Albanesen
(albanes. Schkjipetaren; türk. Arnauten; serb. Arbanasi; griech. Arvaniten), ein Volksstamm in der europ. Türkei, in Griechenland und Süditalien. In der europ. Türkei bewohnen die Albanesen hauptsächlich Albanien (s. d.) und Epirus, d. h. das im S. vom Golf von Arta und Griechenland, im W. vom Adriatischen und Ionischen Meere, im N. von Montenegro, im O. vom Pindus und Schardagh begrenzte Land. Innerhalb dieser Grenzen finden sich Albanesen im NO. in Altserbien, im O., untermischt mit Bulgaren und Kutsowlachen (Südrumänen, Zinzaren), in Macedonien.
Wegen des Mangels genauer statist. Mitteilungen über die Provinzen des Ottomanischen Reichs ist es unmöglich, die Zahl der Albanesen genau zu bestimmen. In Südalbanien, welches das Wilajet Jannina mit den vier Sandschats Jannina, Preveza, Arg?rokastron (Anmerkung des Editors: unleserlich, wahrscheinlich das heutige Gjirokastra ) und Berat umfaßt, sprachen nach einer Zählung vom Dez. 1888 von 607705 E. 345720 albanesisch (darunter 264505 Muselmanen und 81215 griech. Christen), 247810 griechisch (darunter 21550 Muselmanen und 1725 Juden), 15125 walachisch.
Als nördl. Grenze des südl. Albaniens nimmt man den Fluß Škumbi an; zwischen diesem und dem Flusse Mati liegt Mittelalbanien, wo sich das albanes. Element am reinsten findet. Die hier wohnenden Albanesen werden gewöhnlich zu den Gegen gerechnet; in Wahrheit nehmen die hier gesprochenen Mundarten eine Mittelstellung zwischen dem nördl. (gegischen) und südl. (toskischen) Dialekt ein. Ein Teil von Mittelalbanien mit den Städten Kavaja, Kroja, Tirana, Durazzo und Pekinje gehört zum Wilajet Skutari, der Rest, namentlich die Sandschaks Matja, Elbassan, Oberdibra und Unterdibra, zum Wilajet Bitolia oder Monastir.
Mittelalbanien hat eine Bevölkerung von etwa 213000 Muselmanen, 8000 griech.-katholischen und 800 röm.-katholischen Albanesen, außerdem 18000 gemischte Orthodoxe, 1700 Walachen und 1000 Zigeuner. Oberalbanien besteht aus den beiden Sandschaks Ljuma und Djakova, die zum Wilajet Kosovo gehören, und aus dem größern Teile des Wilajets Skutari; in dem letztern sind zwei Teile zu unterscheiden, die Ebene mit den Städten Skutari und Alessio, und das Bergland, wo die halb unabhängigen Stämme der Mirditen, Dukadschin, Puka, Hotti, Klementi, Kastrati, Schkrieli u. s. w. wohnen. Hier ist die Mischung mit dem serb. Elemente beträchtlich. Man schätzt die Bevölkerung auf 87000 muselmanische, 78100 röm.-katholische Albanesen, außerdem 6100 Serben und 2500 Zigeuner. Viel bedeutender ist die Mischung mit dem slaw. Elemente in den übrigen Sandschaks des Wilajets Kosovo, die außerhalb der Grenzen des eigentlichen Albaniens
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liegen, nämlich in Prizren, Priština, Üsküp (Skoplje) und Novipazar, wo 224700 muselmanische, 5200 röm.-katholische und 153000 griech.-katholische Albanesen wohnen, außerdem 39000 Türken und etwa 93000 Slawen (Bulgaren). –
Vgl. Mitteilungen von Maurommatis in der Athen.
Zeitung «Akropolis», 1884, Nr. 664–672; Roukis in Petermanns «Mitteilungen», 1884, Heft 10; Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien, 1888; Gopčević, Macedonien und Altserbien (Wien 1889).
Die in Griechenland belaufen sich auf ungefähr 200000, die größtenteils in Attika und Megaris wohnen, außerdem auf den Inseln Salamis, Ägina, Andros, Euböa, in den Nomen Arkadien, Lakonien, Messenien, in Böotien, Lokris, Korinth, Argolis, Hermionis und auf den Inseln Hydra, Spezzia und Poros. Sie sind zum größern Teile zweisprachig, nur etwa 4000 sprechen bloß albanesisch. Sie sind im 14. und 15. Jahrh. in Griechenland eingewandert; 1399 werden zum erstenmal Albanesen im Peloponnes erwähnt. –
Vgl. Philippson in Petermanns «Mitteilungen», 1890, Heft 2; Fallmerayer, Das albanes.
Element in Griechenland, I–III (Münch. 1857–60, aus den «Abhandlungen der Bayrischen Akademie der Wissenschaften»).
Die Zahl der in Italien beträgt ungefähr 100000; sie bewohnen eine Anzahl Dörfer in Calabrien, der Basilicata und Capitanata, sowie eins (San Marzano) in der Terra d’Otranto, etwa 35 km von Tarent; außerdem in Sicilien die Ortschaften Contessa, Palazzo Adriano, Mezzojuso und Piana dei Greci (letzteres bei Palermo). Die meisten wanderten im 15. und 16. Jahrh. ein und zwar zum größten Teile aus Griechenland; selbst im 18. Jahrh. fanden noch einige kleine Ansiedelungen statt.–
Vgl. Biondelli, Studi linguistici (Mail. 1856);
Gius. Spata, Studi etnologici (Tur. 1870).
Außerdem finden sich in Österreich, und zwar in den Dörfern Hrtkovci und Nikinci bei Mitrovitz an der Save (vgl. Windisch, Von den Klementinern in Syrmien, im «Ungarischen Magazin», 1782, II) und in der Vorstadt Borgo Erizzo bei Zara (vgl. Erber, La colonia albanese di Borgo Erizzo, Ragusa 1883); sie sind in Österreich aus Nordalbanien im 18. Jahrh. eingewandert. Die in Istrien (bei Parenzo) sind jetzt slawisiert (vgl. die Zeitschrift L’Istria, 1852). Endlich giebt es in Thrazien südöstlich von Philippopel in dem Dorfe Arnautköi, in Kleinasien und in dem Dorfe Bolkonesti in Bessarabien.
Der Name «Albaner» begegnet uns zuerst in der Geographie des Ptolemäus, wo neben den illyr. Völkerschaften der Taulantier, Elimioten und Oresten auch Albaner mit der Hauptstadt Albanopolis (nicht das heutige Elbassan, s. d.) genannt werden. Der Name Albaner ist wahrscheinlich die Hellenisierung einer Form mit r, das in dem serb. Arbanas und dem neugriech. Arvanitis (daraus türk. Arnaut) erhalten ist. Eine Gegend in Albanien heißt Arberi, nämlich das Hinterland der Akrokeraunischen Berge mit Avlona, Kurveljesch u. s. w., die Bewohner Arber. Nach diesem Stamme heißt das ganze Volk. Arber nennen sich heute die in Griechenland und Italien. Die übrigen nennen sich selbst Schkjipetar, was wahrscheinlich die «Verstehenden» bedeutet, vom lat. excipio, «ich verstehe» (albanes. škjipónj).
Die älteste Geschichte der Albanesen ist in tiefes Dunkel gehüllt. Die macedon. Könige, die oft mit den Illyriern Krieg führten, sind wohl niemals dazu gelangt, sie völlig zu unterwerfen. Aus dem 4. Jahrh. v. Chr. wird über einen Einfall der Kelten in Illyrien berichtet. Nach langen Kämpfen, in denen besonders die illyr. Königin Teuta und König Gentios genannt werden, unterwarfen die Römer die Illyrier; ihre Herrschaft hat auf die Gestaltung der albanes. Sprache den größten Einfluß geübt (s. Albanesische Sprache und Litteratur).
Später herrschten in Nordalbanien 130 Jahre lang (bis 535 n. Ehr.) die Goten, vorübergehend auch die Normannen unter Robert Guiscard und Boemund. Größere histor. Bedeutung haben die Einfälle der Slawen, die vom 5. Jahrh. an ununterbrochen die Balkanhalbinsel heimsuchten. Bis zur Schlacht auf dem Amselfelde (1389) bildete Nordalbanien eine Provinz des serbischen Reichs. Südalbanien stand etwa ein Jahrhundert unter der Herrschaft der Bulgaren, deren Fürst in Ochrida residierte.
Das Reich des Zaren Simeon umfaßte das ganze epirotische Küstenland, von dem Korfu gegenüberliegenden Ufer bis zur Mündung des Drin, mit Ausnahme einiger in der Gewalt der Byzantiner gebliebenen Häfen; die Grenzen gegen Serbien waren der Drin, der Weiße Drin und der Ibar. Dann löste das Despotat von Epirus die bulgar. Herrschaft ab. Die Türken unterwarfen die Albanesen nach langen und blutigen Kämpfen, in denen sich Georg Kastriota, genannt Skanderbeg, hervorthat.
Auch nach dessen Tode (1468) leisteten die Albanesen noch längere Zeit Widerstand. Durch den Frieden zwischen der Türkei und Venedig 1478 wurde Albanien türk. Provinz; aber das Land blieb noch lange unbotmäßig, und noch heute sind die Bergstämme von Nordalbanien nur dem Namen nach unterworfen. Seit dem 17. Jahrh. gewann der Islam an Boden; die Albanesen ließen sich seitdem in das türk. Heer einreihen, dessen bester Kern sie besonders seit der Errichtung des Janitscharenkorps wurden. 1770 schickte die Pforte zur Niederwerfung des von Rußland angezettelten Aufstandes der Griechen Albanesen gegen diese.
Damals trat auch Ali Pascha von Tepelen auf, dessen Ziel die Vereinigung der durch Stammesfehden zerfallenen Albanesen unter einer Herrschaft war; sein Tod (1822) setzte diesem Plane ein Ende. Im griech. Aufstande zeigten sich die türkischen Albanesen wiederum als unversöhnliche Feinde der Griechen, während die Südalbanesen, besonders die Sulioten, an dem Freiheitskampfe hervorragenden Anteil nahmen. Nach der Aufrichtung des griech. Königreichs folgten mehrere Aufstände der Albanesen gegen die Pforte.
Reschid Pascha dämpfte 1829 einen von dem Vicekönig von Ägypten Mehemed Ali unterstützten Aufstand durch die Niedermetzelung von 400 albanes. Führern in Bitolia. Ebenso wurden die Empörungen von 1843, 1847, 1854 gewaltsam unterdrückt. Als 1879 durch den Berliner Vertrag Dulcigno und Antivari an Montenegro abgetreten wurden, widersetzten sich die Nordalbanesen mit den Waffen, wurden aber von Derwisch Pascha 1880 und 1881 unterworfen; der Mirditenfürst Bib Doda wurde nach Konstantinopel berufen.
In Nordalbanien ist die Macht der türk. Behörden sehr gering; die Bergstämme regieren sich thatsächlich selbst und verkehren mit dem Wali durch einen Bulukbaschi. Die Stämme bilden aristokratische Gemeinwesen, an deren Spitze ein Bairaktar (Fahnenträger) steht; dieser hat im Kriege die Führung der von dem Stamme gestellten Bewaffneten, über wichtige Fragen entscheidet die Versammlung
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der Ältesten (Pljekjenia); ihre Mitglieder werden durchs Los gewählt, zu ihnen gehören die Gjobár (welche die Geldbußen, gjobe, eintreiben) und die Dorzan, die dem Wali für die Ruhe des Stammes verantwortlich sind. Über Gegenstände des allgemeinen Interesses, wie Krieg und Frieden, Änderung der Gesetze, beschließt die Volksversammlung (kuvént), zu der jedes Haus einen Vertreter schickt. Die weitern Streitigkeiten werden durch die Blutrache geschlichtet, die in Mittel- und Nordalbanien noch in voller Kraft ist.
Vergehen wie Mord, Entführung, Notzucht, Ehebruch werden unweigerlich durch dieselbe ausgetragen; ihre Opfer sind jährlich sehr zahlreich und viele Familien und Geschlechter werden hierdurch verwüstet. –
Vgl. Miklosich, Die Blutrache bei den Slawen (Wien 1886j; Gopčević, Oberalbanien und seine Liga (Lpz. 1881).
Litteratur: Thunmann, Untersuchungen über die Geschichte der östl.-europ. Völker (Tl. 1, Lpz. 1774);
Hobhouse, Journey through Albania (Lond. 1812; 2. Aufl., 2 Bde., 1818);
Pouqueville, Voyage dans la Grèce (5 Bde., Par. 1820–22);
Broughton, Journey through Albania and Turkey (2 Bde., Lond. 1855);
von Hahn, Albanes. Studien (Jena 1854);
Walker, Through Macedonia to the Albanian lakes (Lond. 1864);
Tozer, Researches in the Highlands of Turkey, including visits to the Mirdite Albanians (2 Bde., ebd. 1869);
von Hahn, Reise durch die Gebiete des Drin und Wardar (Wien !870);
Wassa Effendi, Albanien und die Albanesen (Berl. 1879);
Chiara, L’Epiro, gli Albanesi e la lega (Palermo 1880): Diefenbach, Völkerkunde Osteuropas (2 Bde., Darmst. 1880);
Knight, Albania, Narrative of a recent travel (Lond. 1880).