kleineren Kreis der vornehmen Volksklassen beschränkt blieb, während die große Masse in mühseligem Frohndienst ihr Dasein fristete. Die schroffen gesellschaftlichen Gegensätze behindern jedoch niemals die Entfaltung der Kunst und des Kunstgewerbes, im Gegenteil fördern sie meist dieselbe, weil eben durch die Anhäufung der Reichtümer in den Händen einer kleinen Anzahl Menschen diese in den Stand gesetzt werden, ihr Leben schmuckhaft zu gestalten. Schließlich wirkt eine von den Vornehmen gepflegte Kunst auch auf die tieferen Schichten insofern ein, als auch deren Gebrauchsgegenstände eine bessere und feinere Form erhalten, als dort, wo jede Anregung fehlt, wie es bei den Israeliten der Fall war. Eine gesellschaftliche Gleichmäßigkeit wird nur dann gedeihlich für die Kunst, wenn sie auf allgemeiner Wohlhabenheit beruht.
Vervollkommnung der Fertigkeiten. Die häuslichen Geräte der vornehmen Aegypter, die uns erhalten blieben, bezeugen noch mehr als die Schmucksachen, daß sie verfeinerten Lebensgewohnheiten huldigten. Jene sind nicht immer aus kostbaren Stoffen gearbeitet, auf den rohe Völker den Hauptwert legen, sondern man sieht, daß die geschmackvolle Arbeit geschätzt wurde. Die Handwerker, welche durch das Bedürfnis ihrer vornehmen Kunden veranlaßt wurden, die Arbeitsfertigkeit und Formengeschick auszubilden, lieferten dann auch für die einfacheren Volksschichten eine Ware von besserer Ausstattung; das erhellt aus den Gefäßen, die man in den Massengräbern fand.
Da auch der ärmere Aegypter irgend ein Zaubermittel - Amulet - zu besitzen und seinen verstorbenen Angehörigen ein Kleinod ins Grab mitzugeben bestrebt blieb, so war der Bedarf an Gegenständen der Kleinkunst ziemlich erheblich. Man darf sich daher nicht wundern über die Reichhaltigkeit von Funden solcher Art. Alle brauchbaren Stoffe wurden mit gleicher Fertigkeit behandelt, Holz, Metall, Stein, Elfenbein; in der Töpferei, Leinwand- und Teppichweberei waren die Aegypter Meister. Stricken und Sticken verstanden sie so gut, wie eine deutsche Frau von heute. Kurzweg kann man sagen: in der Handfertigkeit hatten die Aegypter eine Vervollkommnung erreicht, die auch heute nicht übertroffen wird.
Die «Stile» der verschiedenen Zeiträume. Ich will nun noch in Kürze über den allgemeinen Entwicklungsgang der ganzen ägyptischen Kunst - man pflegt gewöhnlich von «Stilen» zu sprechen - einiges zum Schlusse bemerken. Im «alten Reiche» u. z. schon
^[Abb.: Fig. 26. Der Schreiber.
Bemaltes Kalksteinstandbild aus dem alten Reich. Paris, Louvre. (Nach Photographie von Braun & Clement, Paris.)] ¶
um 2500 erscheint die ägyptische Kunst in ihren wesentlichen Grundzügen ausgebildet, der eigentümliche «Stil» begründet. Nach einer Zeit des Verfalls (2500-2200) tritt im mittleren Reich die Blütezeit ein, der Stil wird völlig entwickelt und gilt für die spätere Zeit als «klassisch». Die Hyksos nahmen keinen Einfluß auf die Kulturentwicklung, unterdrückten sie weder, noch förderten sie dieselbe.
Im neuen Reich gelangt Aegypten
zur Stellung einer Großmacht, welcher auch fremde Staaten zinspflichtig sind. Die einfließenden
Reichtümer gestatteten eine große Ausdehnung der Bauthätigkeit (besonders unter Ramses II., 1348-1281 v. Chr.)
und eine üppige Lebensweise der vornehmen Schichten; ein Fortschritt in den Künsten und eine weitere
besondere Stilentwicklung ist jedoch nicht zu bemerken, nur eine größere Verbreitung und ein Aufschwung des Kunstgewerbes
infolge gesteigerten Bedarfes.
Abermals trat ein Niedergang ein, bis nach Vertreibung der Assyrer unter den saitischen Herrschern eine zweite Blütezeit anbrach. Die Ansiedlung griechischer Söldner, mit deren Hilfe die assyrische Herrschaft gestürzt worden war, noch mehr aber die Niederlassung griechischer Kaufleute, denen die Hafenstadt Naukratis überlassen wurde, übten einen ungemein belebenden Einfluß. Der Handel hob den Wohlstand auf eine noch nicht erreichte Höhe und bedingte auch den Wiederaufschwung der Künste. Man griff dabei wieder auf die Formen des klassischen Stils, der guten Vorbilder aus der alten Zeit, zurück, wie überhaupt eine Nachahmung der letzteren Gepflogenheit wurde; es war also eine Art Wiedergeburt der altägyptischen Kunst unter dem Einflusse erweiterter Anschauungen, ohne daß jedoch eine Einwirkung griechischen Kunstgeistes maßgebend hervortritt. Die ägyptische Eigenart bleibt bewahrt.
Die persische Herrschaft machte allem ein Ende. Unter den makedonisch-griechischen Herrschern aus dem Geschlechte des Ptolemaeos Lagos wurde griechische Kultur auf allen Gebieten herrschend; das ägyptische Volkstum war altersschwach geworden und nicht mehr im stande, seine Eigenart zur Geltung zu bringen. Wohl entstanden noch unter den Ptolemäern Tempel, bei welchen der altägyptische Stil beibehalten wurde - aus Rücksicht auf die religiösen Anschauungen - aber sie zeigen eine völlige Entartung des Stiles, die am meisten in den Bildnereiwerken, weniger in den Bauformen selbst hervortritt. In allen weltlichen Dingen herrscht aber fortan der griechische Geist.
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Erläuterung der Abbildungen. Die Einfachheit der ägyptischen Bauformen ermöglicht es, mit wenigen Beispielen ein Bild derselben zu geben. Die allbekannte Form der Pyramide ist im Hintergrunde des Bildes auf S. 21 sichtbar, und die des Grabes der Vornehmen [Mastaba] auf S. 13 (Fig. 10). Da diese schon weiter oben ausführlich geschildert wurden, ist eine Erklärung der Bilder hier überflüssig. Dies gilt auch von den Felsengräbern, für welche ich ein Beispiel aus Beni-Hassan gebe. Hier sind besonders die Säulen zu beachten, welche noch deutlich den Ursprung aus der einfachsten Stützenform, dem vierseitigen Pfeiler, erkennen lassen. In dem Basaltsarkophage des Königs Menkere (Fig. 12) (wahrscheinlich vor 2600 v. Chr. entstanden) ist die Nachahmung eines Holzbaues zu erkennen, welcher, da die Holzbauten selbst infolge ihrer geringen Widerstandsfähigkeit gegen die Witterung u. s. w. und wegen der leichten Verwendbarkeit ihres Materials nicht auf uns gekommen sind, uns ein Bild
^[Abb.: Fig. 27. Der Dorfschulze.
Holzstandbild aus dem alten Reich. Der Körper war mit feiner Leinwand und einer bemalten Gipsschicht überzogen. Aus einem Grabe bei Sakkarah. Museum zu Giseh.] ¶
der Baufügung geben muß. Von den auch an Steinbauten regelmäßig wiederkehrenden Formen, welche deshalb zu den allgemeinen Kennzeichen ägyptischer Baukunst gehören, finden wir die Hohlkehle und den an den Hauptkanten sich hinziehenden Wulst. Die Wände stehen im Gegensatz zu den meisten Steinbauten senkrecht, wie es ja bei einem Holzbau naturgemäß ist, und sind in der Art des Fachwerkbaues gegliedert.
Damit sind die allgemeinen Formen der frühzeitigen Bauten erschöpft, und ich kann mich den folgenden Beispielen der höchst entwickelten Baukunst zuwenden.
Anordnung des Tempels. Einen guten Begriff von der Anordnung der Tempelbauten giebt einer der elf Tempel von Karnak, der «Chonstempel» daselbst (S. 16). Hier finden wir alles für den ägyptischen Tempel Bezeichnende in kleinen Verhältnissen, aber gerade deshalb sehr deutlich wieder. Durch den Thorbau a gelangt man in den Vorhof, welcher an den Seiten von gedeckten Säulengängen begrenzt ist. Ein paar Stufen führen in einen Säulensaal, welcher hier nur klein, bei dem großen Tempel von Karnak zu einem gewaltigen Raume wird. Das Licht fällt bei allen Tempelbauten von oben ein (s. das Bild auf S. 18).
Vom Säulensaal gelangt man in das Heiligtum, den eigentlichen Tempel, welcher wahrscheinlich nur den Priestern und Königen zugänglich war. In diesem ist das «Allerheiligste», die Cella zu suchen, C., um welches sich eine Anzahl Gemächer reihen, deren Bedeutung uns nicht bekannt ist. Den Abschluß nach hinten bildet wieder ein Säulensaal, welcher aber weit kleiner wie der Erstere ist und wahrscheinlich den Priestern als Versammlungsraum diente.
Die Tempel von Karnak. Die gleiche Anordnung, nur in gewaltigerem Maßstabe und mit reicheren Einzelheiten, finden wir bei dem großen Tempel von Karnak. Ich gebe auf S. 17 eine Abbildung des Grundrisses nach den Aufnahmen von Brune wieder und füge hier einige Zahlen bei, welche am besten zeigen, wie gewaltig die Ausmessungen dieser Bauwerke sind. Die Gesamtanlage von Karnak bedeckt einen Raum von 1400 m Länge und 560 m Breite. Auf diesem standen elf kleine und größere Tempel und zwar regellos, d. h. ohne bestimmte Ordnung nach einer Himmelsrichtung. Die einzelnen Tempel waren zum Teil durch gemeinsame Umfassungsmauern, zum Teil durch lange Sphinxalleen verbunden. - Der gewaltigste dieser Bauten ist der große oder Haupttempel, welcher uns hier näher beschäftigt. Die Gesamtlänge desselben beträgt 365 m, die größte Breite 113 m. Die Umfassungsmauer, welche allerdings noch mehrere kleinere Tempel einschließt, mißt etwa 2400 m. Nach Durchschreitung des ersten Thorbaues gelangt man, wie beim Chonstempel in den Vorhof mit einem aus zwölf Säulen gebildeten Mittelgange, welcher auf den zweiten Thorbau leitet. Durch denselben erreichte man den gewaltigen Hauptsaal (B und Abb. S. 18).
^[Abb.: Fig. 28. Der Priester Re-Nefer.
Standbild aus dem alten Reich. Bemalter Kalkstein. Museum zu Giseh.] ¶