Titel
Kirche
bezeichnet im Gegensatz zu den Tempeln der Alten, den Moscheen der Mohammedaner und den Synagogen der Juden das
der christlichen Gottesverehrung geweihte Gebäude (s. Kirchenbaukunst), dann bald die Gemeinschaft der christlichen
Gläubigen im Gegensatz zu andern Religionsgenossenschaften, bald den äußerlichen Organismus derselben, wie er sich in bestimmten
Gesellschaftsformen, Kultus und Verfassung darstellt, bald ganz allgemein die ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform
selbst, in welchem Sinn auch von einer jüdischen, mohammedanischen etc. Kirche
gesprochen werden kann,
bald auch wieder die zum Christentum sich bekennende Bevölkerung
[* 3] eines einzelnen Landes oder Staats (Landeskirche)
in Hinsicht auf ihre besondere Verfassung etc., bald endlich eine einzelne Partei der Christen, sofern sie als eine besondere,
durch Glaubenssymbole und Rechte, auch wohl Zeremonien von andern sich unterscheidende größere Religionsgesellschaft angesehen
wird, so römisch-katholische, griechisch-katholische, lutherische, reformierte Kirche
im Gegensatz zu Sekte.
Auch die Etymologie des Wortes ist streitig, wenngleich jetzt die meisten Gelehrten den Ursprung desselben auf das griechische
Kyriakón (Herrenhaus, Haus), in welchem sich die Gemeinde des Herrn zu seinem Dienst versammelt, zurückführen. Da sonach weder
Sprachgebrauch noch Etymologie zu einem irgend sichern Resultat verhelfen, so hilft nur eine teils
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begriffliche, teils historische Ableitung zur Orientierung in dem Gewirr von Ansichten und Meinungen, den das schon nach Luthers Urteil »blinde, undeutliche« Wort veranlaßt hat.
I. Lehre von der Kirche.
Wenn die Religion ein wesentliches Moment in dem geistigen Gesamtleben der Menschheit ist, wie sie sich denn in dem bisherigen
Verlauf der Geschichte als umfassendstes Thema derselben erwiesen hat: so wird es auch als eine dem Menschengeist
innewohnende allgemeine Notwendigkeit bezeichnet werden müssen, daß er sich behufs Lösung dieses Teils seiner Aufgabe eine
eigne, also ausschließlich religiöse Gemeinschaftsform schafft, im Unterschied zu politischen, sozialen, wissenschaftlichen,
künstlerischen Gemeinschaftsformen. In diesem rein idealen Sinn ist die Kirche
der Organismus des religiösen
Lebens der Menschheit überhaupt.
Wirklich vorhanden ist diese Ecclesia (s. d.) immer nur in einer Gemeinde, wie Staat und Volk immer nur in einer Nationalität
mit bestimmter Staatsform. Während aber in der vorchristlichen Zeit das religiöse und das politische Leben der Menschheit
ununterscheidbar zusammenfallen und ineinander aufgehen, hat das Christentum eine über die nationalen
Gegensätze übergreifende, auf geistigen Zusammenschluß der Menschheit abzweckende, rein religiöse Gemeinschaft eingeführt,
und es ist daher kein Zufall, daß dem Wort Kirche
trotz seiner allgemeinen Bedeutung doch eine spezifische Beziehung auf die christliche Religion
anhaftet (s. Christentum).
Der leitende Gedanke bei der theoretischen Durchbildung des Begriffs der Kirche
ist der eines gesellschaftlichen
Wunders, welches dem Wunder der Person Christi als des menschgewordenen Gottessohns entspricht und seine Fortsetzung darstellt.
In diesem Sinn führen die Briefe an die Epheser und Kolosser das sonst von Paulus gebrauchte Bild vom Leib, darin Christus
der Geist ist, dahin weiter, daß die als eine die irdische und überirdische Welt umfassende Gemeinschaft der Geister erscheint,
wovon der im Himmel
[* 5] erhöhte Christus das Haupt ist.
Damit war die Vorstellung eines sinnlich-übersinnlichen Organismus gegeben, welcher sein eigentliches Wesen in der überirdischen
Welt, seine irdische Erscheinung aber in den einzelnen Gemeinden und in der Gesamtheit aller dieser einzelnen
Gemeinden hat. Dies das wesentliche und stehende Schema, in welches dann alle christlichen Religionsgenossenschaften und Lehrbegriffe
ihre eigentümlichen Auffassungen vom Wesen der Kirche
hineingezeichnet haben, indem sie bald mehr das eine, bald mehr das andre
Moment hervorheben oder ihre Sonderstellung durch die Eigentümlichkeit der Verbindung beider Momente bezeichnen.
Dieselbe als ein Verhältnis fast durchgängiger Einerleiheit aufzufassen, ist von jeher der hervorstechende Charakterzug
des Katholizismus (s. d.) gewesen. Dieser versteht unter Kirche
unmittelbar
die irdische Erscheinung selbst, die mit wunderbaren Kräften aus der übersinnlichen Welt ausgestattete, angeblich von Christus
selbst gestiftete Heilsanstalt, deren wesentliche Organe die Bischöfe als Nachfolger der Apostel sind.
Die Kirche
ist ihm die christliche Gesellschaft schlechthin.
Daß außer ihr, die am liebsten unter dem Bild einer Mutter oder einer Arche Noah, eines Schiffleins Christi gedacht wurde, keine
Rettung zu finden, in ihr aber die Fülle des Heils sei, wurde sowohl den Heiden als den Häretikern gegenüber
einstimmig behauptet. Cyprian und Augustin sind die Hauptschöpfer dieses Kirche
nbegriffs, auf dessen Ausbildung namentlich
das Aufblühen der Kirche
unter dem Schutz des Staats sowie der Sieg des Augustinismus über die Lehre
[* 6] der Pelagianer, Manichäer und
Donatisten einwirkten. Im Streit mit den letztern erkannte Augustin in der Kirche
die Gesamtheit aller Getauften
und beförderte durch kecke Vereinerleiung des in der Wirklichkeit gegebenen Organismus mit dem Reiche Gottes die katholische
Weltanschauung, welche, von der Theologie der römischen Bischöfe auf den dortigen Primat ausgedehnt, die Hierarchie des Mittelalters
vorbereiten und vollenden half.
Das geschichtliche Gewächs des den Weltstaat sich dienstbar machenden und die Nationen erziehenden Katholizismus wurde hier gleichsam mit Haut [* 7] und Haaren zum Glaubensgegenstand erhoben. Dem Katholizismus ist die Kirche die unmittelbar gegenwärtige Erscheinung der überirdischen Ordnung Gottes, begabt mit sichtbarem Oberhaupt, unfehlbarer Lehre, wunderbaren Gnadenmitteln, über alle sonstigen Ordnungen des Menschenlebens so erhaben wie der Geist über das Fleisch, aus himmlischen Regionen herabgesenkt auf die Erde, um möglichst viele Menschen auf Erden kraft der Sakramente zu retten und in die übersinnliche Welt emporzuheben. In diesem vom römischen Katechismus aufgenommenen Unterschied von streitender und triumphierender Kirche begegnet uns die letzte schwache Spur einer Unterscheidung von Wirklichkeit und Ideal.
Aus der notwendigen Unterscheidung im Gegenteil eine Trennung zu machen, die ideale Gemeinschaft loszureißen von der empirischen Kirche, war der gemeinsame Gedanke aller reformatorischen, aber auch aller schwärmerisch aufgeregten Sekten des Mittelalters. Der Gegensatz zwischen äußerlicher und innerlicher Auffassung des Begriffs der Kirche trat in dem Kampf zwischen Katholizismus und Protestantismus in der Weise hervor, daß nach römisch-katholischer Ansicht die in der sichtbaren, unter dem Papst als ihrem Oberhaupt vereinigten Gemeinschaft der auf ein äußerliches Bekenntnis und auf einen und denselben Gebrauch der Sakramente hin Getauften, also in der empirischen rechtlichen Abgrenzung der Glaubensgemeinschaft, nach protestantischer Ansicht aber vornehmlich in der »Gemeinschaft der Heiligen« (s. d.) besteht, an die, als an die der Erlösung durch Christus entsprechende Gesamtwirkung, man glaubt, die man aber nicht sieht.
Nach der einen Ansicht gelangt der einzelne durch die Kirche zu Christus, nach der andern durch Christus zur Kirche. Doch lenkt auch die protestantische Dogmatik vom absoluten Idealismus ein, indem sie unsichtbare und sichtbare Kirche unterscheidet und beide im Zusammenhang miteinander hält durch die Lehre von den Merkmalen der wahren Kirche. Als solche gelten, zumal dem Luthertum, reine Lehre und stiftungsgemäße Sakramentsverwaltung. Da immer wird »Gemeinschaft der Heiligen« stetig erzeugt und die unsichtbare Kirche am meisten gefördert, wo in einer sichtbaren das Wort Gottes unverfälscht gelehrt, die Sakramente einsetzungsgemäß verwaltet werden, d. h. die lutherische Kirche erschien als der verhältnismäßig adäquateste Ausdruck der Idee der Kirche. Die reformierte Lehre unterscheidet sich davon nur durch Ausnahme ethischer Merkmale und disziplinarer Bestimmungen. Gegen die Anknüpfungspunkte, welche dieser protestantische Kirchenbegriff im katholischen fand, bildeten zunächst wieder die Mystiker und Enthusiasten in ähnlicher Weise wie die mittelalterlichen Sekten eine fortwährende Opposition. Anderseits offenbarte allmählich der Protestantismus eine grundsatzmäßig auf Umsetzung des Christentums aus der ¶
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kirchlichen in die weltlichen Form gerichtete Tendenz; die Religion selbst fing an, sich von der Theologie zu emanzipieren, und es fiel der Kirche immer schwerer, ein sicheres und klares Bewußtsein von ihrer Existenz in sich zu tragen. Die Periode der Aufklärung sah geradezu in jeder Selbständigkeit des kirchlichen Lebens dem Staat gegenüber etwas Hierarchisches. Dieser Mangel an allgemein kirchlichem Leben aber bewirkte, daß in den einzelnen der Gemeinschaftstrieb sich um so stärker regte, und so entstanden Kirchlein in der Kirche, z. B. die Brüdergemeinde, während andre, z. B. Swedenborg, an der Gegenwart verzweifelnd, die Kirche eines neuen Jerusalem [* 9] in ihre idealvisionäre Welt hineinbauten.
Die Reaktion des 19. Jahrh. aber belebte sofort auch wieder den Kirchenbegriff in allen christlichen Denominationen, und so hat namentlich auch die neuere protestantische Theologie seit Schleiermacher das Dogma von der Kirche zu bearbeiten und es selbst über die noch unvollkommenen Anfänge im Reformationszeitalter hinauszuführen versucht. Mit der Ausbildung des Dogmas hält auch die Ausbildung des Kirchenrechts und der Kirchenverfassung gleichen Schritt.
II. Geschichtliche Entwickelung der christlichen Kirche.
(Vgl. hierzu die Beilage »Zeittafel der Kirchengeschichte«)
Erste Periode: bis auf Konstantin den Großen.
Eine richtige Würdigung des kirchengeschichtlichen Prozesses setzt vor allem Einsicht in die religionsgeschichtlichen Thatsachen voraus, daß die Wirkungen der schöpferischen Persönlichkeiten, nach welchen die großen Epochen der religiösen Entwickelung benannt zu werden pflegen, nur sehr teilweise zusammenfallen mit dem, was auf ihren Namen hin gethan und gewirkt, gesprochen und gedacht wird. Auch die christliche Kirchengeschichte stellt nichts weniger als geradlinige Entwickelung von Jesus oder von Paulus aus dar, sondern einen der kompliziertesten Prozesse, welche wir kennen.
Die christliche Kirche ist im eminenten Sinn des Wortes »das Ding mit den vielen Ursachen«, davon die Philosophie weiß, und es bedarf einer nicht eben alltäglichen Vorurteilslosigkeit und Unbefangenheit, um jedem der hier mitwirkenden Faktoren das Seine zu geben. Das Evangelium Jesu und die gemeinsame apostolische Verkündigung kommt hier allerdings in erster Linie, darum aber nichts weniger als in einziger Weise in Betracht. Denn mit dieser Predigt vom Reiche Gottes (s. d.) ist noch lange nicht dasjenige gemeint gewesen oder gar ins Leben gerufen worden, was man Kirche nennt. Im Gegenteil war es der Grundirrtum einer dogmatisch bedingten Geschichtsdarstellung und zwar ebenso auf protestantischer wie auf katholischer Seite, daß die Entstehung der Kirche mit der Entstehung des Christentums (s. d.) gegeben gewesen sei.
Die christlichen Gemeinden waren vielmehr ursprünglich lediglich Verbände zu einem heiligen Leben auf Grund einer gemeinsamen Hoffnung und Sehnsucht nach demnächstiger Weltvollendung durch den wiederkehrenden Messias. Von seinen Sprüchen, die zu kühnem Gottvertrauen und alles aufopfernder Bruderliebe mahnten, von seinen Gleichnissen, die das leise Nahen einer göttlichen Lebensordnung, eines »Himmelreichs«, abbildeten, von seinen Weissagungen, welche demselben Reich ein »Kommen mit Macht« noch innerhalb der Lebzeiten der Zuhörer in Aussicht stellten, zehrten diese Gemeinschaften.
Die eigne Produktionskraft aber that sich Genüge und wirkte sich aus in einem kräftig pulsierenden Leben des Enthusiasmus, der Inspiration, der Prophetie, welches sich auch durch die grundsatzmäßige Gebundenheit an die Autorität des Alten Testaments nicht sehr beengt fühlte. Die ersten Christengemeinden waren Gemeinschaften von Inspirierten mit beweglichen, mannigfaltig nüancierten Verfassungsformen, die bald mehr an die jüdischen Synagogenverbände, bald mehr an die griechischen Kultvereine und römischen Kollegien erinnerten. Das Gemeindeleben selbst trug ein hervorstechend sozialistisches, aber durch und durch religiös bedingtes Gepräge; der heidnischen Kulturwelt stand es in Erwartung eines baldigen Weltendes durchaus ablehnend gegenüber.
Erst etwa seit Mitte des 2. Jahrh. sehen wir die zielbewußtern, von praktischen Trieben beseelten und allmählich vom Bewußtsein einer Weltmission durchdrungenen unter diesen Gemeinden im römischen Weltreich allmählich sich zusammenfinden in jener nach außen immer weiter reichenden, nach innen immer fester gefügten Konföderation, welche sich die »Großkirche«, die »allgemeine«, die »katholische Kirche« (s. d.) nannte. In der Mitte des 3. Jahrh. steht dieselbe wesentlich ausgewachsen und fertig vor uns.
Aber wie ganz andre Züge weist das Christentum nunmehr in dieser neuen Gestalt auf, in welcher die ursprüngliche Abgeschlossenheit gegen die Welt, wenn nicht in der Theorie, so doch faktisch bereits aufgegeben war! Was uns hier entgegentritt, das ist ein mit festen, hierarchisch gegliederten Verfassungsformen ausgestattetes Gemeinwesen, eine Kultusanstalt mit Opfer und Priestertum, neben der alttestamentlichen jetzt auch eine neutestamentliche Offenbarungsurkunde, ein nicht bloß von Propheten, sondern auch von Aposteln geschriebener Kanon (s. d.), ein bereits in Taufbekenntnis und Glaubensregel formulierter Glaube, eine eigentliche Theologie (s. d.), und in dem allen ist zumeist griechisch-römischer Geist spürbar, nicht etwa jüdischer.
Der hellenische Geist ist in der Abwandlung, die er damals erfahren hatte, zu allen Poren des neuen Gemeinwesens eingeströmt, der ursprüngliche Enthusiasmus, die aus eigner Fülle schöpfende apokalyptische Begeisterung ist verduftet. Eine Kirche ist geworden, welche nicht mehr lediglich eine Gemeinschaft der Hoffnung und der Zucht, des Glaubens und Liebens, sondern vor allem einen Staat im Staate darstellt, nominell gegründet auf das Evangelium Jesu, thatsächlich eine ganz eigentümliche Organisation religiös empfindender, von gemeinsamen Idealen zehrender Massen, die sich berufen wußten, in der großen Konkurrenz der verschiedensten Religionsweisen, Kulte, Mysterien und Schulen, welche sich um den geistigen Besitz des römisch-griechischen Weltreichs stritten, die Palme [* 10] davonzutragen.
Demnach repräsentierte die »Großkirche« eine hierarchische Heilvermittelungsanstalt für die Massen, und die sittlichen Anforderungen an ihre einzelnen Mitglieder erlitten notwendigerweise eine immer größere Einbuße an Idealität. Aus den Gemeinden des Urchristentums schloß eine Todsünde aus; nur Aspiranten des Himmelreichs kamen in Betracht, nicht Weltbürger, Staatsdiener, Gelehrte, Industrielle, Künstler, Soldaten etc. In der Gemeinschaft der katholischen Kirche dagegen konnte jeder seine Stelle finden, sofern er nur sich gewissen Ordnungen und Regeln unterwarf, gewisse Bekenntnisse anerkannte, gewisse Übungen praktizierte. Individuelle Inspiration, Prophetie auf eigne Hand [* 11] war nunmehr verboten, wie auch Kundgebungen einer allzu unbedingten Hingebung dem Mißtrauen verfielen, ohne daß darum die höchsten Güter des Christentums geradezu unzugänglich geblieben wären. Die Kirche ist das für eine Rolle in ¶