Aderlaß
(Venaesectio, Phlebotomīa), die kunstgemäße
Eröffnung einer
Vene, die man macht, um
schnell dem
Körper eine größere
Quantität
Blut zu entziehen. Der Aderlaß
kann zwar an allen
Blutadern, welche oberflächlich liegen,
gemacht werden; doch bevorzugt man allgemein die
Vena mediana in der Armbeuge. Man läßt den
Patienten sich legen oder setzen,
umschlingt den entblößten Oberarm mit einer
Binde nahe über dem
Ellbogen, um den Rückfluß des
Bluts
zu hindern und dadurch die
Adern anschwellen zu machen, aber ohne zugleich
den Blutstrom der
Pulsadern zu unterdrücken.
Ehe man die Ader eröffnet, überzeugt man sich, ob die darunterliegende Arterie [* 2] normal verläuft. Sodann öffnet man die Ader, indem man sich entweder des sogen. Schneppers (s. Figur) oder, wie jetzt meist, der Lanzette [* 3] bedient. Die Wunde soll am besten schräg gegen den Verlauf der Ader gerichtet sein. Um das Ausfließen des Bluts zu befördern, läßt man den Kranken einen Stock abwechselnd fest erfassen, drehen, die Finger schließen und öffnen, damit durch die sich zusammenziehenden Muskeln [* 4] das Blut mehr in die oberflächlichen Hautvenen getrieben werde.
Ist eine hinreichende
Menge
Blut abgelassen, so löst man die
Binde, wodurch der Blutausfluß sogleich aufhört. Man legt sodann
den
Daumen auf die
Wunde, verschiebt die
Haut
[* 5] etwas, reinigt den
Arm von dem
Blut, legt eine
Kompresse auf
und befestigt diese mit einigen Bindentouren. Der
Arm muß dann etwa 24
Stunden ruhig gehalten werden, und der
Verband
[* 6] wird
erst nach 3
Tagen entfernt. Trotz aller Geschicklichkeit und Umsicht des Wundarztes können beim Aderlaß
doch schlimme
Zufälle
eintreten, z. B.
Entzündungen der
Venen und
Lymphgefäße, heftige
Schmerzen infolge der
Verletzung eines
Nervs. Zu den übelsten
Zufällen aber gehört die
Verletzung der
Arterie der Armbeuge, wodurch entweder eine tödliche
Blutung
oder eine
Blutgeschwulst, ein
Aneurysma spurium (s.
Aneurysma) oder
Varix aneurysmaticus, entstehen kann.
Der Aderlaß
stand schon bei den alten indischen
Ärzten in ausgedehntem
Gebrauch, und
Hippokrates hat für denselben als
eins seiner wichtigsten
Mittel bei akuten
Krankheiten junger robuster Individuen sehr genaue
Anzeigen festgestellt. Für die
Heilung akuter
Entzündungen, besonders der
Lunge,
[* 7] des
Herzens, des
Gehirns, blieb der Aderlaß
auch bis in die neuere Zeit ein sehr
beliebtes
Mittel, und noch gegenwärtig glauben viele
Ärzte denselben nicht entbehren zu können. Der
Gebrauch des Aderlasses ist aber gegen früher ganz enorm eingeschränkt worden.
Man öffnet heutzutage eine
Ader bei den durch
Schlagflüsse oder andre
Ursachen, wie
Erhängen etc., scheintot Gewordenen und
läßt bei den durch langwierige
Geburten scheintot zur
Welt gekommenen
Kindern etwas
Blut durch die Nabelgefäße ab, wodurch
sich dieselben oft rasch erholen und zu
Atem kommen. Als allgemein feststehende
Regel aber mag dienen,
daß ein Aderlaß
niemals anders als auf das
Gebot eines
Arztes gemacht werden soll.
Vgl. Bauer, Geschichte der Aderlässe (Münch. 1871).
Aderlaß
bei
Haustieren. Bei
Pferden und
Rindvieh läßt sich am besten die
Drosselvene am
Hals öffnen. Das
Anschwellen der
Ader wird dadurch herbeigeführt, daß
man um den
Hals eine
Schnur fest anzieht, oder daß man die
Finger gegen
die
Vene andrückt. Der Aderlaß
an der Schweifrübe
oder an den
Gliedmaßen ist bei den großen
Tieren nicht mehr gebräuchlich. Bei
Schafen läßt man auch, wenn man einen geringern Abzug an
Blut beabsichtigt, an der
Stirn, über oder unter
dem
Auge,
[* 8] am
Schwanz, am
Fuß und an der
Kinnlade zur
Ader. Bei
Schweinen macht
man in das
Ohr,
[* 9] da, wo es an den
Kopf anstößt, einen
Schnitt, so daß eine oder einige der dort sichtbaren
Blutadern quer durchschnitten werden, und läßt
die
Wunde bluten, solange sie will,
[* 1]
^[Abb.: Aderlaß
schnepper.]
¶
mehr
oder man macht einen etwa 2,5 cm langen Einschnitt in dem mittlern Teil des einen oder auch beider Ohren von dem untern (hintern) Rand an nach der Spitze zu. Auch kann man durch Wegschneidung eines Stücks vom Schwanz Ader lassen. Bei Hunden wird gewöhnlich die Halsader, aber auch die Ader unter der Zunge oder unter dem Schwanz geöffnet, nachdem im erstern Fall die Haare [* 11] weggeschnitten und die Ader durch Andrücken etc. zum Anschwellen gebracht ist. Den Pferden läßt man höchstens 3-4, gewöhnlich nur 1,5-2,5 kg Blut;
dem Rindvieh bei einem starken Aderlaß
2,5 kg, gewöhnlich nur halb soviel, und wiederholt
lieber den
den Schafen 70-200 g, je nach der Größe und dem Alter;
einem kleinen Hund 70-80 g, einem großen 120-250 g. Das Nachbluten wird dadurch verhindert, daß man eine Stecknadel durch beide Wundränder sticht und um dieselbe einen Faden [* 12] oder einige Schweifhaare wickelt.
Durch die neuere Wissenschaft ist erkannt worden, daß der Aderlaß
meist entbehrlich,
oft sogar schädlich ist.
Aderlaß
an Bäumen nennt man das Aufritzen der harten Rinde, um dem durch sie eingeengten Stamm ein gedeihlicheres Wachstum
zu verschaffen. Man wendet es bei Stämmen an, die unverhältnismäßig dünn und spindelig bleiben und am obern Teil eine
Menge Holztriebe entwickeln, bisweilen auch bei solchen, die im Verhältnis zu ihrem Alter zu wenig Früchte
tragen, indem sie wohl Holztriebe, aber kein Fruchtholz
[* 13] machen. Man ritzt an einem sonnenhellen Tag mit einem feinen Messer
[* 14] die Rinde des Baums an der Nordseite von der Krone bis zur Wurzel
[* 15] an einer, zwei oder drei Stellen, doch so,
daß der Schnitt nicht bis aufs Holz,
[* 16] sondern nur bis zur Hälfte der Rinde eindringt. Manche Obstzüchter halten die ganze Operation
für mehr schädlich als nützlich.