, vorzugsweise aber auf die
Erforschung und Darstellung von vergangenen, für die Gegenwart nicht mehr wirksamen Dingen, namentlich der ältesten Geschichte,
Staatsform und Sitte, angewandt. Mit dem Aufblühen der klassischen Studien im 15. Jahrh. bürgerte sich der Ausdruck Antiquaria
für die Archäologie ein, und noch Lessing handelte in seinen »Antiquarischen Briefen« durchaus von der antiken
Kunst. Studium der Antike nannte Heyne die Archäologie, deren jetziger Name sich erst seit Beginn dieses Jahrhunderts allgemeine Geltung
verschafft hat.
Kritik war vorläufig diesem begeisterten Treiben fremd. Die Frage nach dem Echten, dem Ursprünglichen fiel dieser Generation
noch zusammen mit der Frage nach dem Schönen, dem Verständlichen; man ergänzte die zum Teil verstümmelten Statuen, um sie
zur Dekoration zu gebrauchen, und glaubte nur dem eignen Geist folgen zu dürfen, um das Kunstwerk in seiner
ursprünglichen Gestalt wiederherzustellen. Arbeiten der Gelehrten und Kunsttheoretiker schlossen sich an; Andrea Fulvio, dem
zuerst eine Rekonstruktion des klassischen Altertums aus seinen Überresten als Ziel einer Archäologie vorschwebte, stand an ihrer Spitze.
Zur Herrschaft gelangte dieses litterarische Betreiben der in der folgenden Periode, dem 17. und der ersten
Hälfte des 18. Jahrh. In Rom freilich war zu dieser Zeit die Sammellust noch im Steigen, und fremde Fürsten, wie die KöniginChristine von Schweden
[* 13] (1668-89 in Rom), und Kardinalnepoten, wie Aldobrandini, Borghese, Ludovisi, Barberini, schufen ihre
herrlichen Sammlungen. Der Schwerpunkt
[* 14] der geistigen Arbeit aber ging von Rom auf andre Länder über und ließ dort wegen der
Beschwerlichkeit der eignen Anschauung mehr das gelehrte Interesse und die litterarische Arbeit in den Vordergrund treten, wenn
auch einzelne Männer durch unermüdlichen Sammelfleiß, unterstützt von reichen Geldmitteln und einer glücklichen
Verbindung von Kunstsinn und Gelehrsamkeit, Außerordentliches
leisteten und Vorläufer der großen dritten Periode wurden.
Gori (1691-1757) begründete die etruskische Altertumskunde, Franziskus Junius ließ in Amsterdam
[* 15] das erste umfassende Lehrgebäude
der antiken Kunst erscheinen; vor allen erkannten die Franzosen Peiresc und Spon die Archäologie als selbständige Wissenschaft und förderten
sie durch Reisen, Sammlungen und eifrigen Verkehr mit den gleichzeitigen Gelehrten. Zu einer Auffassung
der Archäologie als einer Geschichte der antiken Kunst gelangte indes erst Joh. Joach. Winckelmann (s. d.), der, herangebildet durch
die Ästhetik seiner Zeit und die griechischen Dichter, seit seinem ersten Aufenthalt in Italien (1755) das Wesen der alten
Kunst voll und richtig erkannte und in seiner »Geschichte der Kunst des Altertums« der Welt darlegte, wie
er auch in seinen »Monumenti antichi inediti« eine neue Erklärung der Kunstwerke wenigstens anbahnte. Er erkannte den Maßstab
[* 16] der Eigentümlichkeit derselben in ihren Stilen und wies eine Aufeinanderfolge derselben nach; die Masse der römischen
Orten entstammenden Antiken erwies er als Kopien und forschte nach den Originalen; den griechischen Mythus bezeichnete er als
die der Poesie wie der bildenden Kunst gemeinsame Quelle.
[* 17]
Letzteres sowie in fast allen europäischen Ländern zahlreich gegründete archäologische Gesellschaften (in Berlin
[* 21] 1841) bilden
die belebenden Mittelpunkte für die Studien der heutigen Archäologen, welche meist auf das gemeinsame Ziel gerichtet sind,
das allmähliche Werden, die Entfaltung, die Blüte,
[* 22] das Vergehen einer so wunderbar klassischen Schöpfung,
wie es die alte Kunst ist, immer tiefer zu erfassen.
Vgl. Brunn, Geschichte der griechischen Künstler (Stuttg. 1853-59, 2 Bde.),
auf litterarischen Quellen beruhend; Overbeck, Geschichte der griechischen Plastik (3. Aufl., Leipz. 1880, 2 Bde.);
Seit dem Beginn des 19. Jahrh. und unter dem Einfluß der Romantik im deutschen Geistesleben bildete sich auch eine christliche
Archäologie aus. Fr. Schlegel war der erste, welcher die Idee einer christlichen Kunst gegenüber der antiken aussprach und bei praktischen
¶
mehr
Künstlern reichen Beifall, geringern bei der protestantischen Theologie fand. Allmählich aber zu immer größerer Anerkennung
gelangt, nimmt jetzt die christliche Archäologie an Regsamkeit und Geschick der Behandlung eine fast ebenbürtige Stellung neben der
klassischen Archäologie ein, durch deren erprobte Methode sie groß geworden ist. In Frankreich war neben Martigny (»Dictionnaire
des antiquités chrétiennes«, 2. Aufl., Par. 1877, u. a.)
Vicomte de Caumont der eifrigste Mittelpunkt dieser Studien, und in Didrons »Annales archéologiques« ist seit 1844 ein eignes
Organ für dieselben geschaffen. In Deutschland
[* 26] gab 1819 Augusti das erste Lehrbuch der christlichen Archäologie heraus.
Besondere Pflege fand dieselbe seitdem durch H. Otte (»Geschichte der christlichen Kunst«, Leipz. 1862;
»Handbuch der christlichen Kunstarchäologie«, 5. Aufl.,
das. 1883-84, 2 Bde.; »ArchäologischesWörterbuch«, 2. Aufl., das. 1877),
die Italienerde' Rossi (»Bulletino di archeologia cristiana«, Rom 1863 ff.) und Garrucci
(»Storia della arte cristiana«, 1884 beendet, 6 Bde.
mit 500 Tafeln),
In England und Amerika,
[* 31] neuerdings auch in Deutschland wendet man den Ausdruck in seiner weitern Bedeutung
insbesondere auf Untersuchungen über die Geschichte, Gebräuche und Überbleibsel von Urvölkern oder ältern Landesbewohnern
an und spricht von einer anthropologischen Archäologie, welche einen wichtigen Teil der Kulturgeschichte (s. d.) ausmacht. In diesem
Sinn wirken in England die schon 1572 gegründete Society of Antiquaries, in Schottland (seit 1780) die Scottish Society of
Antiquaries, in Irland (seit 1786) die RoyalIrish Academy. In Deutschland sind namentlich die Überbleibsel aus vorhistorischen
Kulturperioden (Stein-, Bronze- und Eisenzeit), in England die Kelten, in Amerika die Indianer Gegenstand archäologischer Forschung
in diesem Sinn.