Titel
Ackerbau
oder Agrikultur, derjenige Teil der Landwirtschaft (s. d.), der sich speciell mit der Bodenbestellung behufs des Anbaues der Nutzgewächse beschäftigt. Nicht selten begreift man unter Ackerbau das Gebiet der gesamten ökonomischen Bodenproduktion, aber mit Unrecht; der Begriff dehnt sich nicht weiter aus als auf den Acker, das pflugfähige oder urbare Erdreich. Der Ackerbau ist älter als die Landwirtschaft im weitern Sinne, und wahrscheinlich jünger als die Viehzucht. Der Jäger ward zum Nomaden, dieser erst zum Ackerbauer, sobald er sich an feste Wohnsitze bannte. Die Mythen aller Völker verherrlichen diesen Übergang in Allegorien, und zugleich giebt die Mythologie Belege dafür, daß von alters her der Ackerbau als das erste und edelste aller Gewerbe im höchsten Ansehen gestanden hat.
Die Lehre vom Ackerbau zerfällt in zwei Teile: Agronomie und Pflanzenproduktionslehre. Die Agronomie begreift in sich die verschiedenen Disciplinen der Geologie, Geognosie, Physik, Meteorologie, Chemie und Mechanik in ihrer Anwendung auf die Bodenkultur. Sie umfaßt folgende Abteilungen und Unterabteilungen:
1) Bodenkunde, behandelnd: ackerbau geolog. Beschaffenheit des Bodens; b. physikalische, c. chem. Eigenschaften; d. landwirtschaftliche Klassifikationen des Bodens.
2) Klimatologie, d. i. die Lehre von den klimatischen Einflüssen, den horizontalen und senkrechten Wärmeregionen in Bezug auf das Gedeihen der Kulturgewächse, und den Modifikationen, welche das örtliche Klima bilden.
3) Mechan. Bodenbearbeitung, d. i. Überführung der Ackerkrume (s. d.) und des Untergrundes (s. d.) in einen Zustand, welcher eine Unterbringung der Saat zuläßt und den Pflanzenwurzeln ermöglicht, die größtmögliche Nahrungsmenge daraus zu entnehmen.
4) Bewässerung, in südl. Ländern ein unentbehrliches Hilfsmittel der Kultur, in Klimaten mit reichlichen Niederschlagen vorzugsweise bei der Kultur der Gräser, dem Wiesenbau (s. d.), angewendet.
5) Entwässerung oder Abführung schädlichen Wassers aus der Atmosphäre, aus Quellen und aus stauender Feuchtigkeit auf undurchlässigem Untergrund (s. Drainierung).
6) Urbarmachung oder Kultur noch nicht mit landwirtschaftlichen Gewächsen bepflanzter Flächen durch Ausroden, Rajolen (s. Rigolen), Abbrennen, Plaggenschälen, Wegräumen von Hindernissen u. s. w.
7) Düngung, d. h. Ersatz der dem Boden durch wiederholte Ernten entzogenen Pflanzennahrungsbestandteile durch geeignete Stoffe gleicher chem. Zusammensetzung (s. Dünger). Die Agronomie bildet das Fundament der ganzen Theorie des Ackerbau. Wenngleich schon die Alten (so Mago der Karthager und die Scriptores rei rusticae) mit deren Grundzügen wohl vertraut waren, so gewann sie doch wissenschaftliche Berechtigung erst mit der Entwicklung der Naturwissenschaften im 18. und 19. Jahrh.
Der zweite Teil der Theorie des Ackerbau, die Pflanzenproduktionslehre, zerfällt in einen allgemeinen und einen speciellen Teil. Jener, die allgemeine Pflanzenproduktionslehre, umfaßt in erster Reihe die Kenntnis der Lebensbedingungen der Pflanzen, also deren Anatomie und Physiologie, vorzugsweise die Gesetze der Ernährung und Organisation. Sodann beschäftigt sich die Produktionslehre speciell mit den verschiedenen Operationen zur Hervorbringung lohnender Pflanzenerträge. Dahin gehören:
1) Die Vorbereitung der Saat, Auswahl, Reinigung, Sortierung des Samens;
Schutz desselben gegen Schmarotzerbildungen (durch Waschen, Beizen u. s. w.);
Anlage von Samenbeeten (Couchen oder Kutschen);
Erziehung der Pflänzlinge (oder Keime, Knollen, Wurzelausläufer u. s. w.).
2) Die Saat selber, mit der Hand oder Maschine, breitwürfig oder in Reihen, gedibbelt oder in Horsten, auch das Verpflanzen aus den Samenbeeten; Unterbringung der Samen, vielleicht mit Beidüngung oder mit Bewässerung bei dem Pflanzverfahren.
3) Die Pflege der Nutzpflanzen, ihr Schutz und ihre Bearbeitung während der Wachstumsperiode;
Behacken, Behäufeln, Schürfen;
Lichten, Verziehen, Dünnerstellung;
Ausrottung des überwuchernden Unkrauts, Jäten;
Behüten vor Krankheiten und schädlichen Tieren;
Schutz vor der Vergeilung (Schröpfen), Übereggen, Überwalzen;
endlich Nachhilfe stockenden Wachstums durch Überdüngung (Kopfdüngung, Top-dressing) und Bewässerung.
4) Die Ernte oder das Sammeln und Einbringen der Produkte. Hierher gehören das Abbringen durch Mähmaschine, Sense, Sichte und Sichel, das Ausheben, Aushacken, Raufen (Lein), Pflücken u. s. w., je nachdem die ganze Pflanze oder nur ein Teil davon nutzbar verwendet wird; das Trocknen und Zurichten (Binden in Garben, Pyramidentrocknung, Törrung in erhitzten Riegen [Ostseeländer, Rußland]), Gärung (Sauerfutterbereitung); ferner das Einfahren,
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Einscheuern, Einmieten, Einkellern, die verschiedenen Methoden der Sonderung und Gewinnung der Samen aus dem Stroh oder Dürrkraut, die Reinigung der gewonnenen Produkte und endlich deren vorteilhafte Aufbewahrung. In diesem gedrängten Rahmen bewegt sich die gesamte Wissenschaft des Ackerbau. Die einzelnen Nutzpflanzen, auf die er sich in Europa erstreckt, sind in systematischer Aufzählung die folgenden:
1) Halmgetreide: Weizen, Spelz, Emmer, Einkorn, Roggen, Gerste, Hafer, Hirse, Moorhirse, Mais, Canariensamen, Reis.
2) Hülsenfrüchte: Erbse, Linse, Wicklinse, Wicke, Kicher-, Platterbse, Speisebohne, Pferdebohne, Sojabohne, Lupine.
3) Blattfrüchte: Buchweizen, Spergel.
4) Ölgewächse: Winterraps, Winterrübsen, Sommerraps, Sommerrübsen, Awehl, Mohn, Dotter, Madia, Senf, Sonnenblume, Ölrettich, Gartenkresse.
5) Gespinstpflanzen: Lein, Hanf, Nessel.
6) Farbepflanzen: Krapp, Waid, Wau, Saflor, Schwarzmalve, Kermesbeere.
7) Gewürzpflanzen: Hopfen, Senf, Kümmel, Fenchel, Anis, Koriander, Schwarzkümmel, Safran, Zwiebel, Meerrettich.
8) Kaffeesurrogate: Cichorie, Erdmandel, Kaffeewicke.
9) Fabrik- und Gewerbspflanzen: Zuckerrübe, Tabak, Weberkarde, Seifenkraut.
10) Wurzel- und Kohlgewächse: Kartoffel, Topinambur, Runkelrübe, Kohlrübe, Wasserrübe, Möhre, Pastinake, Batate, Kopfkohl, Kuhkohl.
11) Futterpflanzen: Rotklee, weißer Klee, Inkarnatklee, Melilotenklee, mittlerer Klee, Bastardklee, Goldklee, Hopfenluzerne, Luzerne, schwed. Luzerne, Sandluzerne, Esparsette, Serradella, Wicken, Erbsen, Lupinen, Buchweizen, Hirse, Mais, Futterroggen, Zuckermoorhirse, Raps, Rübsen, Kürbis, Cichorie, Malve, Stechginster, Schwarzwurz.
12) Grasbau (auf dem Acker): engl., ital. und franz. Raygras, Timothygras, Knaulgras, Kümmel, Pimpinelle, Spitzwegerich, weiche Trespe, Honiggras, jähriges Rispengras, Schafgarbe, hohe Trespe, Schafschwingel, Mohar. (S. die Tafeln: Futterpflanzen I und II, beim Artikel Futterbau und Futterpflanzen, und Getreidearten.)
Jahrtausendelang ist der in hergebrachten Bahnen betrieben worden. Was die röm. Schriftsteller darüber als Gesetz aufstellten, galt noch bis ins 18. Jahrh. als solches, und in vielen Gegenden finden sich sogar noch heute Geräte zur Ackerbestellung, welche sich der Form nach von denjenigen, die man auf den ältesten Denkmalen der Menschheit dargestellt findet, nicht wesentlich unterscheiden. Infolge mangelnder Naturkenntnis wußte und bedachte man auch nicht, daß der Boden, das urbare Ackerland, keineswegs ein unerschöpflicher Brunnen an Pflanzennahrungsstoffen sei, und daß auch das reichste Kapital an diesen Stoffen sich erschöpfen müße, wenn immer viel davon genommen, wenig dazu gegeben werde.
Manche Länder und Gegenden, welche früher als Gipfel der Fruchtbarkeit gepriesen waren, jetzt aber infolge sinnloser Bewirtschaftung verödet sind, beweisen dies, wenn auch der jetzige Zustand nicht lediglich dem mangelhaften Ersatze der Pflanzennährstoffe, sondern noch andern Ursachen zuzuschreiben ist. Auch in den civilisiertesten Staaten der Neuzeit, welche sich auf die rationelle Methode ihres Ackerbau viel zu gute thun, ist die Verarmung der Felder und das Sinken der Bodenproduktion auf das Schärfste nachgewiesen worden.
Liebig war es, der zuerst (1840) mit ernsten Worten auf die drohenden Gefahren hinwies, die ein derartig fortgesetzter «Raubbau» kommenden Geschlechtern unfehlbar bringen müsse, der aber auch zugleich auf die Mittel und Wege hinwies, denselben erfolgreich entgegenzuarbeiten. Diese lassen sich in dem Gesetze zusammenfassen: «Was dem Acker durch die Ernten in einem bestimmten Zeitraume an Mineralbestandteilen entzogen worden ist, muß ihm völlig wiedergegeben werden, wenn er sich auf der gleichen Höhe der Fruchtbarkeit dauernd erhalten soll.» In der richtigen Ausführung dieses Princips beruht hauptsächlich die Kunst des der damit einer neuen Zukunft entgegengeht, wenn auch weder die genaue Befolgung des an und für sich richtigen Naturgesetzes immer vorteilhaft, noch auch die Nichtbefolgung desselben auf Jahrzehnte hinaus schädlich auf die Produktion wirkt. (S. Agrikulturchemie.)
Aus der umfangreichen Litteratur über Ackerbau im engern Sinne sind hervorzuheben: Koppe, Unterricht im A. und in der Viehzucht (11. Aufl., Berl. 1885);
Hamm, Grundzüge der Landwirtschaft (2 Bde., Braunschw. 1854);
L. von Babo, Die Hauptgrundsätze des Ackerbau (4. Aufl., Frankf. a. M. 1874);
von Rosenberg-Lipinsky, Der praktische in Bezug auf rationelle Bodenkultur (2 Bde., 7. Aufl., Bresl. 1890);
Schumacher, Der Ackerbau. Die Lehre von der Bodenbearbeitung, Feldbestellung und vom allgemeinen Pflanzenbau (Wien 1874);
Hamm, Katechismus des praktischen Ackerbau (3. Aufl. von Schmitter, Lpz. 1890);
Krafft, Lehrbuch der Landwirtschaft, Bd. 1 (6. Aufl., Berl. 1894);
Blomeyer, Die mechan. Bearbeitung des Bodens (Lpz. 1879);
von Schwerz, Praktischer Ackerbau (neu bearb. von Funk, Berl. 1882);
Droysen und Gisevius, Ackerbau (2. Aufl., ebd. 1894);
Cl. Müller, Allgemeine Ackerbaulehre (Stuttg. 1895).