Titel
Agrārische
Gesetze (Leges agrāriae, »Ackergesetze«),
bei den Römern Gesetze, welche eine gleichmäßigere Verteilung des zum Nutzungsrecht oder zum Übergang in das Eigentum der Bürger bestimmten Gemeindelands (ager publicus) bezweckten. Schon seit ¶
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ältester Zeit gab es in Rom [* 3] Gemeindeland, das sich durch Eroberungen beträchtlich vermehrte. Nur ein Teil des von den unterworfenen Städten abgetretenen Grundbesitzes wurde an ärmere Bürger verteilt (assignatio), der größere blieb Staatseigentum und wurde den Bürgern gegen einen Pachtzins zur Nutznießung als Weideland (possessio) überlassen. Dieses Nutzungsrecht beanspruchten nun nach Vertreibung der Könige die Patrizier als ihr ausschließliches Privilegium, für das sie auch keinen Zins mehr zahlten.
Dieser Anspruch gab den Plebejern Anlaß zu heftigen Klagen über Zurücksetzung und zu der Forderung von Verteilungen des ager
publicus an Plebejer oder von Assignationen, welche die wiederholt beantragten agrarischen
Gesetze durchführen
sollten. Das erste Agrargesetz war das des Konsuls Spurius Cassius Viscellinus 486 v. Chr., der aber diesen Angriff auf die patrizischen
Vorrechte mit dem Tod büßen mußte. Einzelne Landverteilungen kamen zwar vor, aber eine gründliche Reform durch Gesetze wußten
die Patrizier immer zu verhindern, bis Cajus Licinius Stolo und Lucius Sextius 367 eine lex agraria zur Annahme
brachten, welche bestimmte, daß 1) niemand mehr als 500 Jugera (zu 17 Ar) vom ager publicus im Besitz haben, 2) niemand mehr
als 100 Stück großes und 500 Stück kleines Vieh auf der Gemeinweide halten, 3) die Nutzung derselben allen Bürgern gegen
eine Abgabe freistehen solle.
Dies Gesetz hatte die wohlthätigsten Folgen, indem sich ein wohlhabender freier Bauernstand bildete, auf dem vornehmlich die Kraft [* 4] Roms beruhte; 232 wurde durch die lex Flaminia z. B. das Gebiet der Gallier und Picenter an ärmere Bürger verteilt. Dieser Bauernstand verschwand aber im 2. Jahrh., als der reiche Adel die Bauerngüter aufkaufte und zu großen, durch Sklaven bewirtschafteten Latifundien verschmolz, während die frühern Bauern nach Rom strömten und hier die besitzlose Menge vermehrten.
Deshalb beantragten Tiberius Gracchus 133 und nach ihm 123 sein Bruder Gajus die Erneuerung des Licinischen Ackergesetzes in der
Art, daß die Staatsländereien, welche diejenigen, die mehr als 500 Jugera besaßen, gegen Entschädigung
für errichtete Bauten und Anlagen herausgeben mußten, an ärmere Bürger als fester, unverkäuflicher, mit einer Staatsabgabe
belasteter Besitz verteilt werden sollten. Die Gesetze der Gracchen wurden auch von den Tributkomitien angenommen, aber ihre
Ausführung, die wegen der schwierigen Ermittelung, was ager publicus, was Privateigentum war, viele
Zeit erforderte, durch den Untergang der Brüder unterbrochen und 111 durch die lex Thoria das Staatsland den Inhabern als abgabenfreies
Privateigentum zugewiesen. Hiermit war die Verteilung von Staatsland an ärmere Bürger für die Zukunft unmöglich gemacht,
zumal das Volk in Rom sich aller Arbeit entwöhnt hatte und sich lieber vom Staat ernähren ließ. Spätere
agrarische Gesetze
hatten meist nur Ackerverteilungen an Veteranen zum Ziel.