Ätherische
Öle [* 2] (flüchtige Öle, Essenzen), flüchtige Flüssigkeiten, welchen die Pflanzen in der Regel ihren eigentümlichen Geruch verdanken. Sie finden sich in großer Mannigfaltigkeit und sehr verbreitet im Pflanzenreich, am reichlichsten in den Familien der Umbelliferen, [* 3] Labiaten, Kompositen, [* 4] Kruciferen, [* 5] Aurantiaceen, Myrtaceen, Laurineen, Kupressineen, Koniferen, [* 6] Amomen, und zwar in den verschiedensten Organen, besonders in Blüten, Samen, [* 7] Fruchtschalen, meist bei der nämlichen Pflanze in allen Organen von gleicher Beschaffenheit, bisweilen auch in jedem Organ ein eigentümliches Öl.
Sonnenschein und
Wärme
[* 8] begünstigen die
Bildung der ätherischen
Öle, und daher liefert dieselbe
Pflanze
im
Süden oft viel mehr und feineres ätherisches
Öl als im
Norden.
[* 9] Auch
Klima- und Kulturverhältnisse beeinflussen die ätherischen
Öle. Über ihre Entstehung in den
Pflanzen ist nichts bekannt; doch hat
man in Ericeen,
Koniferen und andern
Pflanzen
Substanzen
aufgefunden, welche bei Behandlung mit verdünnten
Mineralsäuren in ein
Kohlehydrat und flüchtiges
Öl
gespalten werden.
Derartige
Spaltungen mögen auch in der lebenden
Pflanze vor sich gehen und
Kohlehydrat und ätherisches
Öl oft aus derselben
Muttersubstanz entstehen. Einige ätherische
Ö. finden sich nicht fertig gebildet in der lebenden
Pflanze, sondern entstehen erst
bei der Zerstörung des
Pflanzengewebes aus
Stoffen, welche bis dahin getrennt voneinander waren. So sind
bittere
Mandeln geruchlos; wenn man sie aber mit
Wasser zerreibt, wirkt das in ihnen enthaltene
Emulsin auf das
Amygdalin fermentartig
ein, und letzteres spaltet sich nun in
Bittermandelöl,
Blausäure und
Zucker.
[* 10]
Ähnlich entsteht das ätherische
Senföl erst beim Zerreiben der Senfsamen mit
Wasser. Eigentümliche
ätherische
Ö. bilden sich bei der
Gärung frischer oder abgestorbener Pflanzensubstanz
(Fermentöle), reichlich z. B. aus dem im
Herbst abfallenden
Laub, wo sie dann den charakteristischen
Geruch im entblätterten Laubwald bedingen. Im
Tierreich finden sich
nur wenige hierher gehörige
Körper, da die meisten tierischen
Gerüche durch flüchtige,
fette Säuren
hervorgebracht werden. Einige ätherische
Ö. hat man auch ohne
Hilfe der
Pflanzen künstlich dargestellt
(Senföl,
Bittermandelöl,
Wintergrünöl).
Man gewinnt die ätherischen
Öle aus einigen sehr ölreichen Pflanzenteilen, wie
Bergamott-,
Zitronen-, Orangeschalen, durch
Aufreißen der Öldrüsen derselben an einem
Reibeisen und Auspressen, in der
Regel aber durch Erhitzen
der Pflanzensubstanz mit
Wasser oder Wasserdampf in einem Destillationsapparat und Verdichten der Wasserdämpfe, welchen die
Dämpfe des ätherischen
Öls
[* 11] beigemengt sind, mittels eines Kühlapparats. Das Destillationsprodukt ist ein meist trübes
Wasser, welches ätherisches
Öl gelöst enthält und daher stark nach demselben riecht (aromatisches, ätherisches
, abgezogenes
Wasser).
War die Pflanzensubstanz reich an ätherischem
Öl, so verflüchtigt sich von
demselben mehr, als in dem
Wasser gelöst bleiben kann, und ein Teil des
Öls schwimmt auf dem letztern. Wenn dagegen die Pflanzensubstanz nur wenig
Öl
enthält, so muß man das erhaltene Destillat mit einer neuen
Menge derselben Pflanzensubstanz abermals destillieren,
um zur Abscheidung von ätherischem
Öl zu gelangen. Zur bequemen Trennung des ätherischen
Öls vom
Wasser bei der Verarbeitung
großer
Mengen dient die
Florentiner Flasche
[* 12] (s. d.).
Manche
Pflanzen geben bei der
Destillation
[* 13] überhaupt kein ätherisches
Öl, und einige sehr zarte Pflanzengerüche
(Veilchen) werden durch die
Destillation bedeutend modifiziert; in diesen
Fällen muß man sich begnügen, die betreffenden ätherischen
Öle an
Fett zu binden (s.
Parfümerie). In neuerer Zeit hat man
angefangen, aromatische
Vegetabilien mit
Methylchlorür auszuziehen. Man erhält dann eine
Lösung des ätherischen
Öls, von
welchem das sehr flüchtige Lösungsmittel leicht getrennt werden kann.
Die ätherischen Öle sind bei mittlerer Temperatur flüssig, meist farblos oder gelb, einige braun oder rot, wenige grün oder blau (Kamillenöl); sie sind in Wasser wenig, in Alkohol, Äther, Chloroform, Schwefelkohlenstoff und fetten Ölen leicht löslich. Sie riechen durchdringend und geben den Geruch der Pflanze, von welcher sie stammen, oft dann erst ganz treu wieder, wenn man sie in viel Alkohol löst und die Lösung mit Wasser verdünnt. Sie schmecken brennend, brechen das Licht [* 14] sehr stark, lenken den polarisierten Lichtstrahl ab, machen auf Papier einen Fettfleck, der an der Luft allmählich wieder verschwindet, lösen Fette, Harze, Schwefel, Phosphor, brennen mit rußender Flamme, [* 15] sind meist leichter als Wasser, sieden meist über 140°, können destilliert werden, wobei sie aber in der Regel mehr oder weniger ihren Geruch verändern, und verflüchtigen sich am leichtesten mit Wasserdämpfen.
Die Zusammensetzung der ätherischen Öle ist sehr verschieden. Viele sind Gemenge von Kohlenwasserstoffen, die meist der empirischen Formel C10H16 entsprechen (Kamphene, Terbene). Diese ätherischen Öle weichen in ihren Eigenschaften im allgemeinen nur wenig voneinander ab, unterscheiden sich aber durch Geruch, Geschmack und optisches Verhalten; sie verbinden sich meist mit Wasser und mit Salzsäure zu oft kristallisierbaren Körpern.
Andre ä. Ö. enthalten neben Kohlenwasserstoffen sauerstoffhaltige Körper, wie Aldehyde, Alkohole, Acetone, Säuren, zusammengesetzte Äther; nur wenige sind schwefelhaltig (Senföl, Knoblauchöl). Bei niederer Temperatur scheiden manche a. Ö. feste Körper aus (Stearoptene, Kampfer), während Eläopten flüssig bleibt. An der Luft nehmen die ätherischen Öle Sauerstoff auf, werden dabei meist dunkler und dickflüssig, und die Kohlenwasserstoffe verwandeln sich in harzartige, nicht flüchtige Produkte unter gleichzeitiger Bildung von Ameisensäure, Essigsäure, Kohlensäure.
Die aldehydhaltigen Öle liefern an der Luft Säuren, welche sich kristallinisch ausscheiden (Zimtsäure aus Zimtöl, Benzoesäure aus Bittermandelöl). Viele ätherische Ö. sind eminente Ozonträger (s. Ozon). Sauerstofffreie Öle erhitzen sich, wenn sie frisch sind, lebhaft mit Jod und erleiden eine Art Verpuffung, während die sauerstoffreichen das Jod ohne oder unter geringer Erhitzung lösen. Sauerstofffreie Öle geben, mit trocknem Nitroprussidkupfer einige Minuten gekocht, einen grünen oder blaugrünen Niederschlag, ohne sich zu färben; sauerstoffhaltige geben aber einen schwarzen, grauen oder braunen Niederschlag und färben sich selbst dunkler gelb- oder ¶
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grünbraun. Diese und ähnliche Reaktionen benutzt man zur Prüfung der ätherischen Öle auf Verfälschungen, doch bleibt für feinere Unterscheidungen vielfach die Nase [* 17] das beste Reagens. Die meisten, vielleicht alle ätherischen Öle wirken auf die Haut, [* 18] wenn auch in sehr verschiedenem Grad, reizend. Im Mund bewirken sie in kleiner Dosis Absonderung von Speichel, im Magen [* 19] und Darm [* 20] vermehrte peristaltische Bewegung, vielleicht auch Vermehrung der Sekretion; größere Dosen rufen Entzündungen hervor, zugleich wirken sie auf das Nervensystem, besonders das Gehirn, [* 21] auf die Zirkulation und die Nierenthätigkeit.
Sie dienen als Arzneimittel (häufig in der Form von Ölzucker), zu Likören, Konditorwaren und Parfümen, die billigern als Lösungsmittel für Harze, zur Denaturierung des Spiritus, [* 22] in der Porzellanmalerei, einige, welche reduzierend wirken, zur Darstellung von Silberspiegeln.
Vgl. Husemann, Die Pflanzenstoffe (2. Aufl., Berl. 1884);
Maier, Die ätherischen Öle (Stuttg. 1867);
Mierzinski, Fabrikation der ätherischen Öle (Berl. 1871).