Alchimie
,
Alchymie (arab. al-kimia, entweder aus kemi, dem einheimischen kopt.
Namen
Ägyptens, oder aus dem grch. chýmos, Flüssigkeit, Saft, entstanden) war der
Name, mit dem im Mittelalter bis herab
in das 17. Jahrh. die
Chemie bezeichnet wurde. Seitdem jedoch letztere wissenschaftliche
Begründung und
Gestalt gewonnen hat, wird mit Alchimie
nur noch die vermeintliche Kunst, unedle Metalle in
Gold
[* 2] und
Silber zu verwandeln, benannt.
Die Alchimie
verhält sich demnach zur gegenwärtigen
Chemie ebenso wie die
Astrologie
[* 3] zur
Astronomie.
[* 4]
Das Bestreben der Alchimisten des Mittelalters ging vorzüglich auf die Darstellung zweier Geheimmittel, durch die jene erwünschte Veredelung (Perfektionierung) der Metalle ermöglicht werden sollte. Das wichtigste dieser beiden Präparate, das die Kraft [* 5] besitzen sollte, nicht bloß Silber, sondern auch unedle (imperfekte) Metalle, wie Blei, [* 6] Quecksilber u. s. w. in Gold zu verwandeln, führte den Namen Stein der Weisen, roter Löwe, großes Elixir oder Magisterium (Meisterstück), auch rote Tinktur und Panacee des Lebens.
Man legte diesem Mittel allerhöchste Kraft bei, insofern es nicht nur im stande sein sollte, unedle Metalle in edle zu verwandeln, sondern auch als Universalmedizin zu dienen, die, aufgelöst und in angemessener Verdünnung als Trinkgold (aurum potabile) in kleinen Dosen genommen, alle Krankheiten heile, das Alter verjünge und das Leben verlängere. Die Mystiker unter den Alchimisten legten ihm sogar erlösende Kraft bei. Das zweite Geheimmittel, auf halber Stufe der Vollkommenheit, das den Namen weißer Löwe, weiße Tinktur oder kleines Magisterium (Elixir) führte, beschränkte sich auf die Kraft, alle unedeln Metalle in Silber zu verwandeln.
Die, welche den
Stein der Weisen gefunden hatten, hießen
Adepten (s. d.). Die Ursprünge der Alchimie
weisen auf das alte
Ägypten
[* 7] hin; der röm.
Kaiser Diocletian befahl 296 n. Chr., daß alle ägypt.
Bücher über die Goldmacherkunst verbrannt werden sollten. Spätere Alchimisten leiteten ihre Kunst
von Hermes
[* 8]
Trismegistus (s. d.) oder
Thoth
[* 9] ab, weshalb die Kunst des Goldmachens auch die
hermetische Kunst genannt ward. Im 4. Jahrh.
n. Chr. wurde das Problem der Goldverwandlung auf der gelehrten Schule zu
Alexandria mir Eifer verfolgt.
Ein unter dem Namen Demokritos auftretender Schriftsteller, der offenbar dem alexandrinischen Gelehrtenkreise angehörte, eröffnete mit seinem Werke «Physica et mystica» die lange Reihe eigentlich alchimist. Werke. Dieselben erschienen großenteils unter dem Namen berühmter Philosophen (wie Plato, Pythagoras u. s. w.), um der Sache Achtung und Eingang zu verschaffen, sind aber wegen ihrer bilderreichen Darstellung und seltsamen Nomenklatur wenig verständlich.
Die Griechen wurden die Lehrer der Araber, welche die alchimist. Kunst mit Vorliebe pflegten und ihr zugleich mit dem Namen auch die Gestalt gaben, die sie im wesentlichen behalten hat. Epochemachend in letzterer Beziehung wurde der Araber Abu Musa Dschafar al-Sofi, genannt Geber (s. d.). Sein Hauptwerk ist die ins Lateinische übersetzte «Summa perfectionis magisterii in sua natura» (Rom, [* 10] zwischen 1490 u. 1520; Danzig [* 11] 1682; französisch in Salmons «Bibliothèque des philosophes chimiques», 2 Bde., Par. 1672-78; vermehrte Ausg., 3 Bde., 1741, mit einem 4. Bd. u. d. T. «Bibliothèque des philosophes alchimiques ou hermétiques», 1754), aus dem hervorgeht, daß zu Gebers Zeit als die Grundidee der Chemie die Hypothese galt, die Metalle seien zusammengesetzte oder vielmehr in ihrer Substanz verwandelbare Stoffe.
Alle Metalle sollten aus Merkur [* 12] (Quecksilber) und Schwefel gebildet sein. Man könne daher denselben das hinzufügen, was ihnen fehle, oder das von ihnen fortnehmen, was im Überfluß vorhanden sei. Das Abendland erhielt die von den Arabern und Mauren in Spanien [* 13] seit dem 10. und 11. Jahrh.; von denselben entnahm man sowohl die Formen als die Stoffe des Studiums. Die berühmten Scholastiker Albert d. Gr. und Roger Bacon waren auch die berühmtesten Alchimisten ihrer Zeit. Arnoldus Villanovanus, gest. 1314, ein ausgezeichneter Arzt, verfaßte über 20 alchimist. Schriften. Der berühmteste Alchimist des 13. und 14. Jahrh. war der excentrisch phantastische Raimundus Lullus (s. d.), der 500 Schriften meist alchimist. Natur verfaßt haben soll. Das Orakel der Alchimisten des 15. Jahrh. und der Folgezeit wurde der Benediktiner Basilius Valentinus (um 1415), der in jenem Zeitalter für ¶
mehr
den bedeutendsten und überhaupt letzten Chemiker gelten kann, dessen Richtung eine ausschließlich alchimistische war. Schon
Paracelsus (s. d.) ist nicht mehr zu den reinen Alchimisten zu rechnen, da er
ausdrücklich sagt, der wahre Zweck jener Wissenschaft sei nicht Gold zu machen, sondern Arzneien zu bereiten. Mit dem 16. Jahrh.
beginnt eine Sonderung der Bestrebungen, und von den wissenschaftlichen Chemikern, die sich jedoch noch
nicht ganz von dem Wahne der Alchimie
befreien können, scheidet sich eine zahlreiche Klasse meist umherziehender Abenteurer, die
den allgemeinen Glauben an die Möglichkeit, Gold zu machen, zu trügerischen Zwecken benutzen und scheinbare Proben ihrer Kunst
ablegen.
Namentlich wurden Fürsten und Vornehme auf diese Weise hintergangen. Viele gekrönte Häupter im 15., 16. und 17. Jahrh.
waren eifrig mit dem Studium der Alchimie
beschäftigt; so z. B. mehrere Könige von England, besonders
Heinrich VI., unter dem mit Hilfe einer Compagnie von Goldmachern das Land mit falschem Golde und falscher Münze
überschwemmt wurde. Das Metall, das hier die Rolle des Goldes übernehmen mußte, war sehr wahrscheinlich eine Kupferlegierung.
In ähnlicher Weise manipulierte um dieselbe Zeit Karl VII. von Frankreich mit Hilfe eines gewissen Jacques Le
[* 15] Coeur.
Selbst Frauen, wie die Kaiserin Barbara, Witwe des Kaisers Sigismund, werden unter den Adepten genannt. Kaiser Rudolf II. (1576-1612) war Mäcen der fahrenden Alchimisten, und seine Residenz bildete den Mittelpunkt für die alchimist. Bestrebungen seiner Zeit. Seine Schützlinge nannten ihn den deutschen Hermes Trismegistos, und sein Beispiel erweckte besonders am benachbarten sächs. Hofe Nachahmung. Kurfürst August von Sachsen [* 16] und seine Gemahlin Anna von Dänemark [* 17] beschäftigten sich mit der erstere in seinem «Goldhaus» zu Dresden, [* 18] die letztere in ihrem prächtig eingerichteten Laboratorium [* 19] im Fasanengarten zu Annaburg.
Dresden blieb noch lange der Sitz alchimist. Fürsten, und die Alchimie
wurde am eifrigsten betrieben, als die
Erwerbung der poln. Krone einen außerordentlichen Geldaufwand erforderte. Auch der Berliner
[* 20] Hof
[* 21] ward unter
Kurfürst Johann Georg der Schauplatz eines alchimist. Schwindlers, des Leonhard Thurnheysser, der jedoch aus Berlin
[* 22] fliehen
mußte. Über hundert Jahre später fällt das Auftreten von Johann Friedrich Böttger (s. d.) in Dresden, der zwar kein Gold zu
stande brachte, dafür aber in seiner Haft 1704 erst das braune Jaspisporzellan und 1709 das weiße Porzellan
erfand.
Einer der letzten Adepten war um dieselbe Zeit Caetano, genannt Graf Ruggiero, ein geborener Neapolitaner und Bauernsohn, der an den Höfen von München, [* 23] Wien [* 24] und Berlin sein Unwesen trieb und in letzterer Stadt 1709 sein Ende an einem mit Flittergold beklebten Galgen fand. Doch trat nach ihm noch ein Engländer, der Arzt James Price, auf, der vor der königl. Gesellschaft der Wissenschaften erklärte, ein rotes und weißes Pulver erfunden zu haben, womit man Quecksilber beliebig in Gold und Silber verwandeln könne.
Als er jedoch ernstlich gedrängt ward, die Beweise dafür zu liefern, brachte er sich 1783 durch Gift um. Mit ihm waren die Alchimisten immer noch nicht ganz ausgestorben. Noch zu Anfang des 19. Jahrh. bestand in Deutschland [* 25] eine von Kortum (s. d.) in Bochum [* 26] (dem Verfasser der «Jobsiade») gegründete Gesellschaft von Alchimisten (die «Hermetische Gesellschaft» genannt),
die ihre Verhandlungen regelmäßig im «Deutschen Reichsanzeiger» veröffentlichte. Nach dem gegenwärtigen Stande der Chemie, wonach man die Metalle als Elemente, d. i. als chemisch einfache Stoffe, ansieht, muß es für unmöglich gelten, aus andern als goldhaltigen Stoffen Gold zu gewinnen. Sollte sich aber auch zeigen, daß die Metalle zerlegbar sind, so steht doch fest, daß der Weg zur Metallverwandlung ein ganz anderer sein müßte, als der von den Alchimisten eingeschlagene. Die Alchimisten haben aber durch die Erfahrungen, die sie bei ihren Experimenten notwendig machen mußten, der Chemie den wesentlichsten Nutzen gebracht, ja mit den Grund zu dieser Wissenschaft gelegt.
Litteratur. Schmieder, Geschichte der Alchimie
(Halle
[* 27] 1832);
Marchand, Über die Alchimie
(ebd. 1847);
Wagner, Geschichte der Chemie (Lpz. 1853: 2. Aufl. 1855);
H. Kopp, Geschichte der Chemie, Bd. 1 (Braunschw. 1843);
ders., Die Entwicklung der Chemie, Abteil. 1 (Münch. 1871);
Löwinstein, Die und die Alchimisten (Berl. 1870);
Alchimie
Bauer,
Chemie und in Österreich
[* 28] bis zum beginnenden 19. Jahrh. (Wien 1883);
Kopp, Die Alchimie
(2 Bde., Heidelb.
1886);
Schäfer, Die Alchimie.
Ihr ägypt.-griech. Ursprung (Berl.
1887);
Hartmann, und Arkanologie im Gegensatz zur Schulmedizin (Zür. 1887);
Eyssenhardt, Arzneikunst und Alchimie
im 17. Jahrh.
(Hamb. 1890).