Abruzzen
(s. Karte »Italien, [* 2] nördliche Hälfte«),
der höchste Teil des zentralen
Apennin zwischen
den
Flüssen
Tronto und
Sangro, hauptsächlich vom
Aterno, im Unterlauf nach dem
Ort
Pescara genannt, entwässert. Das ganze Apenninensystem
erreicht in den Abruzzen
seine größte
Höhe, indem der
Gran Sasso d'Italia
[* 3] sich zu 2919 m, der höchsten
Höhe der ganzen
Halbinsel,
die
Majella im südlichsten Teil zu 2795 m erhebt. Das
Gebirge besteht aus zwei Parallelketten, von denen
die höhere, wildere im O. steil zum Adriatischen
Meer abfällt, aber auch die westliche im
Velino zu 2487 m ansteigt; zwischen
beiden
Ketten liegt die
Hochebene des obern
Aterno
(ca. 700 m), während im W. das
Thal
[* 4] des
Salto und das
Becken
des jetzt trocken gelegten Fuciner
Sees (660 m) es vom römischen Subapennin scheidet.
Dieses rauhe, im Winter monatelang in Schnee [* 5] vergrabene Gebirgsland, schwer zugänglich wie es ist, hat von jeher ein kräftiges Hirten- und Bauernvolk großgezogen. Schöne Viehherden weiden auf den Bergen [* 6] und in den Thälern. Die Schweinezucht ist sehr bedeutend und bringt Pökelfleisch, Würste von Amatrice und Schinken zur Ausfuhr; auch die Schafzucht ist erheblich. Getreidebau tritt etwas zurück, auch Weinbau wird nur an den Thalgehängen getrieben, und Oliven und Feigen gedeihen nur in den untern Hügellandschaften am Adriatischen Meer.
Von großer Bedeutung für die Erwerbsverhältnisse ist die Abruzzenbahn
, welche von der Küstenbahn
Ancona-Otranto bei
Pescara abzweigt, nach
Aquila führt und einerseits nach
Terni fortgesetzt wurde (1883 eröffnet), anderseits
nach
Rom
[* 7] weitergebaut wird. Nach dem
Gebirge hat diese ganze, physisch eine
Einheit bildende nördliche
Landschaft des ehemaligen
Königreichs
Neapel
[* 8] den
Namen erhalten und zerfällt, mit der
Provinz
Molise zu einem Landesteil (compartimento
territoriale), Abruzzen
und
Molise, vereinigt, in die
Provinzen
Aquila (Abruzzo ulteriore II),
Teramo (Abruzzo ulteriore I),
Chieti
(Abruzzo citeriore) und
Campobasso
(Molise) mit zusammen 17,273 qkm (nach Strelbitskys Berechnung nur
17,008 qkm = 309 QM.)
und (1881) 1,317,315 Einw. Am dichtesten ist
die
Bevölkerung,
[* 9] welche meist in kleine Ortschaften verteilt ist, in der
Provinz
Chieti, am dünnsten auf dem
Hochland von
Aquila.
Die Einwohner (Abruzzesi) sind ein Hirtenvolk von patriarchalischer Einfachheit und Roheit, anhänglich an ihr Vaterland, ihre Religion und ihre Regierung, abergläubisch, musikalisch und gastfrei. Ein schöner Menschenschlag, geben sie treffliche Soldaten, besonders Reiter, obschon sie von Natur Abneigung gegen den Kriegsdienst haben, sind aber auch als Banditen und Räuber seit frühen Zeiten berüchtigt. Viele Abruzzesen wandern jährlich auf einige Monate aus, um in den benachbarten Provinzen Erntearbeit zu verrichten.
Obwohl die Abruzzen
als ein schwer zugängliches Gebirgsland hohe strategische Wichtigkeit erlangen
könnten, haben sie bisher doch noch nie eine solche bewährt. Wie schon die Bewohner dieser Gebirgslandschaft, welche den
Kern der im Jahr 90
v. Chr. gegen
Rom vereinigten italischen
Völker bildeten, den
Römern nicht zu widerstehen vermochten, so
ist es ihnen auch in der neuern und neuesten Zeit niemals gelungen, äußere Feinde von ihren
Bergen fern
zu halten oder ein
Hort des
Königreichs
Neapel zu sein. Das Banditenwesen, welches nach Beseitigung der bourbonischen Dynastie
hier längere Zeit mit politischem
Anstrich blühte, ist jetzt völlig ausgerottet.