Titel
Alfiēri,
1) Vittorio, Graf, einer der berühmtesten neuern ital. Dichter, geb. zu Asti, stammte aus einer sehr angesehenen und wohlhabenden Familie, erhielt jedoch, nachdem er schon im ersten Lebensjahr seinen Vater verloren, eine sehr nachlässige Erziehung. Erst neun Jahre alt, wurde er von seinem Oheim in die Turiner Akademie geschickt, wo er sich anfangs der schönen Litteratur, später der Jurisprudenz widmete, jedoch mit geringem Erfolg, da teils häufige Krankheitsanfälle, teils Vergnügungen, insbesondere seine Leidenschaft für das Reiten, ihn von allen ernstlichen Studien abhielten. Er schlug nun anfangs die militärische Laufbahn ein, verließ dieselbe jedoch bald wieder und durchreiste 1767-72 den größten Teil von Europa, [* 2] kehrte aber, ohne etwas Wesentliches gelernt zu haben, unbefriedigt und gelangweilt nach Turin [* 3] zurück, wo er eine Zeitlang in gänzlicher Unthätigkeit lebte.
Endlich des Müßiggangs überdrüssig, fing er eifrig an zu studieren, lernte jetzt erst Latein und versuchte sich in eignen Arbeiten. Seine Neigung führte ihn vorzugsweise zur dramatischen Dichtung. Im J. 1775 trat er mit seinem Trauerspiel »Cleopatra« auf, welches er zwar selbst späterhin für mißlungen erklärte, das aber Beifall genug fand, um ihn zu rüstigem Fortschreiten auf der betretenen Bahn zu ermuntern. Um des reinen toscanischen Dialekts, der ihm bis dahin so gut wie unbekannt geblieben war, mächtig zu werden, hielt er sich seit 1777 mehrere Jahre teils in Siena, teils in Florenz [* 4] auf.
Hier lernte er die schöne und geistvolle Gräfin Luise von Albany, Gemahlin des englischen Prätendenten Karl Eduard Stuart, kennen, mit welcher er ein edles Freundschaftsbündnis für das ganze Leben schloß. Zugleich erfüllte ihn das Studium der ältern florentinischen Schriftsteller, namentlich des Dante und Machiavelli, ganz mit jenen republikanischen Ideen, welchen er in allen seinen Tragödien und in mehreren seiner prosaischen Schriften den kräftigsten Ausdruck gab.
Bis 1785 hatte er zehn
Tragödien geschrieben, welche zwar wegen der
Kraft
[* 5] der
Gedanken, der
Wärme
[* 6] des
Gefühls und der
Gewalt
des
Ausdrucks bewundert wurden, aber auch wegen der
Härte ihres
Stils manchen Tadler fanden. Alfieri
unterwarf sie daher in dieser
Beziehung einer gründlichen Umarbeitung und verwandte in seinen spätern
Stücken größere Sorgfalt auf die
Diktion. Nachdem
der Prätendent
Stuart gestorben war, lebte er mit dessen
Witwe, von welcher er sich seitdem nicht wieder
trennte, anfangs
im Elsaß, später in
Paris.
[* 7]
Als glühender Republikaner begrüßte er mit Enthusiasmus den Ausbruch der französischen Revolution und feierte die Einnahme der Bastille in einer schwungvollen Ode. Die Ereignisse der nächsten Jahre jedoch, besonders der brachten einen großen Umschwung in seinen Ansichten hervor und bewogen ihn, nach Italien [* 8] zurückzukehren, wo er sich mit seiner Freundin in Florenz niederließ. Sein in Paris zurückgelassenes Eigentum wurde vom Konvent konfisziert, und außerdem verlor er den größten Teil seines übrigen Vermögens, welches in französischen Fonds angelegt war.
Seitdem hegte er gegen Frankreich und die Franzosen einen unversöhnlichen Haß, der durch die nachfolgenden Ereignisse in seinem Vaterland noch gesteigert wurde, und dem er in seinem erst zehn Jahre nach seinem Tod erschienenen »Misogallo« beredten Ausdruck gab. Er beschäftigte sich von nun an nur mit Studien und begann erst jetzt das des Griechischen, aber mit einem solchen Eifer, daß er es darin in kurzer Zeit zu großer Vollkommenheit brachte. Übermäßiges Arbeiten zog ihm ein Siechtum zu, dem er erlag, nachdem er die letzten Jahre in finsterer Gemütsstimmung und von allem Verkehr mit der Welt abgesondert verlebt hatte.
Seine
Asche ruht in der
Kirche
Santa Croce zu
Florenz, wo seine Freundin ihm ein schönes Marmordenkmal von
Canova zwischen den
Monumenten von
Michelangelo und
Machiavelli errichten ließ. Alfieris
Werke sind sehr zahlreich; die dramatischen
bestehen in 20
Tragödien, der sogen. Tramelogödie (Melotragödie)
»Abele«, in welcher
er den
Versuch machte, die
Musik mit der
Tragödie zu verbinden, und 6
Komödien. In der
Tragödie weisen ihm die
Italiener noch heute den ersten
Rang an und betrachten
ihn als den
Reformator ihrer tragischen
Bühne.
Diesen Ruhm verdankt er vorzugsweise dem sittlichen Ernst und der auf Erweckung starker und männlicher Gefühle wie echter Vaterlands- und Freiheitsliebe bei seinen Landsleuten abzielenden Tendenz seiner Tragödien. Er strebt daher immer nach dem Erhabenen und wählt zu seinen Helden mit Vorliebe Charaktere von starrem Heroismus. Seine Pläne sind von höchster Einfachheit und entbehren alles schmückenden Beiwerks, wie er denn auch die Zahl der handelnden Personen auf das denkbar geringste Maß zu beschränken suchte.
Dadurch erhalten seine
Stücke eine
Kälte und Trockenheit, welche ihrer Bühnenwirkung den größten
Eintrag thun. Im
Einklang
mit diesen
Eigenschaften stehen seine
Sprache
[* 9] und seine Versifikation. Erstere ist zwar immer korrekt,
kraftvoll und edel, ermangelt aber zu sehr des
Schmucks und des warmen
Kolorits. Seine
Verse sind nicht selten unharmonisch.
Alfieris
Lustspiele stehen den
Tragödien bei weitem nach. Sie haben fast alle eine ausgesprochene politische
Tendenz, sind
sehr dürftig in der
Erfindung, ohne komische
Kraft und zur Aufführung völlig ungeeignet.
Von Alfieris
übrigen poetischen Werken sind am meisten seine
Satiren hervorzuheben, die sich durch
Witz und feine
Beobachtung
auszeichnen. Die übrigen bestehen aus sechs
Oden, teils auf die
Befreiung
Amerikas, teils auf die
Eroberung der
Bastille, einer
Reihe von
Sonetten,
Epigrammen und vermischten Gedichten, endlich einem
Epos: »L'Etruria vendicata« in vier
Gesängen. Unter seinen prosaischen
Schriften ist seine bis auf die letzten fünf
Monate vor seinem
Tod fortgeführte und mit
großer Aufrichtigkeit geschriebene Selbstbiographie zu erwähnen (deutsch von
Hain, Leipz. 1812, 2 Bde.), die
mit
Recht für ein
Muster ihrer
Gattung gilt. Die übrigen sind meistens
¶
mehr
politischen Inhalts und ohne hervorragendes Interesse. Außer seinen Originalwerken hat man von Alfieri
mehrere Übersetzungen aus
dem Griechischen und Lateinischen, darunter eine sehr gelungene des Sallust (neu hrsg. von Vanucci, Mail. 1869). Eine vollständige
Ausgabe der »Opere« Alfieris
erschien zu Pisa
[* 11] (1805-1815) in 22 Bänden; seine »Tragedie« in neuer Ausgabe,
nach den Originalhandschriften revidiert, von Milanesi in Florenz (1855, 2 Bde.).
Vgl. Centofanti, Sulla vita e sulle opere di
Alfieri
(Flor. 1842);
Teza, Vita, giornali, lettere di Alfieri
(das. 1861);
Reumont, Die Gräfin von Albany (Berl. 1860).
2) Cesare, Marchese di Sostegno, ital. Staatsmann, geb. 1796 zu Turin, Sohn Carlo Emanuele Alfieris
, Verwandter
des vorigen, trat früh in die sardinische Armee, widmete sich dann der diplomatischen Laufbahn und ward sardinischer Legationssekretär
in Petersburg,
[* 12] dann in Berlin
[* 13] und in Florenz, 1825 in Paris, wo sein Vater Gesandter war. Er wurde von Karl Albert 1831 nach seiner
Thronbesteigung an den Hof
[* 14] nach Turin berufen, wo er sich den Patrioten Cavour, Balbo und Azeglio anschloß, 1842 in
die von Cavour gestiftete Associazione agraria eintrat und später deren Präsident wurde.
Auch förderte er die philanthropischen Zwecke des Instituts della Maternità, in das er auch eintrat, mit Eifer. Karl Albert ernannte ihn deshalb zum Präsidenten der Reformkommission, an deren Spitze er sich durch die Emanzipation der Universitäten, Errichtung von neuen Lehrstühlen der Rechtsgeschichte, des Völker- und Verwaltungsrechts, der Nationalökonomie u. a. verdient machte; auch erhielt er den Auftrag, eine konstitutionelle Verfassung für Sardinien [* 15] auszuarbeiten. Im Sommer 1848, nach der Niederlage von Custozza, [* 16] ward er vom König an die Spitze des Ministeriums berufen, trat aber, von Gioberti heftig bekämpft, bald zurück, ward Vizepräsident des Senats, 1856 Präsident desselben, legte dieses Amt 1866 nieder und starb in Florenz.