Alba
nesen,
die Bewohner
Albaniens und von
Epirus, ein
Volk von isolierter
Stellung unter den Indoeuropäern, das als Nachkommen
der alten Illyrier angesehen wird. Der einheimische
Name der Alba
nesen ist Schkipetaren (Felsbewohner); von den
Türken, ihren Beherrschern,
werden sie
Arnauten genannt. Ihr Hauptgebiet umfaßt das heutige
Albanien (das alte Illyricum und
Epirus),
jenen Landstrich am Adriatischen
Meer, der östlich vom Pindus begrenzt wird und von
Skutari bis zum
Meerbusen von
Korinth
[* 2] reicht.
Im N. werden sie von den
Serben begrenzt, im S. von Griechen, während sie im O. sich mit
Bulgaren und
Zinzaren berühren.
Die Verwüstungen in
Epirus durch den
Römer
[* 3] Paullus
Ämilius, die germanischen, serbischen und bulgarischen
Einfälle in
Albanien wirkten ohne
Zweifel auf die ethnischen Verhältnisse des
Landes stark ein. Als Arbanitai treten die Alba
nesen zum
erstenmal im 11. Jahrh. auf; im
Peloponnes werden sie 1349 erwähnt. Im 14. Jahrh. wandern sie nach
Böotien,
Attika,
Euböa, dem Archipel, und heute finden wir sie außer ihrem Stammland noch in
Makedonien im
Bezirk Kolonja, in
Attika
und
Megara auf dem Land sowie in
Böotien und
Lokris.
Auf den
Inseln kommen sie im südlichen
Euböa vor und bewohnen etwa ein Drittel von
Andros. Vorherrschend sind sie auf
Salamis,
Poros,
Hydra und
Spezzia. Im
Peloponnes bilden sie die Hauptmasse der
Bevölkerung
[* 4] von
Argolis, Corinthia und Sicyonia,
ebenso nehmen sie bedeutende Teile von
Arkadien,
Lakonien,
Messenien und
Elis ein.
Wohl ein Fünftel der Bewohner
Griechenlands
gehört den Albanesen
an, und dieses
Verhältnis ist durch die neuen Erwerbungen in
Epirus noch verstärkt worden.
Doch sind diese griechischen Albanesen
mehr oder minder in der Hellenisierung begriffen. Durch
Kolonien, welche gegen Ende des 15. Jahrh.
nach dem
Fall des einheimischen Fürstengeschlechts auszogen, wurden die Albanesen
auch nach
Italien,
[* 5] namentlich
Kalabrien und
Sizilien,
[* 6] versetzt, wo sie bis heute sich erhalten haben.
In Bezug auf die Körperbeschaffenheit lassen sich keine einheitlichen Merkmale für die Albanesen
aufstellen.
Sie zerfallen in einen nördlichen
Stamm, die Gegen, und einen südlichen, die
Tosken, zwischen denen der
Fluß Schkumb die
Grenze bildet; diese beiden
Stämme stehen sich ferner, als man gewöhnlich annimmt, können sich untereinander nur schwer
verständigen und hassen einander. Es ist auffallend, daß blonde
Haare
[* 7] und graue
Augen besonders bei den
südlichen
Tosken vorkommen, im
N. aber die dunkle Gesichtsfarbe herrscht.
Nach den wenigen bekannten Schädelmessungen sind die nördlichen Albanesen
brachykephal, während die südlichen
dolichokephal sein sollen. Eingehende anthropologische Untersuchungen fehlen noch. Die Zahl sämtlicher im türkischen
Reich lebender Albanesen
gibt
Gopčević auf 1,400,000 an. Dazu kommen 250,000 in
Griechenland,
[* 8] von denen 38,000 bloß albanesisch
sprechen, und 100,000 in
Italien (meist in
Sizilien), so daß die Gesamtzahl des
Volks sich auf 1,750,000
Seelen beläuft. Der
Religion nach zerfallen die in Mohammedaner, Griechen und Katholiken. Die Zahl der erstern dürfte
sich auf 1 Mill. belaufen; dem griechisch-orthodoxen
Glaubensbekenntnis huldigen im osmanischen
Reich etwa 280,000, in
Griechenland
sämtliche Albanesen.
Katholisch sind in
Albanien 120,000, in
Italien sämtliche Albanesen.
Kultur. Die Albanesen
wurden bisher zu den nur halb zivilisierten Völkern
Europas gerechnet. Während
Serben, Griechen,
Rumänen, Montenegriner
und
Bulgaren nach und nach das Türkenjoch abwarfen, waren die Albanesen
wie vergessen und lieferten erst in der
letzten Zeit
Beweise, daß sie aus einem 400jährigen Schlummer zu politischem
Leben erwachen.
Noch
Fallmerayer schreibt ihnen
das negative starre
Prinzip des Stillstands zu, der alle
Bildung abweist. Sie seien überall selbstsüchtig, meuterisch, unzuverlässig,
grausam, dabei aber rührige, unerschrockene, sparsame und hartknochige
Handarbeiter,
Schiffer,
Bauern und
Soldaten.
Andre heben namentlich an den der griechischen Inseln (z. B. den Hydrioten) edle Züge hervor. Gyurkewicz kennzeichnet sie als Hirten, Krieger, Räuber, nur für den Notbedarf Ackerbauer; sie kennen und schätzen nicht Kultur, Gesetz, Gesellschaft und Staat, nur Traditionen, namentlich Herkommensrecht der Stämme, Faustrecht des Einzelnen, Blutrache. Die fortwährenden Stammesfehden und die konfessionelle Verschiedenheit ließen nur selten einen durch die Grausamkeit des türkischen Despotismus geweckten Patriotismus, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit aufkommen. Ihr gefeierter Volksheld und Märtyrer Georg Kastriota (Skanderbeg, gest. 1467) war der Abstammung nach nicht Albanese, sondern Slawe.
Wohl aber ist ein engeres Heimatsgefühl bei den Albanesen
vorhanden, das sich in warmen
Zügen offenbart. Die türkische
Regierung
benutzte die wohlbekannte Kriegstüchtigkeit des
Volks als ein geeignetes
Mittel, um in allen
Provinzen des weiten
Reichs nicht
sowohl die
Ordnung als den
Despotismus zu stützen. Damit entzog sie zugleich dem
Lande die beste Widerstandskraft.
Leider waren aber die Albanesen
dort, wie in der
Fremde, gesetzlose
Räuber. G. v.
Hahn
[* 9] zeichnet in kräftigen
Strichen den Zustand
des
Landes:
Faustrecht,
Fehde,
Blutrache, besonders bis zum Beginn des 19. Jahrh. Der
Adel nährte sich von
Erpressungen, das verarmte
Volk von
Straßenraub und Viehdiebstahl, während der
Ackerbauer in unaussprechlichem
Elend lebte.
Den Despotismus der mohammedanischen Raubstände, des Adels und der Krieger, brach zuerst der bekannte Ali Pascha von Janina; danach versuchten im bessern Sinn die türkischen Reformgesetze aus dem Chaos einen Mechanismus herzustellen, der aber ebensowenig zum Organismus werden konnte wie anderwärts im türkischen Reich. Selbstsucht, Not und eine Art patriotischer Anhänglichkeit an alte Sitten und Unsitten erzeugten fortwährende Aufregung gegen die türkische Regierung, kehrten sich aber auch feindlich gegen andre Völker, wie Montenegriner und Griechen, was sich 1878 in der Bildung der albanesischen Liga äußerte. ¶
mehr
Verwaltung, Rechtspflege. Die Autorität der Türken ist, namentlich im N., nur eine scheinbare, denn in Wirklichkeit regiert jeder Stamm sich selbst. Mit dem Wali (Gouverneur) stehen bloß einige Stämme durch eine Mittelsperson, den Bulukbaschi, in Verbindung. Jeder Stamm bildet eine kleine, für sich bestehende aristokratische Republik, deren Präsident Barjaktar heißt und die Verpflichtung hat, im Krieg den Oberbefehl über das Kontingent zu führen. Er ist in seiner Stellung erblich, ebenso wie die Woiwoden oder Gemeindevorstände.
Letztere werden bei den meisten Stämmen durch die Gjobars ersetzt, welche das Strafgeld (Gjobe, in Vieh entrichtet) bei Verurteilungen einzuziehen haben; sie werden aus den tapfersten und kühnsten Leuten erwählt. Nach ihnen folgen die Dovrans oder Bürgen, die dem Wali für das gute Verhalten des Stammes haften müssen. Alle diese Würdenträger gehören zu den Plektje, Ältesten, welche den Rat (Pletschenia) bilden und über alle Dinge von nicht allgemeiner Wichtigkeit entscheiden.
Übrigens liegen die »Ältesten«, weil deren Würde erblich, oft noch in den Windeln. Barjaktars und Woiwoden sind im allgemeinen mit der Regierung betraut, doch dürfen sie keine Neuerungen einführen und müssen sich nach dem alten Herkommen (Adet) richten. Angelegenheiten, die das Wohl des ganzen Stammes betreffen: Entscheidung über Krieg und Frieden, Erlaß oder Aufhebung eines Gesetzes, Änderung alter Gebräuche, können nur von der Volksversammlung (Kuvent) entschieden werden, zu der jedes Haus einen Vertreter sendet.
Zwei solcher Versammlungen finden jährlich, im Frühling und im Herbste, statt, um über die Zeit zu entscheiden, wenn die Herden ausgetrieben und wieder heimgeführt werden sollen. Verletzungen des Herkommens werden mit Geldstrafen oder Viehkonfiskation gestraft. Von dem Erträgnis der Strafen werden Feste abgehalten. Privatstreitigkeiten schlichten gewählte Schiedsrichter. Diebstahl kommt nur zur Bestrafung, wenn er im Inland verübt wird; jener im Ausland wird gebilligt, da er den Nationalwohlstand bereichert.
Unabsichtliche Tötung wird mit 225 Mk. geahndet, vorsätzliche zieht die Blutrache nach sich, desgleichen Verleumdung, Entführung, Schändung, Ehebruch. Totschlag, Raub, Diebstahl und Gewalt, während des Kriegs begangen, sind von jeder Entschädigungsforderung frei. Die Blutrache, welche in der Leidenschaftlichkeit und Empfindlichkeit des Volks ihren Grund hat und durch das Herkommen geboten ist, fordert noch jetzt schreckliche Opfer in Albanien. Sie kann bei einigen Stämmen, wie den Miriditen, nie aufgehoben werden und geht von der Familie auf den Stamm über; es entsteht dadurch ein Krieg aller gegen alle, der nur durch bestimmte gesetzliche Zeiten der Waffenruhe beschränkt ist.
Während des Blutrachekriegs haben die feindlichen Stämme jederzeit plötzliche Angriffe zu befürchten. Sieg und Ruhm hängen
von der Zahl der Erschlagenen ab. Ist genug des Bluts geflossen, und tritt Abspannung ein, so vermittelt
der türkische Gouverneur den Frieden. In Mittelalbanien kam nach Gopčević in den 50er Jahren, wo die Blutrache besonders stark
wütete, auf je zehn Häuser ein Erschlagener, und in Skutari allein lebten 500 vor der Blutrache dorthin
geflüchtete Albanesen.
In der Familie ist der Mann der Herr, dem alle Familienglieder unterthan sind. Das Weib teilt oft in verwilderter Weise die männliche Thätigkeit, indem es mit in den Fehdekampf zieht und den Gefallenen die Köpfe abschneidet. Verlobung, Hochzeit, Ehe zeigen noch viele Spuren altbarbarischer Gebräuche, wie Brautkauf und Brautraub. In den religiösen Anschauungen aller Stämme, gleichviel welchem Glauben sie huldigen, hat sich noch sehr viel Heidnisches erhalten.
Feen, Elfen, Hausgeister, Drachen, Gespenster, Flügelpferde, Geister erfüllen die Phantasie der Albanesen.
Der Aberglaube ist auf allen
Gebieten des Lebens reichlich vertreten. Die Tracht wechselt oft nach den Stämmen, ist aber stets malerisch.
Der typische Albanese erscheint in roter Mütze und Turbanshawl, langem Schnurrbart und bloßem Hals, mit knopfloser, weißer
Weste, weißer Fustanella, weißen Beinkleidern und bis an die Zähne
[* 11] bewaffnet. Die Häuser der Albanesen
gleichen in vielem denen der
griechischen Bauern.
Das geräumige Gehöft ist mit Schilfrohr umhegt und umfaßt Wohnhaus
[* 12] und die Gebäude für Vieh und Landwirtschaft.
Holz
[* 13] und Lehm bilden das Baumaterial; der Herd liegt auf dem Lehmboden; Kamin und beweglicher Zimmerhausrat fehlen. Decken dienen
statt der Betten. Die Dörfer sind klein und liegen zerstreut im Gebirge. Bei aller Roheit ist ein naturwüchsiger alteinheimischer
Kunstsinn den Albanesen
eigen. Sie singen (besonders in Dardanien) viel und gut; es gibt unter
ihnen Erzähler, Sänger, Spieler auf der Mandoline; das Volkslied ist in der Regel elegisch.
Der Tanz ist die Albanitika, verwandt der griechischen Rhomaika.
Vgl. G. v. Hahn, Albanesische Studien (Jena [* 14] 1854);
Derselbe, Reise durch das Gebiet des Drin und Wardar im Jahr 1863 (Wien [* 15] 1870);
Gopčević, Oberalbanien und seine Liga, ethnographisch, politisch, historisch (Leipz. 1881);
Diefenbach, Völkerkunde Osteuropas (Darmst. 1880);
Knight, Albania, narrative of a recent travel (Lond. 1880);
Roukis, Ethnographische und statistische Mitteilungen (in »Petermanns Mitteilungen« 1884, Heft 10).