Algier
(franz. Alger, span. Argel, arab. Al Dschesair, d. h. »die Inseln«, das alte Icosium, im Mittelalter bei den Arabern Mesrana genannt), die ehemalige Residenz des mächtigsten der Barbareskenfürsten und als solche lange Zeit der Schrecken aller Seefahrer im Mittelmeer, jetzt Hauptstadt und zugleich erster Kriegs- und Handelsplatz der franz. Kolonie Algerien, [* 3] liegt hart am Mittelmeer, an der Westseite eines geräumigen, halbmondförmig gegen S. eingetieften, herrlichen Golfs, dessen Ostspitze das Kap Matifu bildet, und an dem ins Meer abfallenden nördlichen Abhang eines niedrigen Gebirgszugs, des Sabel, der im Buzaréa (etwa 7 km nordwestlich von der Stadt) zu 402 m Höhe ansteigt und mit blühenden Ortschaften, reizenden Villen und lachenden Gärten übersäet ist.
Die Stadt bildet ein ziemlich gleichseitiges Dreieck, [* 4] indem sie am Meer ihre breiteste Basis hat, dann, immer schmäler werdend, an dem Hügel hinaufsteigt und auf der Höhe mit der Kasba, der alten Burg der Deis, endet. Sie besteht aus zwei sehr verschiedenen Teilen, einem europäischen und einem maurischen Quartier. Ersteres breitet sich am Meer aus, hat breite Straßen und elegante Gebäude und ist Sitz des Handels und Fremdenverkehrs; letzteres klimmt die Höhe hinan und besteht aus nur 2-2½ m breiten, gewundenen, zum Teil mit Treppen [* 5] versehenen Gassen mit fensterlosen Häuserfronten, wie sie jeder orientalischen Stadt eigentümlich sind.
Vor der europäischen Stadt breitet sich der große Hafen aus mit einem Flächenraum von 95 Hektar, dessen erster Gründer Chaireddin Barbarossa war, der 1525 vier an der Küste liegende Inseln (daher der Name »Al Dschesair«) mit dem Festland verband. In seiner jetzigen Gestalt wurde der Hafen 1836 von französischen Ingenieuren angelegt und unter Napoleon III. durch zwei Steindämme von 700 und 1235 m Länge gegen NO., O. und S. geschützt. Ein mittlerer Damm von 210 m Länge trennt den nördlichen Handelshafen von dem südlichen Kriegshafen.
Beide sind durchschnittlich 12 m tief, mit Docks und Bassins versehen und zur Aufnahme von 40 Kriegs- und 300 Handelsschiffen ausreichend. Militärisch geschützt werden Stadt und Hafen durch eine 10 m hohe Mauer und ein ausgedehntes System von Forts und Bastionen; selbst der Leuchtturm ist zur Verteidigung eingerichtet. An dem Hafen dehnen sich die Kais über 400 m lang aus, an denen unmittelbar am Wasser die Douane, die Büreaus der Dampfschiffgesellschaften und der Bahnhof der Oraner Bahnlinie liegen.
Von hier führen Freitreppen und fahrbare Straßen hinauf auf den Boulevard de la République, den eigentlichen Glanzpunkt der Stadt, eine prachtvolle, mit ornamentalem Geländer versehene, 2000 m lange Terrasse (1860-66 von dem Engländer Morton Peto erbaut, Kosten ca. 8 Mill. Frank). Diese ruht auf einer doppelten Reihe von Bogen [* 6] (ca. 350), und die von denselben gebildeten Hallen werden zu Magazinen und Verkaufshallen benutzt. An diesem Boulevard liegen die palastartigen Gebäude der Bank, der Post, des Justizpalastes etc., am Ende desselben aber die Place de Gouvernement, der schönste Platz der Stadt, mit einer Reiterstatue des Herzogs von Orléans [* 7] (von Marochetti) und an demselben der erzbischöfliche Palast, ein älterer maurischer Prachtbau, und die Moschee Dschama el Dschedid.
Etwa in der Mitte des Boulevard de la République öffnet sich nach W. die große Place Bresson mit dem Nationaltheater im Hintergrund, daher auch Place du Théâtre genannt, und in unmittelbarer Nähe des Gouvernementsplatzes liegt die kleine Place Bruce mit dem Winterpalast des Gouverneurs und der katholischen Kathedrale. Vom Gouvernementsplatz aus laufen nach N. die Straße Bab el Uëd, an deren Ende das an den Jardin Marengo [* 8] anstoßende Nationallyceum liegt, und die Rue de la Marine, nach S. die Straße Bab Asun, alle mit schönen Arkaden versehen und die eigentlichen Stätten des Verkehrs.
Die obere maurische Stadt wird von Mauren, Arabern und Juden bewohnt und, wie erwähnt, von der Kasba, der alten Citadelle, gekrönt, die 130 m ü. M. liegt und jetzt als Kaserne dient. Vor dem Thor Bab el Uëd im N. liegt die gleichnamige Vorstadt, auf der Südseite dagegen die Vorstadt Agha und weiterhin das Dorf Mustafa, der Glanzpunkt der nähern Umgebung Algiers, wo auch der Gouverneur seine Sommerresidenz hat. Die beliebteste Promenade bildet außer dem Boulevard de la République der schon erwähnte Jardin Marengo hinter dem Lyceum.
Als Hauptstadt der
Kolonie ist Algier
Sitz des
Generalgouverneurs, der obersten
Militär- und Zivilbehörden sowie der Behörden
für die
Provinz und das
Arrondissement der verschiedenen
Konsulate, der
Bank von
Algerien etc.
Ferner residieren hier ein katholischer
Erzbischof, ein protestantisches
Konsistorium sowie die höhern
Geistlichen der
Moslems und
Juden. Algier
besitzt verschiedene katholische
Kirchen, darunter die
Kathedrale, eine englische
Kirche, eine protestantische
Kirche, mehrere
Synagogen und vier
Moscheen, unter denen als die älteste und schönste die Dschama el
Kebir in der
Rue de la
Marine (11. Jahrh.), nächstdem die
oben erwähnte Dschama el
Dschedid (17. Jahrh.) Auszeichnung verdienen.
Außerdem sind die zahlreichen Grabkapellen, die dem Andenken von
Marabuts oder
Heiligen gewidmet sind, bemerkenswert. An wissenschaftlichen
Anstalten besitzt Algier
eine
Akademie, ein
Lyceum, ein archäologisches
Museum und eine öffentliche
Bibliothek
(beide im ehemaligen
Palast des
Deis
Mustafa), eine medizinische Präparandenschule, Pensionate für höhern
Unterricht und zahlreiche
Elementarschulen für alle
Konfessionen.
[* 9] Auch eine
Historische
Gesellschaft (seit 1856), welche die
»Revue Africaine« veröffentlicht,
Gesellschaften für
Kunst,
Agrikultur, philanthropische
Zwecke sowie mehrere
Theater,
[* 10] Waisen- und
Armenhäuser,
Militär- und Zivilhospitäler, ein
Lazarett etc. sind vorhanden. Die Zahl der Einwohner, die sich 1838 auf 30,395 (darunter
18,400 Eingeborne) belief, betrug 1881: 70,747 (mit. 12,000
Muselmanen). Die Hauptmasse der einheimischen
Bevölkerung
[* 11] bilden
die
Mauren, die ihren Lebensunterhalt im
Kleinhandel und als
Handwerker, namentlich als Goldsticker, Seidenwirker,
Schuhmacher und Sattler, suchen, während die ehemals unter dem furchtbarsten
Druck lebenden
Juden
(ca. 8000) jetzt als reiche
Kaufleute, als
Haus- und Gutsbesitzer und Fabrikeigentümer leben. Die Hauptquelle des
Erwerbs ist aber für der
Handel, da
die Stadt der wichtigste Handelsplatz der
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Küste ist, in welchem alle Straßen des Binnenlands (darunter jetzt zwei Eisenbahnlinien, von Oran und von Konstantine) zusammenlaufen. Zur Ausfuhr gelangen besonders: Getreide, [* 13] Mehl, [* 14] Olivenöl, Pferde [* 15] und Vieh, Häute, Wolle und Baumwolle, [* 16] Tabak, [* 17] Talg, Tafelfrüchte, Wachs etc. Der Hauptteil der Einfuhr entfällt auf Frankreich;
außerdem sendet England Steinkohlen, Baumwollwaren und Eisen; [* 18]
Italien [* 19] Reis, Wein, Töpferwaren;
Österreich [* 20] Blauholz, Stahl;
Spanien [* 21] Wein und Früchte.
Neuerdings ist Algier
auch als klimatischer
Kurort sehr in Aufnahme gekommen, der im Winter zahlreiche brustleidende Europäer anlockt (vgl. Schneider, Der klimatische Kurort
Algier
, Dresd. 1869-78, 3 Bde.). - Über die Geschichte der Stadt
s. Algerien.