Wahrheit" an. Diese erscheint auch in erstaunlicher Weise erreicht, was eine unausgesetzte Schulung voraussetzt. Der Grund hierfür ist ebenfalls in den religiösen Vorstellungen, oder besser gesagt, in jenen von der Fortdauer des Menschen nach dem Tode zu suchen. Bei den Gräbern habe ich schon erwähnt, daß in jedem derselben ein Standbild des Verstorbenen hinterlegt wurde, in welchem der «Ka» desselben wohnte oder fortlebte. Der Ka wurde als das vollkommen getreue Ebenbild des Menschen aufgefaßt, und folgerichtig mußte höchste Naturtreue auch dem Standbilde eigen sein. Alle Fertigkeit richtete sich daher auf diesen Punkt, und mit ihrer zähen Thatkraft gelangten die Aegypter wirklich zu einer Meisterschaft in dieser Hinsicht. Doch eben nur in dieser Richtung; und ohne weiteres er-
^[Der folgende Text ist unvollständig.]
vergeistigte Wiedergabe der menschlichen Form; es hätte dies ja geradezu dem Zweckgrunde
lt hatten, daß das innere Wesen des Menschen
auspräge, aber zum Verständnis der Bedeutung
Einzelnen offenbar nicht gelangt sind, so erklärt
lderen Körperformen bei ihrer Bildnerei weniger
ind übrigens die älteren Werke besser als die
schließlich über eine gewisse Stufe der Vervoll-
Entartung führt, so ging es auch hier.
Behandlung des Stoffes - zuerst wurde über
wurden Fortschritte gemacht, ebenso auch in der Genauigkeit der Linienführung und in der Anordnung der einzelnen Teile; dennoch wirken
^[Abb.: Fig. 19. Sphinx von Giseh. (Photographie.)] ¶
die späteren Erzeugnisse (2200-1700 v. Chr.) - ich möchte sagen wegen eines Uebermaßes von Naturtreue, wobei auch unwichtige Einzelheiten stark betont wurden - in ihrer Gesamtheit nicht mehr so günstig. Auch macht sich bereits das Erbübel - die Befolgung überlieferter Ausdrucksformen - allmählich geltend, was namentlich bei solchen Bildwerken auftritt, für welche der Meister keine unmittelbare Vorlage hatte, also bei Götterbildern und anderen, nur zum Schmuck bestimmten Werken.
In der Folgezeit (1600-1000 v. Chr.) trat ein weiterer Verfall ein, gerade wegen der Zunahme solcher reinen Schmuckzwecken dienenden Bildnereiarbeiten, da die Künstler nicht mehr auf die Naturtreue des Menschenausdrucks das Hauptgewicht legten, sondern auf die Aeußerlichkeiten: die Gewandung und den Zierat.
So wertvoll nun diese Darstellungen für unsere kulturgeschichtlichen Kenntnisse sind, so bedeuten sie doch einen «künstlerischen» Rückschritt.
Verbindung der Standbilder mit den Bauwerken. Auf eine bezeichnende Erscheinung bei diesen Werken muß ich noch aufmerksam machen. Während die älteste Zeit vollständig freistehende Figuren kennt, erscheinen in der Folge die Standbilder fast durchwegs in engster Verbindung mit dem Bauwerk oder einem Baugliede, also entweder sozusagen an die Wand geklebt, oder an einen Pfeiler gelehnt. Es scheint später eine «Kunstregel» geworden zu sein, daß eine solche Verbindung, mindestens mit einer Pfeilerstütze, stattfinden müsse, denn sie findet sich, wenn auch in verkleinertem Maße und gewissermaßen andeutungsweise, auch bei Standbildern, die auf den ersten Blick als freistehend erscheinen.
Gebundenheit der Formen. Diese Abhängigkeit des Bildwerkes von den Bauteilen bedingte natürlich in erhöhtem Maße eine Starrheit und Gebundenheit der Körperformen, die nach baulichen Gesichtspunkten gebildet wurden. Wir sehen auch in den besten Freifiguren der Aegypter einen Mangel an Bewegung: der Körper wird entweder in voller Ruhestellung, höchstens mit zum Schritt gespreizten Beinen dargestellt;
immer erscheint die Gestalt, als wenn sie gewissermaßen im Augenblicke versteinert wäre. - Diese Art ist nun überhaupt aller älteren Kunst eigen;
der Fortschritt besteht
^[Abb.: Fig. 20. Holz-Flachbild von einer Scheinthür aus dem Grabe des Hesi in Sakkârah.
Etwa 3000 v. Chr. Museum zu Giseh.] ¶
eben darin, daß die Künstler zum Ausdruck der Bewegung auch bei den Bildnereiwerken gelangen. Dazu kamen aber die Aegypter nicht; einerseits lag die Ursache schon in ihrer Eigenart, welche die «Ruhe» als das Höhere, Göttliche ansah - eine allgemein orientalische Auffassung -, andererseits in der vorhin betonten Abhängigkeit der Bildnerei von der Baukunst und deren Gesetzen.
Eine Befreiung aus diesen beiden Fesseln hätte zweifellos die ägyptische Bildnerei zu ähnlicher Höhe gelangen lassen, wie die griechische; denn Anlage dazu war vorhanden, sowohl Handfertigkeit wie ein großer Scharfblick für das Wesentliche und Bezeichnende in den natürlichen Erscheinungen.
Flachbildnerei (Reliefs). Der Letztere giebt sich noch mehr als in den Standbildern, in den halberhabenen Flachbildnereien (Reliefs) kund. Nach dem vorhin über das Verhältnis von Bildnerei zur Baukunst Gesagten wird es verständlich, daß die Flachbildnereiwerke in weit überwiegendem Maß vertreten sind. Die riesig ausgedehnten - baulich ungegliederten - Wandflächen der Tempel forderten geradezu einen solchen Schmuck. Ich möchte aber fast bezweifeln, ob diese Forderung auch wirklich die Veranlassung war, und nicht vielmehr der Grund darin zu suchen ist, daß die Aegypter bei ihrem ausgeprägten Sinn für Nützlichkeit die Wände für eine - wenn man so sagen darf - öffentliche Geschichtsschreibung und Berichterstattung verwerten wollten. Neben den Bildnereiwerken treten ja auch die Inschriften in gleicher Ausdehnung auf.
Bedeutung und Eigenart der Flachbildnerei. Diese Flachbildnereiwerke sind für die Kenntnis des ägyptischen Lebens und der Geschichte noch bedeutsamer, als alles andere, denn sie geben uns getreue Darstellungen des ersteren und von Ereignissen aus der letzteren. Nach meinem Grundsatze, vorerst das Gute anzuerkennen, will ich die unbestrittenen Vorzüge hervorheben. Dazu gehört wieder in erster Linie die Naturtreue, die sorgfältige Wiedergabe aller wesentlichen Einzelheiten und eine gewisse Lebendigkeit, die jedoch nicht künstlerischen Ursprungs ist, sondern eine notwendige Folge, da ja Bewegungsvorgänge dargestellt werden. Bei schärferem Zusehen findet man auch hier, daß der volle, freie Ausdruck der Bewegung nicht erreicht wird, sondern die Gestalten ebenfalls den Eindruck machen, als wären sie, wie im Dornröschen-Schlosse die Leute, im Augenblicke ihrer Thätigkeit verzaubert worden.
Dank dem ägyptischen Scharfblick für das Bezeichnende und der Genauigkeit in der Darstellung, können wir ein völlig zuverlässiges Bild von der körperlichen Erscheinung - dem Rassemäßigen - nicht nur der Aegypter sondern auch fremder Völker gewinnen.
^[Abb.: Fig. 21. Flachbild in Kalkstein aus dem Grabe des Cha-Em-Het.
Vorsteher der Scheunen unter Amenophis III. Um 1450 v. Chr. Berliner Museum.] ¶