Adrianopel
,
türk. Edirneh oder Edreneh, Hauptstadt des Wilajets Adrianopel
(38 900 qkm
mit 6 Sandschaks und [1888] 836000 E.), im alten
Thrazien, an der
Maritza beim Einfluß der schiffbaren Nebenflüsse
Arda und
Tundscha und an den Linien
Konstantinopel-Adrianopel (318,3 km) und Adrianopel
-Bellova (242,8 km) der türk.
Staatsbahnen.
[* 2] Die Stadt hat ihre Glanzzeit hinter sich und befindet sich namentlich seit dem Russisch-Türkischen
Kriege von 1877 bis 1878 im
Verfall. Sie hat etwa 70 800 E., zur Hälfte
Türken, zur Hälfte
Bulgaren, Armenier und Israeliten und ist Sitz eines griech.
Erzbischofs, bulgar. und armenischen
Bischofs, zahlreicher Konsuln sowie
Stabsquartier des 2. türk.
Armeekorps.
Von der alten Stadtmauer, die wegen der umliegenden
Höhen niemals von Bedeutung war, sind kaum noch Reste erhalten. Dagegen
wurde Adrianopel
im Laufe des
Krieges von 1877 bis 1878 von einer seine Vorstädte mit umfassenden, aus 28 meist runden Redouten bestehenden,
auf den umliegenden
Höhen angelegten Befestigung umgeben, die auch für die Zukunft Wert behält. Die
Lage von Adrianopel
wird auch
in kommerzieller Hinsicht fernerhin
von großer Wichtigkeit bleiben. Es vereinigen sich hier nicht nur die erwähnten drei
Flußthäler nebst ihren Wegen, sondern auch fast alle Hauptverkehrsstraßen, die von den Pässen des
Balkan zum
Bosporus,
[* 3] dem
Marmarameere, den
Dardanellen und dem Mündungsgebiet der
Maritza führen.
Die bedeutenden Bauten sind türk. Ursprungs und stammen aus der Zeit, wo in Adrianopel
die
Sultane residierten; hervorzuheben ist die Moschee Selimié von
Sultan
Selim II.,
das neue Schloß (Serai) und die Michaelsbrücke
über die Tundscha. Das frühere großherrl. Residenzschloß außerhalb der Stadt ist verfallen und jetzt
Amtswohnung des
Generalgouverneurs (Wali). Am bemerkenswertesten sind die beiden
Bazars, deren einer, von
Ali Pascha erbaut
und nach ihm benannt, gegen hundert überwölbte
Läden umfaßt. Es giebt in Adrianopel
eine große Menge von Chans
(Hans), d. h. Unterkunftshäusern
für Reisende, eine große Wasserleitung,
[* 4] viele
Tschesmen (Röhrbrunnen), zahlreiche Schulen, Armenküchen,
Krankenhäuser und andere
Stiftungen muselman. Frömmigkeit. Zwischen
Maritza und Tundscha liegt die bedeutende Vorstadt Ildyrym,
jenseit der
Maritza die Vorstadt
Karakabsch; in beiden blüht
die Industrie, die sich besonders auf Gerberei (Saffianleder),
Destillation
[* 5] wohlriechender Wasser,
Seiden-,
Woll- und Baumwollweberei sowie Teppichfabrikation erstreckt.
Adrianopel
ist Stapelplatz der Produkte
Thraziens, die in Getreide,
[* 6]
Wein und Quitten bestehen.
Adrianopel
wurde von
Kaiser Hadrian, angeblich an der
Stelle des alten Uskadama, gegründet und nach ihm benannt; um der Stadt den
Schein altgriech. Ursprungs zu geben, ist sie von byzantin. Schriftstellern auch Orestea
oder Orestias genannt worden. Hier schlugen 9. Aug. 378 die Goten den
Kaiser
Valens. Am zogen die
deutschen Kreuzfahrer ein, und schloß
Friedrich
Barbarossa mit dem griech.
Kaiser hier einen
Vertrag.
Kaiser
Balduin
I. ward zu Adrianopel
durch die
Bulgaren geschlagen und gefangen.
Sultan
Murad I. eroberte 1361 die Stadt und erhob sie 1366 zu seiner Residenz, was sie bis zur Einnahme
von
Konstantinopel
[* 7] 1453 blieb. Die heutige Ruine
Demir-Tasch (Eisenstein) war vom 21. Febr. bis der Aufenthalt
Karls XII.
von
Schweden.
[* 8] Als die russ.
Armee 1829 unter Diebitsch den
Balkan überstiegen hatte, fiel Adrianopel
20. Aug. ohne
Widerstand dem Feinde in die
Hände. Das Vordringen der
Russen bewog den
Sultan
Mahmud II. am zum
Abschluß des Friedens
von Adrianopel
(S.
Osmanisches Reich.)
[* 9]
In dem
Orientkriege wurde Adrianopel
von 15000
Franzosen unter
General
Bosquet besetzt.
Im Russisch-Türkischen
Kriege von 1877 bis 1878 wurde die
Absicht der
Türken, hier einen letzten und nachdrücklichen
Widerstand
zu leisten, dadurch vereitelt, daß es den
Russen, nach ihrem Übergang über den Kodscha-Balkan, gelang, die
Armee
Suleiman
Paschas von Adrianopel
abzuschneiden, worauf dieses wehrlos in Feindes
Hand
[* 10] fiel und 31. Jan. hier ein
Waffenstillstand geschlossen wurde.