Abwesenheit
(lat. absentia). Wer seinen dauernden Wohnsitz verlassen hat, heißt in der
Rechtssprache ein Abwesender. Nach dem 1871 zum Reichsgesetz erhobenen Bundesgesetz vom geht die deutsche Reichsangehörigkeit
durch zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalt im
Auslande (mit Ausnahme der deutschen Schutzgebiete
[Reichsgesetz vom 19. März 1888]) verloren, wenn sie nicht besonders vorbehalten worden ist (§. 20). Ferner wird durch zweijährige
ununterbrochene Abwesenheit
aus dem
Ortsarmenverbande nach zurückgelegtem 18. (früher 24.) Lebensjahre der
Unterstützungswohnsitz
verloren (Gesetz über
Unterstützungswohnsitz vom früher Durch die Abwesenheit
kann der
Verlust eines Rechtsmittels oder eines
Rechts eintreten.
Das geltende
Recht gewährt zum
Teil in dieser Hinsicht einen Rechtsbehelf in der Wiedereinsetzung (s. d.)
in den vorigen
Stand, und zwar auch gegenüber dem Abwesenden, weil die Rechtsverfolgung diesem gegenüber behindert sein
kann, wenn er einen Bevollmächtigten nicht bestellt hatte. Dauert die Abwesenheit
längere Zeit,
ohne daß Nachricht über das Leben des Abwesenden vorliegt, so ist der Abwesende ein Verschollener. Wegen der
Todeserklärung
Verschollener s.
Todeserklärung.
Das Gemeine
Recht kennt eine Güterpflege für das von einem Abwesenden schutzlos zurückgelassene Vermögen (cura bonorum
absentis); jedoch wird auch die
Ansicht vertreten, daß diese Abwesenhei
tspflegschaft nach
Analogie der
Altersvormundschaft zu behandeln sei. Die neuern Gesetze behandeln die Abwesenhei
tspflegschaft, entsprechend der Altersvormundschaft,
als eine Fürsorge in Ansehung der Vermögensangelegenheiten des Abwesenden für diesen. Vgl.
Preuß.
Allg. Landr. II, 18, §§. 19-22, 821; Preuß. Vormundschaftsordnung von 1875, §§. 82, 83; Sächs. Bürgerl. Gesetzb. §§. 1990, 1998;
Code civil Art. 112 mit Entscheidung des Reichsgerichts, Bd. 11, S. 190;
Österr.
Bürgerl. Gesetzb. §§. 276, 282, u. a. Für das franz.
und bad.
Recht ist diese Pflegschaft von geringer Bedeutung, weil diese
Rechte nach Art. 112 fg. eine
Todeserklärung
nicht kennen, sondern nur eine verhältnismäßig früh (nach vier
bez. zehn Jahren nachrichtsloser Abwesenheit
) eintretende Verschollenheitserklärung
(absence declarée), welche zu einer vorläufigen
Besitzeinweisung führt.
Übrigens berücksichtigen diese
Rechte, abweichend
von den übrigen
Rechten, auch eine von dem Aufenthaltsorte. Nach dem geltenden
Rechte wird zur Einleitung der
Pflegschaft eine derartige Abwesenheit
gefordert, daß der Aufenthalt des Abwesenden unbekannt ist; einige
Rechte erfordern nachrichtlose
Abwesenheit
während einer bestimmten Zeit, meistens während eines Jahres, andere, z. B.
Sächs.
Bürgerl. Gesetzb. §. 1990,
Code civil Art. 112, Österr.
Bürgerl. Gesetzb. §. 276, überlassen die Beurteilung der
Zeit dem Ermessen des
Richters. Einige
Rechte, z. B.
Preuß. Allg. Landr. II, 18, §. 22,
Preuß. Vormundschaftsordn.
§. 82, bayr. Gesetz von 1879, Art. 94, Österr.
Bürgerl. Gesetzb. §. 276, gestatten die Einleitung einer Pflegschaft auch
dann, wenn der Aufenthalt des Abwesenden bekannt, der
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mehr
Abwesende aber an der Rückkehr und der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten verhindert ist. Ein Bedürfnis der Fürsorge kann endlich eintreten, wenn zwar ein Bevollmächtigter oder Beauftragter von seiten des Abwesenden zurückgelassen war, die Vertretungsbefugnis aber erloschen oder der Vertreter zur Besorgung der Angelegenheiten außer stande ist oder begründeter Anlaß zum Widerrufe der Vertretungsbefugnis vorliegt.
Die Abwesenheit
des Ehemannes giebt nach einigen Rechten der Ehefrau ein erweitertes Verfügungsrecht, vgl. z. B. außer
ältern Rechten Preuß. Allg. Landr. II, 1, §§. 202-204, 324-328; Sächs. Bürgerl. Gesetzb. §§. 1643, 1679. Das Nießbrauchsrecht
des Ehemannes bei der sog. Verwaltungsgemeinschaft wird nach dem Preuß. Allg. Landrecht und dem Sachs.
Bürgerl. Gesetzb. §§. 1642, 1927 durch dessen Abwesenheit
nicht berührt. In der gemeinrechtlichen Praxis wird
angenommen, das Recht des Ehemannes auf Nießbrauch und Verwaltung endige durch die Abwesenheit.
Die oldenb. Gesetze von 1873 und 1879 (Fürstentum
Lübeck)
[* 3] folgen jener Praxis, sofern eine Pflegschaft eingeleitet wird.
Im Strafverfahren folgt aus dem Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit, daß in Abwesenheit
des Angeklagten
in der Regel eine Hauptverhandlung nicht stattfinden kann. Der Angeklagte hat das Recht und die Pflicht anwesend zu sein.
Letztere kann gegen den ohne genügende Entschuldigung Ausgebliebenen durch Vorführung oder Verhaftung, gegen den erschienenen
Angeklagten, der sich wieder entfernen will, durch andere geeignete Maßregeln erzwungen werden. Ausnahmen
sind nach der Deutschen Strafprozeßordnung zulässig: abwesenheit
wenn die Strafthat nur mit Geldstrafe, Haft oder Einziehung von
Gegenständen bedroht ist;
b. auf Antrag des Angeklagten wegen großer Entfernung seines Aufenthaltsorts, wenn voraussichtlich keine andere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen oder Geldstrafe oder Einziehung allein oder in Verbindung miteinander zu erwarten steht;
doch muß Angeklagter vor der Hauptverhandlung jedenfalls richterlich vernommen sein oder werden;
c. wenn im Fall der Entfernung des erschienenen Angeklagten seine Vernehmung über die Anklage schon erfolgt war und das Gericht seine fernere Anwesenheit nicht für erforderlich erachtet. In diesen Ausnahmefällen kann sich der Angeklagte durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen.
Dem nicht vertretenen
Angeklagten steht in den Fällen a und c gegen das in seiner Abwesenheit
ergangene Urteil die Wiedereinsetzung (s. d.) in den vorigen
Stand zu. Das Recht des erschienenen Angeklagten auf ununterbrochene Anwesenheit kann durch zeitweise Entfernung
beschränkt werden wegen ordnungswidrigen Benehmens und wenn zu befürchten ist, daß ein Mitangeklagter oder Zeuge in Gegenwart
des Angeklagten die Wahrheit nicht sagen werde, während dessen Vernehmung. In beiden Fällen muß der Angeklagte nach seinem
Wiedereintritt von dem wesentlichen Inhalt des während seiner Abwesenheit
Ausgesagten oder Verhandelten unterrichtet
werden (Deutsche
[* 4] Strafprozeßordn. §§. 229 fg., 246). In der Berufungsinstanz wird die von dem ohne genügende Entschuldigung
ausgebliebenen Angeklagten eingelegte Berufung sofort verworfen; in der Revisionsinstanz bedarf es des persönlichen Erscheinens
des Angeklagten nicht, dagegen ist Vertretung zulässig (Strafprozeßordn. §§. 370, 390). Im Privatklage-Verfahren (s. Privatklage),
im
Verfahren auf Einspruch gegen amtsrichterliche Strafbefehle und nach voraufgegangener polizeilicher
Strafverfügung ist ebenfalls Vertretung zulässig (Strafprozeßordn. §§. 427, 451, 457). Gegen Abwesende im engern
Sinn, d. h. gegen solche Beschuldigte, welche sich im Auslande befinden, oder deren Aufenthalt unbekannt ist, findet ein Ungehorsams-(Kontumacial-)Verfahren
mit öffentlicher Ladung nur wegen Strafthaten statt, die mit Geldstrafe oder Einziehung bedroht sind,
wegen schwererer Strafthaten nur ein Vorverfahren zur Sicherung der Beweise (Strafprozeßordn. §§. 318, 319 fg., 327 fg.).
(S. auch Wehrpflichtige.)
Nach der Österr. Strafprozeßordnung vom kann der erschienene Angeklagte wegen ungeziemenden Benehmens nach vorheriger
Androhung durch Gerichtsbeschluß sogar für die ganze Dauer der Verhandlung entfernt werden, in welchem
Fall ihm das Urteil durch ein Mitglied des Gerichtshofs in Gegenwart des Schriftführers verkündet wird (§. 234). Außerdem
ist der Vorsitzende befugt, «ausnahmsweise» den Angeklagten während der
Vernehmung eines Zeugen oder Mitangeklagten abtreten zu lassen, aber auch verpflichtet, ihm das in seiner Abwesenheit
Verhandelte
spätestens am Schluß des Beweisverfahrens mitzuteilen (§. 250). Zur Verhandlung in der Berufungsinstanz wird der Angeklagte
überhaupt nicht geladen (§. 294); in der Verhandlung vor dem Kassationshof werden die Beschwerden und Ausführungen des
Ausgebliebenen verlesen (§§. 286, 287). In erster Instanz ist Hauptverhandlung und Urteil gegen den bereits in der
Voruntersuchung vernommenen, zur Hauptverhandlung geladenen, aber nicht erschienenen Angeklagten zulässig, wenn es sich
um ein höchstens mit fünfjähriger Freiheitsstrafe bedrohtes Verbrechen oder um ein Vergehen handelt (§.427), also in erheblich
weiterm Umfange als nach der Deutschen Strafprozeßordnung.
Ein eigentliches Ungehorsamsverfahren ist nach erfolgter Versetzung in den Anklagestand (s. d.) gegen solche
Personen zuzulassen, denen die Ladung zur Hauptverhandlung wegen ihrer Abwesenheit
nicht zugestellt werden kann.
Nach vergeblicher öffentlicher Ladung ergeht das Erkenntnis dahin, daß dem Angeklagten während seiner Abwesenheit
die
Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte untersagt sei (§§. 422 fg.). Im Verfahren vor den Bezirksgerichten kann sich der
nichterschienene Angeklagte vertreten lassen (§§. 450 fg.).