Absentismus
(engl. Absenteeism, spr. -tiism,
von absent, abwesend), ein zunächst in
Bezug auf irische Verhältnisse gebildetes Wort, das die regelmäßige
Abwesenheit
der dortigen großen Grundbesitzer, meist engl. Lords, von ihren
Gütern bezeichnet. Der Absentismus
ist von den größten Nachteilen
begleitet. Die Wirtschaft wird regelmäßig nur dann allen Anforderungen eines zweckmäßigen Betriebes entsprechen, wenn,
selbst im Falle der Zuhilfenahme von Verwaltern und Pächtern, der Eigentümer sich nicht ganz von seinem
Besitztum fern hält, sondern dasselbe wenigstens einer allgemeinen obern
Aufsicht unterstellt.
Vor allem macht der den Großgrundbesitzern die Wahrnehmung der ihnen vom socialwirtschaftlichen Standpunkt zuzuweisenden
socialen und polit. Pflichten unmöglich. Die Vermittelung zwischen den Grundherren und den Pächtern
bleibt fremden
Agenten überlassen, die für
Land und
Volk kein
Herz haben und deren
Teilnahme nur dahin geht, für ihren Herrn
soviel als möglich herauszupressen (Folterrenten) und daneben sich selbst zu bereichern. Man hat zur Beseitigung des irischen
Absentismus
gezwungenen Aufenthalt der Grundherren oder auch Belastung der Abwesenden (Absentees)
mit einer besondern
Steuer (Absenzgelder) vorgeschlagen.
Ersteres würde einen harten Eingriff in die persönliche Freiheit bedeuten, die Steuer müßte, um wirksam zu sein, eine unverhältnismäßige Höhe erreichen. Die Güterverkäufe auf Grund des «Encumbered Estates Act» (1849) haben den Zweck, die Bildung einer ansässigen Klasse kleiner und mittlerer Grundbesitzer zu erleichtern, nicht erreicht, vielmehr die Zahl der auswärtigen Besitzer noch vermehrt, da die Käufer ganz überwiegend Engländer und Schotten waren.
Die in der neuesten Zeit stattfindende agrarische
Bewegung und die mit derselben verbundenen verbrecherischen Ausschreitungen
können natürlich das Übel nur verschlimmern. Überhaupt ist der Absentismus
Irlands nicht ein vereinzeltes Übel,
sondern eine Folge des unglücklichen Gesamtzustandes, der nur durch noch tiefer einschneidende wirtschaftliche und sociale
Reformen gebessert werden kann, als sie bisher durchgeführt wurden. (S.
Irland und Grundeigentum.)
Auch in
Frankreich, mehr noch in
Italien,
[* 3]
Spanien
[* 4] und
Portugal ist der Absentismus
ein verbreitetes Übel.
In den Gebieten des österr.
und deutschen Latifundienbesitzes
fehlt es nicht ganz an ähnlichen Mißständen. Von den
Gütern mit über 100 ha
Fläche,
die «das Handbuch des Grundbesitzes im
Deutschen
Reich» für die sieben östl.
Provinzen
Preußens
[* 5] nachweist, sind (einschließlich
der
Domänen) 43,5 Proz. von ihren Eigentümern nicht bewohnt (24,1 Proz.
verpachtet, 24,5 Proz. verwaltet).
Indessen bewohnen doch von allen Eigentümern von 100-1000 ha nur 14 Proz. und von den Eigentümern
großer Herrschaften (über 1000 ha) - unter
Ausschluß der jurist.
Personen
(Staat, Gemeinde
u. s. w.) - nur 18,5 Proz. nicht
wenigstens eins ihrer
Güter. Die überwiegende Mehrzahl der dortigen Großgrundbesitzer sind selbstwirtschaftende Landwirte;
von einer Verallgemeinerung des Absentismus
kann in
Deutschland
[* 6] selbst im Gebiete des vorherrschenden Großbesitzes
nicht die Rede sein. -
Vgl. Conrad, Agrarstatist.
Untersuchungen in «Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik. Neue Folge», Bd. 16 (Jena [* 7] 1888); von Miaskowski, Das Erbrecht und die Grundeigentumsverteilung im Deutschen Reiche (Schriften des Vereins für Socialpolitik, XX und XXV, Lpz. 1882, 1884).