Titel
Alabamafrage
,
Bezeichnung für eine berühmt gewordene völkerrechtliche Streitfrage zwischen Großbritannien [* 2] und den Vereinigten Staaten [* 3] von Amerika. [* 4] Während des amerik. Bürgerkrieges hatte der in Liverpool [* 5] gebaute und von engl. Firmen ausgerüstete konföderierte Kaper «Alabama» den amerik. Handel in hohem Grade gestört, bis er angesichts des franz. Hafens Cherbourg [* 6] von der Unionskorvette Kearsarge in den Grund gebohrt wurde. Da die großbrit.
Regierung, obwohl rechtzeitig von der amerik. Gesandtschaft und amerik. Konsuln auf den drohenden Friedensbruch aufmerksam gemacht und darüber vollständig unterrichtet, daß die auf ihrem, also neutralem Gebiete erbaute, bemannte und ausgerüstete Alabama und ebenso andere Schiffe [* 7] zu Kriegszwecken gegen die Union bestimmt seien, das Auslaufen der konföderierten Kaper aus engl. Häfen nicht verhindert hatte, so erblickte das Kabinett von Washington [* 8] hierin mit vollem Rechte eine Verletzung der Neutralität und verlangte Ersatz für den von solchen Kaperschiffen an amerik.
Eigentum angerichteten Schaden. Die Verhandlungen darüber nahmen mehrmals eine sehr drohende Form an.
Endlich kamen beide
Mächte im Febr. 1871 überein, die Differenz durch eine gemeinschaftliche
Kommission zur Erledigung zu
bringen. Diese trat in
Washington zusammen und einigte sich 8. Mai über einen
Vertrag, nach dem die Alabamafrage
einem in Genf
[* 9] tagenden
Schiedsgerichte
(Tribunal of Arbitration) zur
Entscheidung übergeben werden sollte. Die in jenem
Vertrage aufgestellten
Grundsätze
über die Pflichten der Neutralen dürfen als allgemein maßgebende Normen betrachtet werden
(Heffter,
Völkerrecht §. 148); danach darf kein neutraler
Staat dulden
1) daß in seinem Gebiete Schiffe ausgerüstet, bewaffnet oder equipiert werden, welche bestimmt sind, gegen eine der kriegführenden Mächte zu kreuzen oder Krieg zu führen: ebenso muß das Auslaufen solcher Schiffe aus neutralen Häfen verhindert werden;
2) dürfen neutrale Häfen oder Gewässer nicht als Basis kriegerischer Operationen eingeräumt oder zur Erneuerung von Mannschaften, Waffen, [* 10] Munition, Vorräten benutzt werden;
3) muß der neutrale Staat auch Privatpersonen an der Verletzung obiger Verpflichtungen mit seinen Mitteln verhindern. Das Schiedsgericht trat zusammen. Seine Thätigkeit wurde jedoch bald wieder in Frage gestellt, da die nordamerik. Regierung auch für die dem Handel indirekt durch die südstaatlichen Kreuzer verursachten Verluste Ersatz verlangte. England erklärte daraufhin in Washington, es werde sich dem Schiedssprüche nicht unterwerfen, wenn die Frage der indirekten Verluste nicht fallen gelassen werde.
Eine weitere Verschärfung des Konflikts wurde jedoch dadurch vermieden, daß das Schiedsgericht sich für unzuständig erklärte, über die Frage des indirekten Schadens zu entscheiden, und die Regierung von Washington diesen Anspruch fallen ließ. Der verkündigte Spruch machte England haftbar für die durch die südstaatlichen Kaper Alabama, Florida und Shenandoah verursachten Verluste, erklärte die Avisoschiffe für ebenso haftbar wie die Fahrzeuge, zu denen sie gehörten, und setzte die von England an die Vereinigten Staaten zu zahlende Entschädigungssumme samt Zinsen auf 15½ Mill. Doll. oder 3 229 166 Pfd. St. fest.
Beide Teile nahmen den Schiedsspruch an. –
Vgl. Official correspondence on the claims in respect to the Alabama (Lond. 1867);
Bluntschli, Opinion impartiale sur le question de la
Alabama (Berl. 1870): Geffcken, Die Alabamafrage
(Stuttg.
1872).
Eine genaue Darlegung des amerik. Standpunktes enthält die offizielle amerik. Staatsschrift «The case of the United States, laid before the Tribunal of Arbitration convened at Geneva» (Lpz. 1872). Von seiten Englands wurden zwei Denkschriften in Form von parlamentarischen Blaubüchern eingereicht unter den Titeln «The case of the United States, to be laid before the Tribunal of Arbitration to be convened at Geneva» (Lond. 1872) und «Case presented on the party of the Government of Her Britannic Majesty to the Tribunal of Arbitration» (ebd. 1872).