Abwässer
,
die im Haushalt und namentlich in der Industrie abfließenden, mit verschiedenen Stoffen verunreinigten Wässer. Man rechnet in der Hauswirtschaft bei Vorhandensein einer Wasserleitung [* 2] pro Kopf und Tag einen Verbrauch von etwa 50 Lit. Wasser und kann annehmen, daß dasselbe, wenn es aus einer kleinern, nicht industriereichen Stadt, ohne mit Exkrementen verunreinigt zu sein, in einen größern Fluß gelangt, eine Bedenken erregende Verunreinigung des letztern nicht hervorbringt.
Dagegen werden manche kleinere Wasserläufe namentlich durch Industrieabwässer
in solcher
Weise verunreinigt, daß die öffentliche
Wohlfahrt ernstlich gefährdet erscheint.
Größere
Städte mit
Kanalisation können gar nicht daran denken,
das Kanalwasser, welches sämtliche
Exkremente und die Hauswässer, sowie die der
Fabriken aufgenommen hat, selbst in größere
Flüsse
[* 3] abzuleiten. In
England, wo diese Verunreinigung der öffentlichen Wasserläufe einen erschreckend hohen
Grad erreicht
hatte, ist ein
Gesetz erlassen worden, nach welchem jeder Fabrikant bestraft werden kann, welcher
Wasser
von bestimmter
Qualität in einen
Fluß leitet.
Enthalten die Abwässer
nur mineralische
Substanzen, wie z. B. in der Metallwarenindustrie, bei
Paraffin-,
Mineralöl- und Stearinfabriken,
so ist es in der
Regel leicht, sie unschädlich zu machen. Besondere
Aufmerksamkeit verdienen die arsenhaltigen Abwässer
, die
durch Vermischen mit
Eisen- und
Mangansalzen und
Fällen mit
Kalkmilch unschädlich gemacht werden können. Seifenwässer der
Tuchfabriken versetzt man mit
Säuren, um aus der
Seife
fette Säuren abzuscheiden, welche gesammelt und in verschiedener
Weise
verwendet werden können, oder man mischt die Abwässer
mit
Kalk, sammelt die abgeschiedene unlösliche Kalkseife
und verarbeitet diese auf
Leuchtgas
[* 4] oder scheidet daraus die fetten
Säuren ab. Weitaus am bedenklichsten sind die Abwässer
, welche
fäulnisfähige
Substanzen enthalten. In diesen
Wässern entwickeln sich
Algen
[* 5] und
Pilze,
[* 6] welche oft ganze Wasserläufe erfüllen
und zum Teil reduzierend auf
Schwefelsäuresalze wirken,
Schwefelwasserstoff entwickeln und dadurch die
Fische
[* 7] töten und
die
Luft verunreinigen.
Vor allem aber erscheinen solche Wässer als Herde für die Entwickelung von Krankheitserregern, und man hat sich daher vielfach um ihre Reinigung bemüht. Leider sind die Erfolge bis jetzt gering. Man erreicht durch Zusatz von Chemikalien (besonders schwefelsaurer Thonerde und Kalk) eine vollständige Klärung, auch eine Abscheidung mancher gelöster Stoffe, und wenn die geklärten Flüssigkeit sofort in einen großen Fluß geleitet werden kann, so sind die hauptsächlichsten Gefahren beseitigt. Dabei geht aber das in den Abwässern enthaltene Ammoniak vollständig verloren, und die erhaltenen Niederschläge, welche etwa 62 Proz. organische Substanzen enthalten, sind stark fäulnisfähig, schwer zu behandeln und haben unbedeutenden Wert für Landwirtschaft und Industrie. Auch das geklärte Wasser bleibt noch fäulnisfähig, weil es noch mehr als die Hälfte des in Form organischer Substanzen vorhanden gewesenen Stickstoffs enthält.
Besonders ausgebildet zur
Reinigung von
Abwässern, welche fäulnisfähige
Substanzen enthalten, ist Sillars
ABC-Prozeß, so
genannt nach den dabei zur Verwendung kommenden
Substanzen:
Alum (schwefelsaure
Thonerde), Blood
(Blut) und
Clay
(Lehm). Man versetzt die Abwässer
sofort mit
Blut,
Holzkohle und
Lehm, fügt dann schwefelsaure
Thonerde, eventuell
Kalk hinzu und
läßt absetzen. Der Bodensatz wird gepreßt und getrocknet, das klare
Wasser in den
Fluß
¶
mehr
geleitet. Die Süvernsche Masse besteht aus 100 Teilen Kalk, 8 Teilen Teer, 33 Teilen Chlormagnesium, mit Wasser auf 1000 Teile gebracht. Diese Masse reinigt das 100fache Gewicht Kanalwasser, der Niederschlag setzt sich bald ab, die Fäulnis des geklärten Wassers wird aber nur so lange aufgehalten, als noch Ätzkalk darin enthalten ist. Sobald dieser durch die Kohlensäure der Luft als kohlensaurer Kalk ausgeschieden ist, entwickeln sich wieder Fäulnisorganismen.
Kann das geklärte Wasser sofort in einen größern Fluß abgeleitet werden, so leistet das Verfahren recht gute Dienste.
[* 9] Friedrich
wendet eine Desinfektionsmasse aus Kalk, Thonerdehydrat, Eisenhydroxyd und Karbolsäure an und erhält eine klare
Flüssigkeit, die nicht fault, solange sie alkalisch reagiert. Kalk eignet sich auch für die Reinigung der Haus- und Wirtschaftswässer
und verhindert die Entwickelung des durch fette Säuren bedingten übeln Geruchs; immer aber ist Bedingung, daß das geklärte
Wasser in einen großen Fluß abgeleitet wird, denn die Wirkung des Kalks hört bald auf, und dann entwickelt
sich in dem Wasser auch von neuem Fäulnis. Zu hoher Kalkgehalt der Abwässer
wirkt in kleinen Wasserläufen nachteilig auf die Fische.
Viel günstiger als die chemische Reinigung gestaltet sich die Filtration durch Sand, wobei die Flüssigkeit in kurzen Zwischenräumen aufgegeben wird, damit sie innerhalb des Filtriermaterials mit Luft in Berührung kommt. Unter diesen Umständen werden die organischen Stoffe zu Kohlensäure, Wasser und Salpetersäure oxydiert, und die Reinigung ist vollständig, wenn in 24 Stunden nicht mehr als 33 Lit. Flüssigkeit für 1 cbm Filtriermaterial aufgegeben wird.
Zur Ausführung des Verfahrens muß man den zum Filtrieren
[* 10] bestimmten Boden in 2 m Tiefe gut drainieren,
die Oberfläche ebnen und in vier Teile teilen, von denen einer nach dem andern die Abwässer
sechs Stunden aufnimmt. Da bei diesem
Verfahren aber der ganze Dungwert verloren geht, der Boden vielleicht auch, weil er keine Vegetation zu tragen im stande ist,
üble Gerüche entwickelt, so ist dasselbe höchstens für einzelne Fabriken zu empfehlen; im übrigen
aber leistet die landwirtschaftliche Verwertung des Kanalwassers, die Berieselung von Kulturflächen, entschieden viel mehr.
Die größten Schwierigkeiten und Mißstände bereiten die der Zuckerfabriken. Eine Fabrik, welche täglich 4000 Ztr. Rüben
verarbeitet, liefert in ihren Abwässern so viel organische Substanz, wie in den Abwässern einer Stadt
von 50,000 Einw. enthalten ist. Diese Abwässer
garen ungemein leicht, verbreiten die
widerlichsten Gerüche und verschlämmen kleinere Bäche vollständig. Von den zahlreichen zur Reinigung dieser Abwässer
angewandten
Methoden verdient die von Bodenbender besondere Beachtung. Er sucht die Bildung von Buttersäure und Milchsäure
im Betrieb der Fabrik möglichst zu vermeiden, scheidet durch Absetzenlassen und Filtrieren alle festen organischen Stoffe ab,
setzt so viel Kalk zu, daß die Flüssigkeit noch sehr wenig Ätzkalk gelöst enthält, und pumpt sie nun auf ein Gradierwerk,
auf welchem der in den Abwässern enthaltene Zucker
[* 11] schnell oxydiert wird, während buttersaurer und milchsaurer
Kalk der Oxydation viel energischer widerstehen.
Das gereinigte Wasser kann einem Bach übergeben werden, wenn derselbe auch nicht mehr als das Fünffache des Abwassers mit sich führt. Unter geeigneten Verhältnissen erweist sich auch Berieselung sehr wirksam, doch erfordert dieselbe sehr ausgedehnte Flächen. Müller sammelt die an Kohlehydraten reichen in Bassins, bringt sie auf 25-40° und steigert ihren Stickstoffgehalt durch Zusatz von Fleisch, Blut, Kleber, Exkrementen etc. auf 1 Proz. der organischen Substanz des Wassers.
Unter diesen Verhältnissen entwickeln sich die fermentartig wirkenden Organismen sehr lebhaft, und die Zersetzung der gärungs- und fäulnisfähigen Substanzen erfolgt in sehr kurzer Zeit. Dabei sich entwickelnde lästige Dämpfe und Gase [* 12] entweichen durch Drainröhren ins Feld. Das hinreichend zersetzte Wasser wird unter Zutritt von Luft durch Koksstaub, Kohle, Sand oder gewachsenen Boden filtriert und liefert ein sehr reines Drainwasser, während der auf den Filtern und in den Bassins abgelagerte Schlamm, frisch oder kompostiert, einen wertvollen Dünger darstellt.
Vgl. Fischer, Die Verwertung der städtischen und Industrieabfallstoffe (Braunschw. 1875);
Derselbe, Die menschlichen Abfallstoffe (das. 1881);
Possart, Die Verwertung des Abfallwasser aus den Tuchfabriken, Spinnereien etc. (Berl. 1879).