(griech.), gleichgültige
Dinge, d. h.
solche, die weder angenehm noch unangenehm für
das
Gefühl, weder lobens- noch tadelnswert für das ästhetische und moralische
Urteil sind. Dergleichen sind im moralischen
Sinne nur solche rein mechanische oder im Zustand der (unverschuldeten oder verschuldeten) Bewußt- und
Willenlosigkeit ausfließende
Lebensäußerungen (Reflexbewegungen der
Glieder,
[* 2] unwillkürliches Öffnen und Schließen des
Auges, Regen
des
Fußes, der
Hand,
[* 3] der Stimmwerkzeuge,
Muskelbewegungen,
Schlagen,
Stoßen,
Töten im
Rausch, im
Delirium), welche, weil sie ohne
die Fähigkeit besonnener Überlegung im Zustand des Außersich- oder Nochnichtzusichgekommenseins erfolgen, in
Wahrheit gar
keine
Handlungen sind und, da sie nicht als solche zugerechnet werden können, einer moralischen Beurteilung überhaupt gar
nicht unterliegen. - Der sogen. adiaphoristische Streit entspann sich über
»die Mitteldinge, die man ohne
Verletzung göttlicher
Schrift halten mag« infolge des
Leipziger Interim 1548, in welchem
Melanchthon
und seine
Freunde in die Beibehaltung der bischöflichen
Jurisdiktion und gewisser katholischer Kultusgebräuche
(Bilder,
Lichter,
Chorhemden, lateinische
Gesänge,
Vesper etc.), welche auf Befehl
Karls V. durch das
Augsburger Interim wieder
eingeführt werden sollten, eingewilligt hatten, während
Flacius u. a. darin eine Verleugnung des evangelischen
Glaubens sahen.
Der mit Heftigkeit geführte Streit schied zuerst die strengen
Lutheraner von den Melanchthonianern und wurde bis zur Feststellung
der
Konkordienformel fortgesetzt (näheres s.
Interim). In einem zweiten adiaphoristischen Streit zwischen
den Orthodoxen und den Pietisten aus
SpenersSchule handelte es sich um die Zulässigkeit von
Spiel,
Tanz, Theaterbesuch u. dgl.,
was jene als Mitteldinge verteidigten, diese aber, indem
sie denBegriffAdiáphora überhaupt verwarfen, für des
Christen unwürdig
erklärten.
(grch.), d. i. an sich gleichgültige Dinge (Indifferentes, Mitteldinge), in der Sittenlehre,
besonders der Stoiker (s. Stoicismus), was weder gut noch böse ist, oder was zur wahren Glückseligkeit weder hinderlich noch
förderlich ist (z.B. die Gesundheit); daher auch Handlungen, die weder sittlich geboten noch verboten sind. Es deckt sich
also der Begriff ungefähr mit dem des «Erlaubten». In der neuern Philosophie, besonders seit Schleiermacher,
war man bestrebt, das Gebiet dieses Begriffes möglichst zu verengen; «erlaubt» nennt man daher, was durch
kein allgemein gültiges Gesetz vorgeschrieben ist, worin also keiner den andern sittlich zu binden berechtigt ist. Es wird
oft geradezu bestritten, daß für das Individuum bei gewissenhafter Berücksichtigung seiner Eigentümlichkeit und
der besondern Umstände, unter denen der Antrieb zum Handeln an es herantritt, irgend eine Handlung als sittlich gleichgültig
zu bezeichnen sei.
Eine besondere Beziehung hat der Begriff der Adiaphora auf religiösem Gebiete erhalten. Hier werden darunter Bräuche verstanden,
die ohne Verletzung der göttlichen Gebote unterlassen werden dürfen. Als solche betrachtet schon Jesus
die pharisäischen Vorschriften über Fasten, Sabbatfeier, Reinigkeit und Speiseunterschiede. Späterhin
wurde das ganze
jüd. Ceremonialgesetz unter denselben Gesichtspunkt gestellt. Als es sich in der Reformation um die Zulässigkeit gewisser
kath. Bräuche seitens der Protestanten handelte, die, von den meisten Reformationskirchen bereits abgethan, auf BefehlKarls
V. durch das Augsburger Interim (1548) wieder eingeführt werden sollten, suchten die kursächs.
Theologen, Melanchthon an der Spitze, den Frieden dadurch zu erlangen, daß sie im Leipziger Interim die Reinheit der evang.
Lehre
[* 4] durch weitgehende Zugeständnisse in den Bräuchen, die sie für Adiaphora erklärten, als Altäre, Bilder, Lichter, Chorhemden,
lat. Gesänge, Horen,
[* 5] Vesper u. s. w., erkauften. Hieraus entbrannten die Adiaphoristischen Streitigkeiten,
in denen namentlich die Jenenser und Niedersachsen die Wittenberger des Verrats an der evang.
Sache beschuldigten. Später ward es allgemeine Lehre, daß die Ceremonien an sichAdiaphora sind, aber aufhören es zu sein, wenn
die christl. Freiheit dadurch bedroht wird, oder wenn ihre Beobachtung ein Zugeständnis an Gegner bedeutet,
für die sie vermeintlich auf göttlichem Gebote ruhende Satzungen sind.