Affen.
[* 2]
Fossile menschenähnliche Affen
sind bisher nur in vereinzelten Bruchstücken, bestehend in einzelnen
Zähnen,
Unterkiefern,
Stücken von Oberarm und
Schenkel, und zwar in Süddeutschland,
Frankreich und der
Schweiz
[* 3] gefunden worden, und es hat sich an
jedem dieser
Funde begreiflicherweise ein lebendiges
Interesse geknüpft, weil
man in ihnen die
Brücke
[* 4] zwischen
Mensch und
Tier gefunden zu haben glaubte. Zwei
Arten ließen sich bisher unterscheiden, die beide den indischen
Gibbons
(Hylobates)
nahezustehen scheinen.
Der eine (Pliopithecus antiquus) ist in einem 1857 von Lartet in den Süßwassermergeln von Sansan (Departement Gers) gefundenen Unterkiefer mit 16 Zähnen und mehreren noch im Knochen [* 5] steckenden Oberzähnen aus der Braunkohle von Elgg in der Schweiz bekannt und den lebenden Gibbon-Arten so ähnlich, daß mehrere Paläontologen ihn dieser Gattung einordneten. Ein größeres Interesse knüpfte sich an eine Anzahl von etwa einem Dutzend Backenzähnen, welche die Erzwäscher in den neogenen Bohnenerzen am Mong bei Salmendingen (Schwäbische Alb) gefunden hatten, und die von den ersten Paläontologen und Anatomen ganz unzweifelhaft für Zähne [* 6] von Menschen gehalten wurden, deren Dasein dadurch in die jüngere Tertiärzeit gerückt worden wäre.
Nun erhielt aber Lartet 1856 aus dem mittlern
Miocän bei St.
Gaudens
(Obergaronne) am Nordrande der
Pyrenäen einen fast vollständigen
Unterkiefer mit derartigen
Zähnen, dessen genauere Untersuchung ergab, daß es sich um einen wirklichen
in der
Größe zwischen
Orang-Utan und
Schimpanse handle, der nach seinem Finder den
Namen
Dryopithecus
[* 7] Fontani erhielt und als
der menschenähnlichste aller bekannten lebenden und fossilen Affen
galt. Er zeichnete sich außer durch die sehr
menschenähnlichen hintern Backenzähne namentlich noch durch das steil abfallende
Kinn aus, welches unter
der
Annahme, daß die Vorderzähne nicht so schräg nach vorn, wie bei andern Affen
, gestanden hätten, auf ein schöneres
menschenähnliches
Profil schließen ließ als bei den andern
Anthropoiden.
Man knüpfte an diesen Fund die weitgehenden Schlüsse, und Albert Gaudry nahm 1878 keinen Anstand, zu vermuten, daß diesem Tier die Kohlenreste und behauenen Feuersteine zuzuschreiben seien, welche der Abbé Bourgeois in miocänen Schichten gefunden haben wollte. Man wird dadurch an die angeblich von Emin Pascha beobachteten und in Stanleys neuem Buch geschilderten Schimpansen erinnert, die ihren Weg durch den dichten nächtlichen Wald mit - brennenden Fackeln suchen sollen!
Gaudry hat seine gute Meinung vom
Dryopithecus aber beträchtlich geändert, seit 1889 ein zweiter vollständigerer
Unterkiefer
desselben Affen
auf der gleichen Fundstätte ans
Licht
[* 8] gebracht und ihm zur Untersuchung übergeben wurde. Er findet nun, daß
das
Gesicht
[* 9] bei der bedeutenden
Länge des
Unterkiefers durchaus nicht negerähnlich gewesen sein könne
(wie Lartet behauptet hatte), daß das
Gebiß ebenso stark hervorragte wie beim
Gorilla und sogar stärker als beim
Orang-Utan
und
Schimpansen und also auch des niedrigststehenden
Menschen.
Von besonderem Interesse sind seine Bemerkungen über die Enge des Raumes, der in diesem Unterkiefer für die Zunge übrigblieb, woran er Schlüsse über die Entwickelung des Sprachvermögens knüpft. Beim Menschen kann sich die Zunge beträchtlich, sowohl nach der Breite [* 10] als nach der Länge, ausdehnen, weil die gebogenen Unterkiefer zwischen den Backenzahnreihen beträchtlichen Raum lassen, und weil die Kinnwand nicht nur sehr dünn ist, sondern sich unten nach vorn vorstreckt, wo sie den für den Menschen so charakteristischen Kinnhöcker bildet. Dadurch erhält die Zunge nach beiden Seiten wie nach vorn einen sehr freien Spielraum, namentlich wenn sie sich nach unten krümmt, was mit der hohen Ausbildung des Sprachvermögens bei höhern Rassen zusammenzuhängen scheint, denn bei tiefer stehenden Menschenrassen [* 11] bemerkt man, daß sowohl der Raum zwischen den hintern Backenzähnen etwas weniger breit ist, als auch das Kinn weniger Raum gewährt, wenngleich der Unterschied nicht bedeutend ist.
Beim Schimpansen ist das Kinn im untern Teile nach hinten (statt nach vorn, wie beim Menschen) geneigt und die Backenzahnreihen sind parallel, statt nach außen gebogen zu sein, so daß der Zunge weniger Raum bleibt, sich nach vorn zu verlängern und hinten in die Breite zu strecken. Beim Orang-Utan und Gibbon ist der Breitenraum noch beschränkter, und beim Gorilla kommt eine bedeutende Verdickung der Kinnwandung hinzu, um den Längsraum weiter zu verkürzen. Nun liegen diese Verhältnisse beim Dryopithecus noch ungünstiger als selbst beim Gorilla, ¶
mehr
denn der Raum zwischen den Unterkieferästen ist ebenso eng wie bei diesem, die Kinnwand aber noch dicker und nach hinten
stark geneigt, so daß sich der Befund sogar dem bei nichtanthropoiden Affen
nähert. Da nun das Sprachvermögen und
die Vorbereitung der Organe zu demselben als das wichtigste Merkmal der Erhebung des Menschen über das
Tier angesehen werden müssen, so muß man nach Gaudry zugeben, daß in diesem Punkte der höchststehende unter den fossilen
Anthropoiden weiter vom Menschen entfernt steht als die heute lebenden Anthropoiden, Ergebnisse, die sich freilich nur schwer
mit den Folgerungen der frühern Untersuchung an derselben Tierart vereinigen lassen. Es wird dies dadurch
erklärt, daß der Lartetsche Kiefer einem jungen Individuum angehört habe, bei dem der Prognathismus noch nicht so entwickelt
war wie bei dem jetzt gefundenen vollentwickelten, und es ist bekannt, daß auch die jetzt lebenden Anthropoiden in der Jugend
viel menschenähnlicher sind als im Alter. Daraus hätte man aber schließen müssen, daß dies für die
ausgestorbenen Anthropoiden überhaupt anzunehmen sei, nicht bloß für ihre Jugend, und es ergibt sich hier ein noch ungelöster
Widerspruch mit der Theorie, der sich zum Teil dadurch löst, daß die ältern Menschenrassen ebenfalls ein wenig vorragendes
Kinn zeigen.