Alpenstraßen
und Alpenbahnen. Der ältere Verkehr in den Alpen suchte sich die gangbarsten Joche auf, hohe unwegsame Ketten oft auf langen Umwegen umgehend, den Längsthälern folgend, bis endlich ein günstig gelegenes Querthal den Zutritt zum Hauptkamm des Gebirges und ein niedriges Joch den Übergang über denselben gestattete. Die Alpenpfade waren rauh, die Überschreitung derselben mit Beschwerde und Gefahr verbunden; aber trotzdem wurden die Alpen vom Altertum bis auf unsere Zeit immer häufiger überschritten.
Mit der Frequenz der Alpenwege wuchs auch ihre Wegsamkeit. Die Pfade wurden verbreitert und gepflastert, wilde Bergwasser überbrückt, Felsen durchbohrt, Hospize und Schutzhäuser errichtet. So entstand nach und nach ein weitmaschiges Netz von Saumwegen zur Vermittelung des militärischen und des Handelsverkehrs zwischen Italien und den Ländern am Außenrande des Alpenbogens. Die bekanntesten Alpenstraßen des Altertums und Mittelalters waren: der Colle di Tenda, Mont-Genèvre, Mont-Cenis, der Kleine und der Große St. Bernhard, der Simplon, St. Gotthard, der übrigens merkwürdigerweise den Römern unbekannt blieb, der Bernhardin, Splügen, Septimer, Julier mit der Maloja, das Reschenscheideck mit dem Wormserjoch, der Brenner mit seinen Seitenstraßen durch das Puster-, Ampezzo-, Tagliamento- und Brentathal, der Paß von Saifnitz und der Predil; auch über den Korntauern, den Radstädter- und Rottenmanner Tauern führten röm. Straßen.
Von diesen Alpenstraßen sind jetzt einzelne, wie der Septimer, der Korntauern und die Sölkerscharte, verödet und kommen, wie fast alle Saumwege, nur noch für den örtlichen Kleinverkehr in Betracht; andere sind fahrbar gemacht, noch andere überschient worden. Bis ins 19. Jahrh. war mit Ausnahme des Brenner, der 1772, des Col di Tenda, der 1782, und des Arlberg, der 1786 notdürftig für den Wagenverkehr hergestellt wurde, keiner dieser Straßenzüge fahrbar; die Wagen mußten am Fuße des Gebirges zerlegt, stückweise auf Saumtieren hinübergeschleppt und auf der andern Seite wieder zusammengesetzt werden.
Den ersten Anstoß zur Entwicklung des Netzes fahrbarer Alpenstraßen gaben die ital. Feldzüge Napoleons I., der 1800-6 die Simplonstraße, 1802 die Straße über den Mont-Genevre und 1803-10 die über den Mont-Cenis bauen ließ. Um nicht durch diese Straßen vom ital. Verkehr abgeschnitten zu werden, bauten nun auch Österreich und die mittlern und östl. Kantone der Schweiz fahrbare Alpenstraßen, und diese drängten nach und nach die alten Saumwege in gleicher Weise in den Hintergrund, wie sie selbst jetzt durch die Alpenbahnen zurückgestellt werden.
Für den Bau solcher Alpenstraßen bieten die West- und Mittelalpen gegenüber den Ostalpen den Vorteil, daß die langen, tief eingeschnittenen Flußthäler meist unmittelbaren Zutritt zum Hauptkamm gestatten, so daß die Überwindung eines Jochs in der Regel genügt, um quer durch das Gebirge vom Nord- zum Südrand zu gelangen. In den Ostalpen ist hierfür die Überschreitung mehrerer Pässe notwendig, aber dafür gestattet in ihnen die Niedrigkeit und Zugänglichkeit der Joche eine weit reichere Entwicklung des Eisenbahnnetzes.
Fahrstraßen und Eisenbahnen vermitteln jetzt fast einzig den Großverkehr der Alpen; von den Saumwegen kommen hierfür nur noch wenige, wie etwa der Große St. Bernhard, einigermaßen in Betracht. Ein großer Schienengürtel, durch das Rhônethal, die schweiz., bayr. und österr. Hochebene, das Westungar. Hügelland und die Poebene gelegt, umzieht in weitem Kreise das Alpengebiet. Der äußere Abschnitt dieses Ringes wird mit dem innern verbunden im W. durch die Cornichebahn, die die Alpen umgebend längs der Mittelmeerküste von Marseille nach Genua führt und sich durch die Linien Savona-Coni-Turin und Genua-Alessandria an das Bahnnetz der Poebene anschließt; im O. durch die Linie Triest-Fiume-Agram.
Die Hauptpunkte dieses Ringes werden durch zahlreiche Querstraßen und Bahnen verknüpft, die zum Teil durch Längslinien miteinander verbunden sind. Die wichtigsten dieser Querübergänge sind: die Straße über den Col di Tenda (1890 m), die bei Mentone von der Cornichebahn abzweigt und bei Cuneo die Eisenbahn nach Turin erreicht;
die Straßen über den Col della Maddalena (auch Col de l'Argentière oder Col de Larche genannt, 1995 m) und über den Mont-Genèvre (Eisenbahn
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geplant, 1854 m), die bei Gap an das französische, bei Cuneo resp. Oulx an das oberital. Bahnnetz sich anschließen; die Mont-Cenis-Bahn (Lyon-Chambéry-Modane-Turin), die durch die Zweiglinie Culoz-Genf mit den schweiz. Bahnen verbunden ist, und die Straße über den kleinen St. Bernhard, die von Albertville durch das Thal der Isère hinaufsteigt, sich bei Aosta im Thale der Dora Baltea mit der Straße und dem Saumwege über den Großen St. Bernhard (Martigny-Aosta) verbindet und bei Ivrea das oberital.
Bahnnetz erreicht. Als Längslinie verbindet die fünf letztgenannten Pässe die Eisenbahn, die von Avignon durch das Thal der Durance nach Gap und über den Col de la Coix-Haute (1166 m) nach Grenoble führt und dann der Isère nach, die Mont-Cenis-Linie kreuzend, nach Albertville hinaufsteigt; von hier aus führt eine Poststraße über Mégève (1121 m) nach Sallanches im Thal der Arve, wo sie sich teilt, um einerseits flußabwärts nach Genf, andererseits flußaufwärts nach Camonix und über den fahrbaren Paß der Tête-noire nach Martigny im Rhônethal zu gelangen.
Weiter im Osten bis zum Brenner werden die fahrbaren Straßenzüge etwas zahlreicher, während bezüglich der Bahnen ungefähr das gleiche Verhältnis bestehen bleibt. Vom Genfer See aus führt, die Freiburger Alpen umgehend, die Simplonbahn durch das Rhônethal hinauf bis Brieg, wo sich an dieselbe die Simplonstraße anschließt, die bei Arona das ital. Bahnnetz erreicht. Die Fortsetzung der Bahn von Brieg nach Arona ist geplant. Die Gotthardstraße führt vom Vierwaldstätter See durch Uri und Tessin zum Lago Maggiore. In dieselbe münden bei Biasca vom Vorderrheinthal her die Lukmanierstraße und bei Arbedo die Straße über den Bernhardin; südlich zweigt die Straße über den Monte-Cenere, Bellinzona-Lugano, ab. Die Gotthardbahn und die Monte-Cenere-Bahn wurden 1882 dem Betrieb übergeben. Am reichsten entwickelt ist das Straßennetz des schweiz. Kantons Graubünden. Von der Bahnlinie, die vom Züricher und Bodensee her, die östl. Flanke der Glarner Alpen umgebend, im bündnerischen Rheinthal bis Chur vordringt, zweigen sich drei Querstraßenzüge ab: von Malans führt eine Straße durch das Prättigau in das Davos und über den Flüelapaß (2390 m) in das Engadin, übersteigt dann den Ofenpaß (2155 m), um ins Münsterthal zu gelangen, und mündet bei Glurns in die große Straße des Reschenscheideck.
Von Chur führt südlich die «obere Straße» über die Lenzerheide (1551 m) und den Julier ins Engadin und über die Maloja nach Chiavenna; die untere Straße zieht sich von Chur rheinwärts bis Reichenau, wendet sich dann südlich ins Thal des Hinterrheins und erreicht über den Splügen ebenfalls Chiavenna, von wo sich eine Bahn zum Comer See und zur Station Lecco des oberital. Bahnnetzes hinunterzieht. Durch die Schynstraße und die Davoserstraße werden diese drei Straßenzüge miteinander verbunden; von der letztern zweigt bei Alveneu die Albulastraße ab, die über das gleichnamige Joch das Engadin erreicht und sich über den Berninapaß nach Tirano im Veltlin fortsetzt.
Die westlichste Verkehrsstraße Österreichs wird durch die Arlbergstraße und die 1884 eröffnete Arlbergbahn von Bludenz nach dem Innthal, und von der Straße über das Reschenscheideck gebildet, die sich bei Spondinig teilt, um einerseits durch das Etschthal abwärts Bozen an der Brennerbahn, andererseits über das Stilfser Joch Bormio und das Veltlin zu erreichen. Diese Gruppe von Querstraßen wird von drei großen Längsstraßenzügen gekreuzt. Von der Endstation Brieg der Simplonbahn führt eine Straße durch das Oberwallis und über die Furka ins Urserenthal und über die Oberalp (2052 m) in das Rheinthal, um sich bei Chur wieder an das Bahnnetz anzuschließen.
Der mittlere Längsstraßenzug wird vom Innthal vorgezeichnet. Im W. lehnt er sich mit der Malojastraße bei Chiavenna an die Splügenstraße an, führt dann das Engadin abwärts, erreicht bei Finstermünz das tirolische Oberinnthal und bei Landeck die Arlbergbahn. Von N. aus dem bayr. Oberlande münden in die Straße des Innthals die drei Poststraßen über den Fernpaß (1250 m) aus dem Lechthale (Füssen-Telfs, Eisenbahn geplant), über das Seefeld (1176 m) aus dem Loisachthale (Partenkirchen-Zirl) und über den Achenseepaß (925 m) aus dem Weißachthale (Tegernsee-Jenbach). Der südlichste Straßenzug endlich zweigt bei Colico von der Splügenroute ab und zieht sich durch das Veltlin aufwärts, überschreitet den Apricapaß (1234 m) und gelangt von dem Val Camonica über die Tonalestraße in das Val di Sol und Val di Non und hinaus nach San Michele an der Brennerbahn.
Die Grenze zwischen den Rhätischen Alpen und den Tauern wird vom Brenner gebildet, über dessen Joch Straße und Bahn das Inngebiet mit dem Etschgebiet verbinden. Im N. schließt die Bahn bei Rosenheim, im S. bei Verona an den Schienengürtel rings um die Alpen, östlich vom Brenner bis zu den Quellen der Mur hindert die gewaltige Bergmauer der Hohen Tauern die unmittelbare Fahrverbindung quer durch das Alpensystem; erst weiter im Osten gestattet die Zugänglichkeit und geringe Höhe der Joche wieder die Entwicklung des Straßennetzes, zugleich aber auch eine so reiche Entfaltung des Bahnnetzes, daß die Fahrstraßen ihre ehemalige Bedeutung großenteils eingebüßt haben.
Die wichtigsten Verkehrswege östlich vom Brenner sind die folgenden: von Salzburg führt die Eisenbahn durch das Salzachthal und Fritzthal über Eben (856 m) ins Ennsthal, wo bei Radstadt der Straßenzug über den Radstädter Tauern (1738 m) ins Murthal und über den Katschberg (1641 m) ins Drauthal abzweigt, welches er bei der Station Spittal der Bahnlinie Marburg-Franzensfeste erreicht; die südl. Fortsetzung dieser Route wird durch die Poststraße gebildet, die bei Tarvis die Bahn verläßt, um über den Predil (1162 m) durch die Flitscherklause und das Isonzothal Görz zu erreichen.
Ein zweiter Straßenzug führt von Steyr an der Enns (bis Grünburg Bahn) durch das Thal des Steyrflusses, gelangt über den Pyhrnpaß (945 m) ins Thal der Enns, über den Rottenmanner Tauern (1265 m) nach Judenburg im Murthal und über den Obdachersattel ins Lavantthal, wo er bei Wolfsberg die Bahn wieder erreicht; als Fortsetzung dieses Wegs mag die Poststraße über den Loibl (1370 m) gelten, die von Klagenfurt über die Karawanken ins Thal der Save führt. Die dritte Verkehrsstraße wird von einer Eisenbahn gebildet, die im Zickzack die Alpen durchschneidend, bei St. Valentin einerseits und bei Amstetten andererseits von der Linie Wien-Salzburg südlich ins Ennsthal abzweigt, wo sie das Gesäuse, den wildschönen Durchbruch der Enns durch die Österreichischen Kalkalpen berührt; bei Selzthal wendet sie sich nach SO. und erreicht durch das Palten- und Liesingthal St. Michael an der Mur,
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durch deren Thal sie ansteigt, um von Scheifling aus über den Sattel von Neumarkt (888 m) das Glanthal und sich gabelnd einerseits Villach an der Drau, andererseits Klagenfurt zu erreichen. Von Villach aus führt die Pontebbabahn über Tarvis, wo die Linie durch das Savethal nach Laibach abzweigt, dann über Pontafel und das ital. Pontebba und durch das Fellathal nach Udine, wo sie sich an die Linie Venedig-Triest anschließt. Die vierte Verkehrslinie ist die Semmeringbahn von Wien nach Graz, Laibach und Triest. Durch die Zweigbahn von Bruck an der Mur nach St. Michael stehen die beiden Bahnsysteme in unmittelbarer Verbindung. - Als Längslinie ist zu verzeichnen im N. der Hohen Tauernkette die Eisenbahn, die bei Wörgl von der Linie Rosenheim-Innsbruck abzweigt, über Kitzbühel und Hochfilzen (969 m) ins Unter-Pinzgau und Pongau führt und mit der Salzburger Linie vereinigt Radstadt erreicht, dann das Ennsthal hinabführt und bei Selzthal in die Bahn durch das Gesäuse einmündet.
Von N. her schließen sich als Zufahrtslinien die Straße von Salzburg über Reichenhall und den Steinpaß nach Saalfelden an der Saalach und die Eisenbahn Attnang-Gmunden-Ischl-Aussee-Selzthal an; von S. her die Poststraße über den Thurnpaß (1275 m) vom Ober-Pinzgau nach Kitzbühel. Im S. der Hohen Tauern zweigt die Pusterthalbahn bei der Franzensfeste von der Brennerlinie ab, überschreitet das Toblacher Feld (1204 m) und zieht sich der Drau und dem Wörther See nach über Lienz, Spital, Villach und Klagenfurt nach Marburg an der Drau, wo sie die Semmeringbahn erreicht.
Bei Toblach mündet in sie von S. her aus dem Ampezzothal die prächtige Strada d'Allemagna. Neben diesen Hauptverkehrswegen der Ostalpen bestehen in dem überall zugänglichen, von tiefen Flußthälern durchfurchten Gebiete noch eine Menge von Straßen von kaum geringerer Bedeutung, und namentlich von der Semmeringbahn aus steigen mehrere Zweigbahnen durch die westlich sich öffnenden Seitenthäler hinauf, während nach O. die Linien Graz-Steinamanger, Pragerhof-Kanizsa und Steinbrücken-Agram das Verkehrsnetz der Ostalpen mit dem ungar. Bahnsystem verknüpfen. Zahlreicher sind die Fahrstraßen und Eisenbahnen in den nördl. und südl. Alpenvorländern, so in der schweiz. und bayr. Hochebene, im niederösterr. Hügellande und der Poebene, wo fast jedes größere Flußthal eine Poststraße oder einen Schienenweg besitzt, die bis zum Alpenrande führen.
Folgendes ist eine Übersicht aller fahrbaren Pässe über die Hauptwasserscheide der Alpen in ihrer Reihenfolge von West nach Ost: Col di Tenda (1890 m), Col de Larche (1995 m), Mont-Genèvre (1854 m), Mont-Cenis (2084 m, der Tunnel der Mout-Cenis-Bahn geht in 1295 m Höhe unter dem Col de Frejus [2528 m] durch), Kleiner St. Bernhard (2157 m), Simplon (2010 m), St. Gotthard (2114 m, Eisenbahntunnel in 1154 m Höhe), Lukmanier (1917 m), Bernhardin (2063 m), Splügen (2117 m), Maloja (1811 m), Berninapaß (2330 m), Ofenpaß (2155 m), Reschenscheideck (1495 m), Brenner (1302 m, überschient), Radstädter Tauern (1738 m), Rottenmanner Tauern (1265 m), Schoberpaß (849 m, überschient), Prebichl (1227 m, Eisenbahntunnel), Seeberg (1254 m), Niederalpel (1220 m), Hühnerreith (1144 m), Semmering (980 m, Eisenbahntunnel in 897 m Höhe).