Acclimatis
ation.
Die Verteilung der lebenden Wesen auf der Erde hängt neben andern bestimmenden Ursachen vorzugsweise vom Klima [* 3] ab. Jeder klimatischen Zone gehören besondere Menschen-, Tier- und Pflanzenformen an. Mit der Bestimmung und Begrenzung der Faunen und Floren, welche sich als ein Zusammengehöriges erkennen lassen, beschäftigt sich die Tier- und Pflanzengeographie. Die Grenzen [* 4] dieser Zonen sind indes durchaus weder scharf gezogen, noch für alle Tiere und Gewächse, die einer Provinz angehören, dieselben.
Jede Art hat ein bestimmtes Gesetz für ihre Verbreitung; während die einen nur in sehr engen Grenzen vorkommen und in keiner Weise dieselben verlassen, verbreiten sich die andern über sehr bedeutende Strecken. Seit den ältesten Zeiten hat der Mensch das Bedürfnis gefühlt, sowohl für sich selbst neue Wohnsitze in andern Klimaten zu erringen, als auch Tiere und Pflanzen, die ihm in irgend einer Weise nützlich sein konnten, in solchen Klimaten einzubürgern, welchen sie ursprünglich nicht zugehören.
Diese Angewöhnung nun an ein anderes
Klima als das heimische nennt man Acclimatis
ation, die indes stets nur nach einem
gewissen Kampfe geschehen kann und bei welcher immer eine Verschiedenheit zwischen den einzelnen Rassen und
Arten hervortritt
hinsichtlich der Leichtigkeit, womit die Anschmiegung an
das neue
Klima geschieht. Je größer der ursprüngliche Verbreitungsbezirk
einer Art war, desto leichter ist dieser Kampf, desto geringer die durch ihn hervorgerufenen Acclimatis
ationskrankheiten,
unter denen stets ein gewisser Prozentsatz der Eindringlinge zu
Grunde geht. In je weniger schroffen Übergängen die Verpflanzung
vor sich geht, desto unmerklicher geht die Acclimatis
ationsperiode vorüber.
Unzweifelhaft ist es ferner, daß die veränderten Lebensbedingungen gewisse
Veränderungen in den acclimatis
ierten
Arten selbst hervorbringen. So bemerkt man, daß die in Nordamerika
[* 5] eingewanderten Europäer in den folgenden Generationen
straffe
Haare,
[* 6] einen dünnen langen
Hals und magerern Körper erhalten und echte
Yankees werden; daß die Haustiere namentlich
in der
Stellung der
Ohren, der Art und
Farbe der
Haare Änderungen erleiden, was besonders bei der
Wolle der
Schafe
[* 7] auffällig ist; daß sich die
Stimme ändert, wie das
Bellen der
Hunde
[* 8] und der
Gesang der
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Vögel [* 10] u. s. w. zeigt. Auch auf die Körpergröße hat die Umsiedlung häufig Einfluß.
Im Gegensatz zu der frühern Annahme, daß der Mensch die meiste Acclimatis
ationsfähigkeit besitze, haben neuere statist.
Untersuchungen, namentlich von Boudin, bewiesen, daß auch die einzelnen Menschenrassen
[* 11] auf bestimmte Klimate beschränkt
sind und in andern notwendig nach Verlauf einer Reihe von Generationen zu Grunde geben müssen. Es gilt
als Regel, daß die Acclimatis
ierung für den Menschen leichter ist aus einem wärmern Klima in ein kälteres als umgekehrt,
aber auch diese hat ihre gewissen Grenzen. Die Juden sind besonders acclimatis
ationsfähig.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß für die Haustiere dasselbe Gesetz der leichtern Eingewöhnung in kältere Klimate gilt wie für die einzelnen Menschenrassen. Doch können Tiere, welche aus einem wärmern in ein kälteres Klima verpflanzt sind, hier zwar existieren, aber nur mit der Beihilfe des Menschen sich erhalten. Nur solche Lokalitäten, welche in klimatischer Hinsicht dem ursprünglichen Vaterlande entsprechen, gestatten auch, daß das dorthin verpflanzte Haustier sich ohne den Menschen erhalten kann, wie dies z. B. in den Pampas Südamerikas mit dem Pferde [* 12] und dem Rindvieh der Fall ist.
Wie in der äußern Erscheinung, führt die Acclimatis
ation auch in den Lebensgewohnheiten des acclimatisierten Tiers Veränderungen mit
sich, die häufig nur stufenweise Platz greifen. Die Nilgans z. B. brütet
im Sudan erst nach der Regenzeit im September, in Ägypten
[* 13] bereits im März und bei uns ebenso wie unsere einheimischen Gänse
im April. In ähnlicher Weise hat in Europa
[* 14] der austral. schwarze Schwan seine Legezeit um 6 Monate, von dem Frühjahre der Antipoden
in das unsere verlegt, was jedoch nicht ausschließt, daß viele Paare auch hier noch mitten im Winter
brüten und zwar meist mit gutem Erfolge. Mit dem Menschen und den Haustieren zugleich wandern und acclimatisieren sich eine
Menge von Tieren, die hauptsächlich auf Kosten der menschlichen Ökonomie leben, wie Mäuse und Ratten und
das schmarotzende Ungeziefer. Abgesehen von diesen unabsichtlich mitgeschleppten Begleitern des Menschen, hat derselbe gegen 50 Arten
von Tieren in einen höhern oder geringern Zustand der Domestikation gebracht. (S. Haustiere.)
Hinsichtlich der halbwilden und wilden Tiere, die man in der Absicht einführt, daß dieselben ohne direkte Beihilfe des Menschen
sich selbständig erhalten sollen, sind dieselben Gesetze maßgebend. Nachdem man davon abgesehen hat,
seine Aufmerksamkeit ausschließlich der Acclimatisation
großer Tiere zuzuwenden, sind recht günstige Resultate erzielt. So hat man in
Europa von Vögeln die Schopfwachtel in Frankreich, die virginische Wachtel in Irland, das rote Rebhuhn in England eingebürgert.
Außer dem colchischen Fasan, der ein bereits weitverbreitetes Jagdtier ist, hat man den mongol.
Ringfasan und den chines. Königsfasan eingeführt und durch zahlreiche Generationen in voller
Freiheit gezüchtet. Großen Nutzen verspricht man sich von der Acclimatisation
amerik. Fische,
[* 15] namentlich der californ. Forelle, die
in stehenden Gewässern bestens gedeiht. Auch die der Seidenraupe in Europa kann als gelungen bezeichnet
werden. Größer noch ist die Zahl der Tierarten, welche Europa an andere Kontinente abgegeben hat.
Unsere Singvögel, wie Stare, Hänfling, Buchfink, Lerche [* 16] und Drossel sind schon lange in Australien [* 17] heimisch und unser Lachs und Forelle bewohnen bereits die Ströme und Bäche dieses Landes. Nordamerika hat von uns den Sperling bekommen. Anfangs ein nützlicher Vogel in der Vertilgung zahlreicher schädlicher Insekten, [* 18] hat er sich jetzt dort so ausgebreitet, daß fast alle einheimischen Singvögel vor ihm zurückweichen müssen. Wilde Tiere werden schon seit Jahrhunderten nach Europa gebracht und dort in Menagerien, Tiergärten und zoolog. Gärten gehalten.
Während man früher denselben das Klima der Heimat, besonders was die Wärme
[* 19] anbelangt, künstlich zu
ersetzen versuchte, so hat man jetzt angefangen, dieselben unserm Klima anzupassen, und so finden wir in einigen zoolog. Gärten
z. B. die meisten Affen
[* 20] und Raubtiere
[* 21] Sommer und Winter im Freien, ebenso eine Anzahl Antilopen und sämtliche
Hirsche.
[* 22] Es läßt sich schon heute sagen, daß die Sterblichkeit unter diesen Tieren der zoolog. Gärten infolge der Acclimatisation
geringer
geworden ist.
Wie die Tiere, so sind auch zahlreiche Pflanzen nach andern Erdteilen überführt und dort acclimatisiert; ja man kann das Resultat hinsichtlich der der Pflanzen als weit bedeutender bezeichnen als das bei den Tieren. Erinnert sei nur an die Kartoffel, den Tabak, [* 23] den Kaffee und die Baumwolle. [* 24] Zugleich ist der Kreis [* 25] der nutzbaren Arten bei weitem nicht so beschränkt als bei den Tieren, deren größte Mehrzahl der menschlichen Ökonomie feindlich und schädlich entgegensteht.
In neuester Zeit hat man in vielen Ländern Gesellschaften und Vereine für Acclimatisation
gegründet, welche wissenschaftlich
die Sache zu ergründen und durch praktische Versuche, namentlich durch sog. Acclimatisation
sgärten
(s. Zoologischer Garten),
[* 26] zu befördern suchen. In erster Linie thut dies die Société nationale d'acclimatitation de France,
indem sie durch Verteilung fremder Tiere, Pflanzen und Sämereien, durch Preise für erfolgreiche Zucht
und Acclimatisation
die Liebhaber zu weitern Versuchen anregt.
Trotz dieser geregelten Bemühungen darf man indes die Erwartung namentlich in Hinsicht der Einführung neuer Nutztiere nicht
zu hoch spannen, da einesteils die Zahl der Tiere, welche man in andern Ländern als Haustiere benutzt, ebenfalls sehr beschränkt
ist, andernteils unsere Haustiere den meisten jener ausländischen Arten gegenüber eine ebenso große
Vorzüglichkeit behaupten als unsere Kulturpflanzen denen jener Länder gegenüber. Hatten sich früher bei den Acclimatisation
sbestrebungen
mancherlei Übertreibungen eingeschlichen, so haben diese jetzt einer ruhigern Überlegung und erfolgreichern Arbeiten Platz
gemacht, und wenn auch z. B. Kamele
[* 27] und Strauße jetzt vielfach in Europa gezüchtet werden, so denkt
doch niemand mehr daran, dieselben in voller Freiheit oder als Haustiere halten zu wollen.
Andererseits haben die Bemühungen dieser über ganz Europa, Nordamerika und Australien ausgebreiteten Acclimatisation
svereine
durch ihre vielfältigen und auf allen Punkten angestellten Versuche dem nahrungsbedürftigen Europa schon manche neue Nutztiere
und Nutzpflanzen gewonnen. Und wenn vielfach Mißerfolge vorkommen, so werden auch diese nicht ohne Wert bleiben, indem sie
mit dazu dienen, die Gesetze aufzuhellen, welche die Verbreitung und der Tiere und Pflanzen beherrschen, und somit Mittel an
die Hand
[* 28] geben, später kostspielige Versuche zu vermeiden und die richtigen Wege da einzuschlagen, wo
es sich wirtlich um nützliche Einführungen handelt.
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