Ahnung
,
in der klassischen Litteraturperiode allgemein, aber falsch, Ahndung geschrieben, im weitern
Sinn jede Erwartung
zukünftiger Ereignisse, die sich auf (sei es objektive, sei es subjektive) unbewußt bleibende
Gründe stützt. Liegt dabei
der
Grund der Erwartung in der
Beschaffenheit des Erwarteten, z. B. in dessen
Ähnlichkeit mit an uns
oder an
andern gemachten
Erfahrungen und in der wohlbegründeten Voraussetzung, daß sich unter ähnlichen Umständen Ähnliches wieder
ereignen werde, so ist die vermeintliche Ahnung
nichts weiter als ein Analogieschluß und unterscheidet sich von der
gewöhnlich mit obigem
Namen bezeichneten Verstandesoperation lediglich durch den Umstand, daß er sich
ohne unser
Wissen um ihn (unwillkürlich) vollzieht, besitzt daher auch, wie jene, nicht mehr und nicht weniger Anspruch auf
Verläßlichkeit, als die
Natur der
Vordersätze, aus welchen er gezogen wird, erlaubt. Ahnungen
dieser Art (objektive) können
zwar für ein Vorherwissen, d. h. (unbewußtes) Erschließen des Zukünftigen
aus dem Vergangenen, gelten, haben als solches aber durchaus nichts Wunderbares. Liegt dagegen der
Grund der Erwartung in der
Beschaffenheit des Erwartenden, z. B. in dessen bleibender oder augenblicklicher (heiterer
oder trüber) Gemütsstimmung, so ist die vermeintliche Ahnung
nichts weiter als eine durch diese letztere
¶
mehr
hervorgerufene und derselben entsprechende Einbildung eines (frohen oder traurigen) Ereignisses als künftig bevorstehend.
Dieselbe unterscheidet sich von einem willkürlichen Einfall nur dadurch, daß sie, was dem vermeintlich Ahnenden eben nicht
zum Bewußtsein kommt, lediglich Ausfluß
[* 3] seiner eignen Gemütslage, nicht der Dinge selbst, und daher zwar jener, nicht aber
diesen gemäß ist. Von Natur heitere Gemüter haben daher meist frohe, Ängstliche dagegen meist traurige
Ahnungen.
Aus derartigen Ahnungen
(subjektive oder Ahnungen im engern Sinn) läßt sich wohl auf die bleibende oder eben vorhandene
Gemütsstimmung des Ahnenden, nicht aber auf das Eintreten oder Nichteintreten des angeblich Geahnten ein Schluß machen.
Dieselben sind, wie Kant scharf, aber treffend sagt, in letzterer Beziehung ausschließlich als »Hirngespenst«
anzusehen. Da nun in beiden angeführten Fällen die Gründe »unbewußt« bleiben, der Ahnende weder wissen kann, ob seine
Erwartung auf objektiven oder nur subjektiven, noch, daß sie überhaupt auf Gründen ruht: so ist es nicht nur erklärlich,
daß die Ahnung
»grundlos« und, wenn das Erwartete
(zufälliger- oder notwendigerweise) wirklich eintritt, dieses Zusammentreffen »wunderbar«
scheint, sondern auch, daß, weil die objektive Ahnung
(als berechtigter Analogieschluß) sich in der That bewähren
kann und nicht selten bewährt, daraus eine Zuversicht entsteht, die auf die Ahnung
überhaupt (objektive wie subjektive) übertragen
wird.
Der Glaube an Ahnungen
findet sich daher bei fast allen Völkern und zu allen Zeiten, hauptsächlich in Verbindung mit solchen
(zum Teil bestrittenen, zum Teil rätselhaften) Erscheinungen und Zuständen, in welchen (wie im Schlafwachen, Traumwandeln,
magnetischen Schlaf etc.) sonst nur bei wachem Bewußtsein vorkommende Vorgänge ohne dasselbe vollzogen werden. Wiederholtes
Eintreffen des Geahnten gibt und gab dann Veranlassung, ein besonderes Ahnungs-
oder Vorhersehungsvermögen (Hellsehen; das
zweite Gesicht bei den Bergschotten; Instinkt bei Menschen und Tieren) anzunehmen. Daß ein solches »Vermögen«, wenn es ein Vorhersehen
nach Erfahrungsgesetzen (objektive Ahnung
) ist, einfach natürlich, wenn es denselben entgegen erfolgt (subjektive
Ahnung
), widernatürlich, wenn es Eingebung einer von der Natur unterschiedenen Ursache ist oder dafür gehalten
wird (Divination, Inspiration), übernatürlich, also unerweislich sei, hat Kant gleichfalls scharfsinnig hervorgehoben.