schritten, insbesondere die Griechen, wurde diesen nur «merkwürdig», aber nicht mehr vorbildlich, und hatte daher zuletzt keinen Anteil mehr an der allgemeinen Entwicklung der Kunst. Immerhin war die ägyptische Kunst zu einer hohen Entfaltung gediehen, welche jene in Mittel- und Ostasien übertraf, auch unserem Empfinden näher kam und daher mit Recht bewundernde Anerkennung verdient.
Dichtkunst. Das Vorwiegen der Verstandesthätigkeit zeigt sich auch darin, daß die Wissenschaften in Aegypten
zu einer hohen
Vollkommenheit ausgebildet wurden, während die Dichtkunst zu keiner Bedeutung gelangte. In dem ägyptischen Schrifttum fand
sich bisher nur ein Heldengedicht vor, sonst sind uns nur Volkslieder und Märchen, sowie «Romane»
erhalten geblieben. Daß letztere aufkamen, ist gerade bezeichnend für die ägyptische Eigenart; der Roman nähert sich
ja am meisten der Geschichtsdarstellung, das Wirkliche dient ihm als Grundlage und wird nur ausgeschmückt und umgestaltet.
Die Volkslieder tragen die semitische Eigenart und zeigen viel Verwandtes mit den hebräischen Dichtungen. Die besondere
Vorliebe für Märchen ist vielleicht ein Erbteil des Negerblutes, denn diese Dichtungsart trifft man in überraschender
Weise bei allen Negerstämmen verbreitet.
Tonkunst. Ueber die Tonkunst weiß man natürlich so viel wie nichts; es liegt ja im Wesen dieser Kunstart, daß sich ihre Gebilde nur durch ein Hilfsmittel - die Notenschrift - erhalten lassen, das erst eine spätere Zeit erfand. Aus den Abbildungen von Tonwerkzeugen läßt sich nur schließen, daß eine immerhin ansehnliche Entwicklung stattgefunden haben dürfte.
Bauwesen. Um so reicher sind die Werke der bildenden Künste, welche erhalten geblieben sind. Am meisten bewundert wurde von jeher die Bauthätigkeit - ich sage absichtlich nicht «Kunst» - der Aegypter. Das Bewundernswerte liegt aber weniger in der Erfindungsgabe hinsichtlich Formen und Anordnung - also nach der künstlerischen Seite hin - sondern vielmehr in der Arbeitsfertigkeit und in der Bewältigung von Schwierigkeiten. Man denke nur daran, welche Aufgabe es war, eine 20-28 m lange Granitsäule - Obelisk - aus dem Felsen zu hauen, an ihren oft viele Tagereisen weit entfernten Ort zu schaffen und aufzurichten. Ueber den letzteren Punkt hat man in neuerer Zeit allerlei scharfsinnige Vermutungen ausgeheckt, ohne die Sache ergründen zu können.
Der Kunsttrieb in dem Sinne, etwas Besonderes zu schaffen, gab sich daher zuerst in dem Streben kund, besonders große Schwierigkeiten zu überwinden. Das Ungeheure, das Massenhafte ist daher bezeichnend für die ältesten Bauwerke. Die Größe ist ja das Sinnfälligste und macht den augenblicklich stärksten Eindruck, für Feinheit und zierliche Durchbildung der Formen wird der Mensch erst bei höherer Bildung empfänglich.
Denkmale. Sphinx. Pyramiden. Die ältesten Baudenkmale stammen aus der Zeit von 2800-2500 v. Chr., von denen am meisten genannt und bekannt sind: Sphinx von Giseh und die Pyramiden in der Umgebung von Memphis, welches die älteste Stadt ist, von welcher beglaubigte Nachrichten vorliegen.
^[Abb.: Fig. 12. Granitsarkophag des Königs Menkere.
Nachahmung eines Holzbaues.] ¶
Das Sphinx-Steinbild (Fig. 19) wurde aus einer vorhandenen Felsmasse ausgemeißelt, es hat 20 m Höhe und etwa 45 m Länge. Die Pyramiden sind Königsgräber; sie enthalten daher in ihrem Innern Kammern, zu welchen enge geneigte Gänge führen. Die Sicherung dieser Kammern und Gänge gegen den Druck der auflagernden Massen war eine schwierige Aufgabe und ihre sinnreiche Lösung - Verstemmung der riesigen Steinbalken und Anordnung von Hohlräumen, durch Ueberkragung der Schichten gebildet - zeugt von der damals erreichten Fertigkeit.
Gräber (Mastaba). Die Spitz-Pyramide war den Königen vorbehalten, die Gräber der Vornehmen hatten die Form von rechteckigen (nicht quadratischen) Pyramidenstümpfen und wurden rings um die Königsgräber angelegt. Sie hießen Mastaba (= Bank) und waren oft von bedeutender Größe (1000 m²). Die Mastaba enthält drei Räume: den mit Bildern und Inschriften geschmückten Vorraum (Kapelle), in welchem das Totenopfer gebracht wurde;
einen schmalen verschlossenen Raum - Serdab (= Keller) - für das Standbild, und eine unterirdische Kammer für den Steinsarg, in welchem der Leichnam (Mumie) lag.
Letztere Kammer war durch 20-30 m tiefe Schächte mit der Mastaba verbunden. Bisweilen fehlt der Vorraum, andererseits sind manchmal mehrere Nischen für Standbilder vorhanden. Der Baustoff bei den ältesten Gräbern waren Ziegel, später wurde die Verwendung behauener Steine allgemeiner.
Felsengräber. Neben den Grabbauten finden sich die Felsengräber, die aus den natürlichen Felsen ausgemeißelt wurden. Diese Art kam nach 2500 v. Chr. immer mehr auf, und seit 1800 v. Chr. wurden auch die Könige ausschließlich in Felsgrüften beigesetzt. Das Felsengrab enthielt gleichfalls eine Kapelle als Vorraum und eine Nische für das Standbild. Die Königsgrüfte bestanden aus einer Reihe von Gängen und Sälen, von welchen der letzte den Sarg enthielt.
Daß die Gräber eine solche, bedeutende Rolle in der Bauthätigkeit der Aegypter spielen, hängt mit dem Glauben an das Fortleben auch nach dem Tode zusammen. Die wahrscheinlich älteste Vorstellung war, daß dem Toten durch die Opfergaben ein weiteres Dasein gesichert werde; später dürfte sich dann die Annahme ausgebildet haben, der Mensch bestehe aus Körper, Seele und einem dritten Wesen, Ka genannt, welches nach dem Tode seine Wohnung in dem Standbilde des Verstorbenen nehme, und dessen Erhaltung nicht nur die wirklichen, sondern auch die an den Grabwänden abgebildeten Opfergaben - infolge geheimnisvoller Kräfte - ermöglichen.
Tempel-Bauten. In die Zeit der Pyramiden-Bauten und Felsgräber fällt aber auch schon die Errichtung von Tempeln, welche von etwa 2100 v. Chr. an einen gewaltigen Aufschwung nahm. Die ältesten Tempel bestanden aus einem Vorraum und dem Allerheiligsten, einem viereckigen lichtlosen Raum, in welchem das Heiligtum (aus bemaltem Holze) sowie das Standbild der Gottheit oder ihres heiligen Tieres aufbewahrt wurde. Nur die Priester und Könige hatten hier Zutritt. Schon frühzeitig schlossen sich aber an diesen Hauptteil verschiedene Kammern zur Aufbewahrung von Opfergeräten und sonstigen dem Tempel gewidmeten Gegenständen an. Weiterhin wurde die Tempelanlage immer mehr
^[Abb.: Fig. 13. Chonstempel zu Karnak. (Nach Perrot und Chipiez.)
Längsschnitt (schräg gestrichelt) und Querschnitt (schwarz). Als Beispiel einer kleineren Tempelanlage.] ¶
erweitert durch den Anbau von großen Sälen für Priester und Volk, von Säulengängen, die einen Vorhof einschlossen, dessen Eingang durch gewaltige Türme - Pylone - gekennzeichnet wurde. Der ganze Tempelbezirk wurde mit einer Umfassungsmauer eingefriedet. Innerhalb derselben, teilweise auch außerhalb, wurden noch Standbilder, Obelisken und ganze Reihen von Sphinxen aufgestellt.
Tempel von Karnak. Auf diese Weise entwickelten sich aus alten einfachen Tempeln durch Zu- und Vor-Bauten großartige Anlagen. Das hervorragendste Beispiel dieser Art ist der große Tempel von Karnak (s. Fig. 14 u. 15), den König Usertesen I. um 2100 v. Chr. gegründet hatte, und der seit 1600 v. Chr. von den Königen immer mehr vergrößert und verschönert wurde. Wiederholt wurden die Arbeiten daran unterbrochen, auch die griechischen Herrscher, die Ptolemäer, setzten sie noch fort, ohne daß sie zu einem völligen Abschluß gelangten, da 27 v. Chr. ein Erdbeben einen Teil des Riesenbaues zerstörte.
Tempel der späteren Zeit. Die Tempel der späteren Zeit - insbesondere um 1350-1250 v. Chr. -
wurden natürlich gleich von Anbeginn an in großer Ausdehnung und prunkvoller Gestaltung angelegt. Die grundsätzliche Anordnung der Tempelbauten wurde nicht nur in der letzten Glanzzeit des selbständigen Aegypterreiches (600 bis 525 v. Chr.), sondern auch unter den griechischen Herrschern (seit 300 v. Chr.) beibehalten, so daß man mit Recht sagen kann, die ägyptische Baukunst hat ihre Eigenart durch mehr als 2000 Jahre unverändert erhalten. Ihre volle Entwicklung zeigt sich schon vor 1200 v. Chr.; von da ab sind keine besonderen Fortschritte mehr zu beobachten.
Weltliche Bauten. Es erscheint selbstverständlich, daß neben den religiösen Bauten auch weltliche - namentlich
Königspaläste - errichtet wurden, die an Großartigkeit jenen nicht nachstanden. Daß von diesen weltlichen Bauten verhältnismäßig
weniger erhalten blieb, erklärt sich daraus, daß die Fremden, welche seit 525 v. Chr.
Aegypten
beherrschten, - Perser, Makedonier bezw. Griechen und Römer - zwar die Religion und somit auch die Heiligtümer
der Aegypter unangetastet ließen, ja selbst letztere
^[Abb.: Fig. 14. Grundriß des großen Tempels von Karnak.
a Thorbauten, A Vorhof, B Säulensaal, C die eigentlichen Tempelräume, D Anbau.] ¶