Abtreibung
der
Leibesfrucht, die vorsätzliche, rechtswidrige Herbeiführung des
Todes einer nachweislich lebenden
Leibesfrucht,
entweder
durch vorzeitige Herbeiführung ihres Abganges oder noch vor ihrem Abgange durch
Tötung im Mutterleibe. Ist die
Tötung zur Rettung der
Mutter erforderlich
, so ist sie nicht rechtswidrig und deshalb straflos. Ist zwar die Abtreibung
bewirkt, aber
das
Kind, weil es die zum Fortkommen erforder
liche Reife hatte, am Leben geblieben, so liegt nur Versuch
vor. Die Abtreibung
ist Tötungsverbrechen; der
Embryo soll, und zwar von seiner ersten
Entwicklung an, unter den Schutz des
Strafrechts
gestellt werden. Objekt des
Verbrechens ist also die
Leibesfrucht. Als
Subjekt kommen in Betracht die Schwangere
selbst und dritte
Personen. Die Strafbarkeit des Dritten ist nach deutschem
Strafrecht (§§. 218 fg.) verschieden, je nachdem
er mit Einwilligung der Schwangern
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mehr
oder ohne deren Wissen oder Willen handelt. Im erstern Falle ist wieder zu unterscheiden, ob gehandelt wurde gegen Entgelt
oder nicht. Der gegen Entgelt handelnde ist strafbar, wenn er die Mittel zur Abtreibung
verschafft, angewendet oder beigebracht hat,
der ohne Entgelt Handelnde, wenn er die Mittel angewendet oder beigebracht hat. In diesen Fällen kommt
der Dritte als Thäter in Betracht. Daneben kann er aber auch strafbar werden, wenn er der Schwangern, welche selbst Thäter
ist, Hilfe leistet oder wenn er sie zu der That angestiftet hat. Dann trifft ihn die Strafe des Gehilfen oder des Anstifters.
Die Mittel zur Abtreibung
selbst können sehr verschieden sein: äußere oder innere, gewaltsame
oder nicht gewaltsame, chemische, dynamische, mechanische oder physische. Auch psychische - Erregung von Angst, Furcht, Schrecken
- sind nicht ausgeschlossen. Nur wenige der herkömmlichen Mittel sind als solche nachzuweisen, welche geeignet sind, die
Abtreibung
zu bewirken. Es erklärt sich daher, daß in sehr vielen Fällen ein Erfolg nicht erzielt
wird, und es entsteht alsdann die Frage, ob derjenige, welcher mit einem untauglichen Mittel die Abtreibung
bewirken will oder sich
an derselben beteiligt, wegen Versuchs der Abtreibung
bestraft werden kann, oder ob er straflos bleiben muß, etwa
weil die Gefahr des schädlichen Erfolges von Anfang an ausgeschlossen war. Das Deutsche
[* 3] Reichsgericht
hat ausgesprochen, daß er wegen Versuches bestraft werden müsse, und zwar weil schon die Kundgebung des verbrecherischen
Willens strafbar sei, und es hat diesen Rechtsgrundsatz auch in dem Falle angewendet, wenn eine Frauensperson Abtreibung
sversuche
machte, weil sie sich irrtümlich für schwanger hielt. Bis dahin war in Doktrin und Praxis vielfach das
Gegenteil angenommen.
Die Strafe der Abtreibung
nach deutschem Gesetz ist für die Schwangere Zuchthaus bis zu fünf Jahren, bei mildernden
Umständen Gefängnis nicht unter sechs Monaten. Die Strafe des Dritten steigt von einem Jahre Zuchthaus bis zu lebenslänglicher
Zuchthausstrafe, je nach der Art und Schuldbarkeit seiner Beteiligung und den Folgen der That für die
Schwangere. Wesentlich in denselben Grenzen
[* 4] halten sich die Strafbestimmungen des Österr. Strafgesetzbuches (§§. 144 fg.).
Der Versuch wird mit Kerker zwischen sechs Monaten und einem Jahr, die Vollendung mit schwerem Kerker zwischen einem und fünf Jahren bestraft. Der Vater unterliegt der gleichen Strafe mit Verschärfung, und der Dritte der schweren Kerkerstrafe von einem bis fünf Jahren und, wenn der Mutter Gefahr am Leben oder Nachteil an der Gesundheit zugezogen wird, der gleichen Strafe, welche dann zwischen 5 u. 10 Jahren zu bemessen ist. Der Österr. Strafgesetzentwurf folgt wesentlich dem deutschen Recht.
Das ältere, kanonische Recht und das Recht der Peinlichen Gerichtsordnung (Carolina), welches auch schon die Abtreibung
als strafbare
That behandelte, machte einen, später als unhaltbar nachgewiesenen Unterschied zwischen belebter und unbelebter Frucht, und
strafte im ersten Falle wie bei Totschlag, im andern mit arbiträrer Strafe. Bei den Römern finden sich
erst im spätern Rechte staatliche Strafandrohungen; der Strafgrund war aber nicht der dem Embryo selbständig zu gewährende
Schutz, wie im neuern Recht, sondern die Besorgnis vor einer weitern Zerrüttung des Familienlebens, welche bei der unter
den röm. Frauen verbreiteten Abneigung gegen die Übernahme der mütterlichen Pflichten gerechtfertigt
schien.
Auch in der heutigen
Gesellschaft fehlt es nicht an Anzeichen dafür, daß ähnliche Abneigungen wie zur röm. Kaiserzeit vorkommen.
Ein solches sind die Ankündigungen von Abortivmitteln
, welche unter der Anerbietung von «diskreter
Hilfeleistung in allen Frauenangelegenheiten» (oder ähnlich) in den Inseraten einiger Zeitungen oft versteckt sind, und
es darf als sicher angenommen werden, daß die Ziffer des in Wirklichkeit vorkommenden Verbrechens der Abtreibung
diejenige der verurteilten
Personen, welche im Deutschen Reiche 258 im J. 1884, d. i. auf 100000 strafmündige Personen 0,80 betrug, noch ganz erheblich
übersteigt. -
Vgl. Fabrice, Die Lehre [* 5] von der Kindesabtreibung und vom Kindesmord (Erlangen [* 6] 1868);
Horch,
Das Verbrechen der Abtreibung
(Mainz
[* 7] 1879);
Ploß, Zur Geschichte, Verbreitung und Methode der Fruchtabtr
eibung (Lpz. 1883);
Jungmann,
Das Verbrechen der Abtreibung
(Münch. 1893).