Ahnen
(althochd. ano, mittelhochd. an), im engsten Sinn s. v. w. Großeltern, dann überhaupt Vorfahren. Der Beweis der Ahnen (Ahnenprobe) war eine wichtige Institution des auf die Geburtsstände begründeten germanischen Rechts. Die aus nicht ebenbürtiger Ehe hervorgegangenen Kinder waren in verschiedenen Beziehungen ungünstig gestellt, namentlich succedierten sie nicht in die Lehen. Nur der Sohn war ebenbürtig, dessen Vater und Mutter aus ebenbürtiger Ehe hervorgegangen waren. Der Sachsenspiegel schreibt daher durchweg den Beweis von vier Ahnen, also der beiden Großelternpaare, vor. Auch für das Kampfgericht war die Ahnenprobe erforderlich, weil jeder nur seinen Genossen kämpflich ansprechen konnte. Unter der Herrschaft des Sachsenspiegels waren diese Verhältnisse so streng geordnet, daß die mit einem Dienstweib erzeugten Kinder eines freien Herrn den Adel, die mit einer Bauerntochter erzeugten Kinder eines Ritterbürtigen den Heerschild (s. d.) verloren. Etwa von 1400 an wurde dies Recht laxer gehandhabt. Schon König Ruprecht erteilte Befreiungen vom Zwang der Ebenbürtigkeit. Durch die Begründung des nicht feudalen Briefadels verlor die Ahnenprobe viel von ihrer frühern Bedeutung, anderseits aber wurde von dem Lehnsadel, um die »neugebackenen« Edelleute von den Orden, Domstiftern, Ritterspielen etc. auszuschließen, eine immer strengere Ahnenprobe (zu 8, 16 und 32 ebenbürtigen Ahnen) eingeführt. In Schlesien und in der Lausitz galt bis in die neueste Zeit nur der »vierschildige«, d. h. der von vier ebenbürtigen Geschlechtern abstammende, Edelmann als vollberechtigt. Wer an den vier Ahnen Mangel litt, konnte keinen rechten Edelmann an Ehren verletzen, nicht gegen denselben Zeugnis ablegen; er war in keinem Ehrenhandel zu brauchen, kurz er war der adligen Privilegien nicht teilhaftig. Jedes Fürstentum der genannten Provinzen hatte eine Ritterbank, die von dem Fürsten, resp. dem Landvogt mit einem Marschall und zwölf Beisitzern besetzt wurde; außerdem fungierte bei dem Ritterrecht ein Herold. Vor diesem Gerichtshof wurden die Ahnen erprobt und Ehrenhändel im Zweikampf ausgefochten. Die Probenden führten die gemalten Schilde ihrer vier Ahnen vor, welche von Angehörigen der betreffenden vier Geschlechter beschworen werden mußten. Die schlesische Ahnenprobe war also eine rein heraldische. Im übrigen Deutschland bediente man sich bei den Ahnenproben der Ahnentafel (s. unten), in welcher sämtliche zu beweisende Ahnen mit Vor- und Zunamen sowie dem richtigen Wappen aufgeführt und die Filiation urkundlich nachgewiesen sein mußte. Unter der Filiationsprobe versteht man nämlich den Nachweis, daß alle in der Ahnentafel als Ehegatten aufgeführten Personen in rechtsgültiger Ehe gelebt haben, und daß die in der Ahnentafel aufgeführten Kinder ehelich erzeugt sind. Hierzu mußte dann noch der Beweis der Ritterbürtigkeit kommen. Als Beweismittel wurden neben den Kirchenbüchern auch Grabsteine, Leichenpredigten und das eidliche Zeugnis zweier Edelleute angenommen. Da diese Ahnenproben den Weg in die reichen Pfründen der Domkapitel und der adligen Stifter bahnten, hielten vorsichtige Väter oder Freier noch im vorigen Jahrhundert sehr darauf, sich nach den Ahnen des andern Teils zu erkundigen, ehe sie sich in ein Eheverlöbnis einließen. Mit der Säkularisierung der Kirchengüter im Anfang des 19. Jahrh. verloren die Ahnenproben den letzten Rest ihrer rechtlichen Bedeutung. Nur für den Eintritt in das Domkapitel zu Olmütz, für den preußischen Johanniter-, den Deutschen, Malteser-, den bayrischen St. Georgs- und einige andre Orden sowie für die Kammerherrenstellen ist heute noch eine Ahnenprobe erforderlich.
Unter Ahnentafel, vom Stammbaum (s. d.) wohl zu unterscheiden, versteht man eine Aufstellung der väterlichen und mütterlichen Ahnen einer bestimmten Persönlichkeit nach folgendem Schema:
⃞ Großvater O Großmutter | ⃞ Großvater O Großmutter |
⃞ Vater | O Mutter |
⃞ |
Dies würde eine Ahnentafel zu vier Ahnen sein. Wird dieselbe noch weiter zurückgeführt, so entstehen Ahnentafeln von 8, 16, 32, 64 u. s. f. Ahnen, da sich durch Hinzufügung einer weitern Generation die oberste Ahnenreihe immer verdoppelt. Mit der Beseitigung der exklusiv adligen Domkapitel im Anfang dieses Jahrhunderts (nur das erzbischöfliche oder Metropolitan-Domkapitel von Olmütz nimmt auch jetzt noch bloß Edelleute auf) haben die Ahnentafeln ihren eigentlichen praktischen Zweck verloren.