Alexandriner
heißen im Französischen 12silbige, bei weiblichem Ausgang 13silbige Verse mit betonter 6. und 12. Silbe und mit einem Einschnitt (Cäsur) nach der 6. Silbe, wodurch der Vers in gleiche Hälften (Hémistiche) zerfällt. Den Namen hat diese Versart von ihrer (freilich nicht ältesten) Anwendung in einer altfranz. Bearbeitung (1180) der Alexandersage (s. d.). Ronsard nannte den den «heroischen» Vers, und seitdem ward er in Frankreich für Epos, Drama und alle höhern Dichtarten mit Vorliebe angewendet. Er empfiehlt sich den Franzosen durch die Fähigkeit, Gegensätze scharf zum Ausdruck zu bringen. Da der französische den regelmäßigen Wechsel von betonter und unbetonter Silbe nicht kennt, so ist er nicht so eintönig wie der deutsche. Dieser, eine Nachahmung des französischen, ist ebenso gebaut, nur hat er iambischen Fall, d. h. die ungeraden Silben sind unbetont, die geraden (2. 4. 6. 8. 10. 12.) sind betont. Der Reim ist in der Regel paarweise, männlich oder weiblich; Beispiel aus Goethes «Die Mitschuldigen»:
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Wenn's was zu naschen giebt, | sind alle flugs beim Schmause; |
---|---|
Doch macht ein Mädchen Ernst, | so ist kein Mensch zu Hause. |
So gehts mit unsern Herrn | in dieser schlimmen Zeit; |
Es gehen zwanzig drauf, | bis daß ein halber freit. |
Der Alexandriner
fand in
Deutschland
[* 2] seit Anfang des 17. Jahrh. (durch Lobwasser,
Melissus, Weckherlin und besonders
Opitz) Eingang und bürgerte sich durch den Einfluß des franz.
Dramas auch auf der
Bühne ein.
Klopstock hat ihn in der epischen
Poesie durch antike
Maße, Lessing in der dramatischen durch den fünffüßigen Iambus verdrängt. In der That sind diese kurzen,
paradeschrittartigen Reimpaare dem
Geiste der deutschen
Sprache
[* 3] nicht angemessen, am allerwenigsten im
Drama.
Rückert, Freiligrath und Geibel griffen in einzelnen erzählenden Gedichten (ersterer in «Rostem
und Suhrab») auf den Alexandriner
zurück, indem sie teils durch Hinzufügung mehrerer
Cäsuren, teils durch Anbringen von
Anapästen
und Spondeen Mannigfaltigkeit und Beweglichkeit des einförmigen Metrums erhöhten. Bekannt ist Freiligraths
Gedicht «Der Alexandriner»
(«Spring an, mein Wüstenroß aus
Alexandria!» u. s. w.). Gegen die Regel der franz.
Dichtkunst, daß am
Schluß jedes Verses eine Sinnpause eintrete, lehnten sich erst im 19. Jahrh. franz.
Dichter (zuerst
André Chénier) auf, indem sie sich
Enjambement (s. d.) gestatteten. Man unterscheidet im französischen
«le vers classique» und «le
vers romantique»; ersterer bevorzugt das rhythmische, letzterer das logische Element der Worte. -
Vgl. Becq de Fonquières, Traité général de versification française (1879);
Lubarsch, Franz. Verslehre (1879).
ders., über Deklamation und Rhythmus der franz. Verse (1888);
Tobler, Vom franz. Versbau alter und neuer Zeit (2. Aufl., 1888);
Viehoff, Der Alexandriner
, mit besonderer Rücksicht auf seinen Gebrauch im
Deutschen (Schulprogramm,
Trier,
[* 4] 1859);
Träger, [* 5] Geschichte des französischen A.s, I (Lpz. 1889).