Streitfrage zwischen den
Vereinigten Staaten
[* 2] von
Nordamerika
[* 3] und
England, veranlaßt
durch den
Schaden, welchen verschiedene Kaperschiffe der südlichen
Konföderation während des Sezessionskriegs dem
Handel
und der
Schiffahrt der nordamerikanischen
Union zugefügt hatten. Diese Kaperschiffe waren nämlich teils in englischen Häfen
gebaut worden, teils hatten sie unter englischer
Flagge der amerikanischen
Handelsmarine an den verschiedenstenOrten
und in der verschiedensten
Weise beträchtlichen Nachteil bereitet; so ganz besonders die in
Liverpool
[* 4] ausgerüstete
Alabama
unter
Kapitän Semmes, welche endlich von dem amerikanischen
Kriegsschiff Kearsarge bei
Cherbourg
[* 5] zerstört wurde.
Nach ihr wird daher der ganze Streit Alabamafrage genannt. Die
Regierung der
Vereinigten Staaten von
Nordamerika erblickte
nämlich in dem
VerfahrenEnglands einen Neutralitätsbruch, da es nichts gethan hatte, um das Auslaufen der südlichen Piratenschiffe
aus englischen Häfen zu verhüten. Nach Beendigung des Sezessionskriegs begannen die
Verhandlungen über diese
Frage, die
nicht selten eine so ernste Form annahmen, daß ein
Krieg zwischen den
Vereinigten Staaten undEngland auszubrechen
drohte, da die
Vereinigten Staaten von
EnglandErsatz für allen durch die
Alabama und ähnliche
Schiffe
[* 6] angerichteten direkten
und indirekten
Schaden verlangten.
Bezeichnung für eine berühmt gewordene völkerrechtliche Streitfrage zwischen Großbritannien
[* 13] und den
Vereinigten Staaten von Amerika.
[* 14] Während des amerik. Bürgerkrieges hatte der in Liverpool gebaute und
von engl. Firmen ausgerüstete konföderierte Kaper«Alabama» den amerik. Handel in hohem Grade gestört, bis er angesichts
des franz. Hafens Cherbourg von der Unionskorvette Kearsarge in den Grund gebohrt wurde. Da die großbrit.
Regierung, obwohl rechtzeitig von der amerik. Gesandtschaft und amerik. Konsuln auf den drohenden Friedensbruch
aufmerksam gemacht und darüber vollständig unterrichtet, daß die auf ihrem, also neutralem Gebiete erbaute, bemannte und
ausgerüstete Alabama und ebenso andere Schiffe zu Kriegszwecken gegen die Union bestimmt seien, das Auslaufen der konföderierten
Kaper aus engl. Häfen nicht verhindert hatte, so erblickte das Kabinett von Washington hierin mit vollem
Rechte eine Verletzung der Neutralität und verlangte Ersatz für den von solchen Kaperschiffen an amerik.
Eigentum angerichteten Schaden. Die Verhandlungen darüber nahmen mehrmals eine sehr drohende Form an. Endlich kamen beide
Mächte im Febr. 1871 überein, die Differenz durch eine gemeinschaftliche Kommission zur Erledigung zu
bringen. Diese trat in Washington zusammen und einigte sich 8. Mai über einen Vertrag, nach dem die Alabamafrage einem in Genf
tagenden
Schiedsgerichte (Tribunalof Arbitration) zur Entscheidung übergeben werden sollte. Die in jenem Vertrage aufgestellten
Grundsätze
über die Pflichten der Neutralen dürfen als allgemein maßgebende Normen betrachtet werden (Heffter,
Völkerrecht §. 148); danach darf kein neutraler Staat dulden
1) daß in seinem Gebiete Schiffe ausgerüstet, bewaffnet oder equipiert werden, welche bestimmt sind, gegen eine
der kriegführenden Mächte zu kreuzen oder Krieg zu führen: ebenso muß das Auslaufen solcher Schiffe aus neutralen
Häfen verhindert werden;
2) dürfen neutrale Häfen oder Gewässer nicht als Basis kriegerischer Operationen eingeräumt oder zur Erneuerung von Mannschaften,
Waffen,
[* 15] Munition, Vorräten benutzt werden;
3) muß der neutrale Staat auch Privatpersonen an der Verletzung obiger Verpflichtungen mit seinen Mitteln verhindern. Das
Schiedsgericht trat zusammen. Seine Thätigkeit wurde jedoch bald wieder in Frage gestellt,
da die nordamerik. Regierung auch für die dem Handel indirekt durch die südstaatlichen Kreuzer verursachten Verluste Ersatz
verlangte. England erklärte daraufhin in Washington, es werde sich dem Schiedssprüche nicht unterwerfen, wenn
die Frage der indirekten Verluste nicht fallen gelassen werde.
Eine weitere Verschärfung des Konflikts wurde jedoch dadurch vermieden, daß das Schiedsgericht sich für unzuständig erklärte,
über die Frage des indirekten Schadens zu entscheiden, und die Regierung von Washington diesen Anspruch fallen ließ. Der verkündigte
Spruch machte England haftbar für die durch die südstaatlichen KaperAlabama, Florida und Shenandoah verursachten
Verluste, erklärte die Avisoschiffe für ebenso haftbar wie die Fahrzeuge, zu denen sie gehörten, und setzte die von
England an die Vereinigten Staaten zu zahlende Entschädigungssumme samt Zinsen auf 15½ Mill. Doll. oder 3 229 166 Pfd. St.
fest.
Vgl. Official correspondence on the claims in respect totheAlabama (Lond. 1867);
Bluntschli, Opinion impartiale sur le question de laAlabama (Berl. 1870): Geffcken, Die Alabamafrage (Stuttg.
1872).
Eine genaue Darlegung des amerik. Standpunktes enthält die offizielle amerik. Staatsschrift«The case of theUnited States,
laid before theTribunalof Arbitration convenedatGeneva» (Lpz. 1872). Von seiten Englands wurden zwei
Denkschriften in Form von parlamentarischen Blaubüchern eingereicht unter den Titeln«The case of theUnited States, to be laidbefore theTribunalof Arbitration to be convenedatGeneva» (Lond. 1872) und «Casepresented on the party oftheGovernment ofHerBritannic Majesty to theTribunalof Arbitration» (ebd. 1872).