Ableitung
,
Wortbildung, Stammbildung (s. Stamm), Derivation, in der Grammatik die Bildung eines Wortes aus einem andern durch Hinzufügung gewisser Laute oder Silben, die einen von der Bedeutung des zu Grunde liegenden Wortes (Stammwortes) verschiedenen Sinn verleihen;
daher werden die Deklinations- und Konjugationsformen nicht zu den Ableitung
(Derivaten)
gerechnet;
z. B. in dem von «tragen» abgeleiteten «Träger» [* 2] giebt das ableitende «... er» die Beziehung auf die Person, die trägt. Im Deutschen wie im ganzen indogerman.
Sprachstamme können die ableitenden Elemente nur am Ende angefügt werden;
diese Sprachen haben also nur Suffixe (s. d.),
nie Präfixe (s. d.),
wie solche z. B. in den semit.
Sprachen vorkommen. Die scheinbaren Präfixe, die sog. Vorsilben des Deutschen, wie«ge...», «be...», «ver...» u. a., sind verdunkelte Präpositionen, die mit ihnen gebildeten Worte also Zusammensetzungen (s. d.), so gut wie die mit den gewöhnlichen Präpositionen (auf, an u. s. f.) zusammengesetzten. Doch ist in vielen Fällen eine feste Grenze zwischen und Zusammensetzung nicht zu ziehen, da auf jeder Stufe der Sprachgeschichte Glieder [* 3] von Zusammensetzungen auf dem Wege dazu sind, zu einfachen Suffixen zu werden, z. B. bei uns jetzt «los» in «maßlos», «treulos» u. dgl., während z.B. im Französischen die Adverbia bildende Endung -ment = lat. mente (Ablativ von mens),
z. B. lentement (langsam) = lenta mente «langsamen Sinnes», längst reines Suffix ist.
In der höhern
Analysis ist Ableitung
oder abgeleitete Funktion das Ergebnis einer Differentiation, der Differentialquotient
(s. Differentialrechnung).
[* 4]
In der
Medizin heißt Ableitung
die Verminderung der Thätigkeit oder des Säftereichtums in einem Organ durch
gleichzeitige
Vermehrung der Thätigkeit oder des Säftezuflusses in einem andern Organ. Ein
Schmerz, besonders ein lebhafterer,
im
System der Hautnerven erregter, dient als Ableiter von der Empfindung eines andern, dumpfern oder innerlichen Schmerzes.
Auf dieser
Beobachtung beruht zum
Teil die Anwendung schmerzverursachender
Mittel in der Heilkunde als Ableitung
smittel
(Derivantia oder
Attractiva), wozu namentlich die
Hautreize
(Epispastica) dienen: Senfteige und Senfspiritus,
Blasenpflaster,
das
Brennen mit heißen oder glühenden Körpern, die
Pocken- oder Pustelsalben
u. dgl. Die meisten von diesen und andern sog.
ableitenden
Mitteln erregen aber auch in dem gewählten Ableitung
sorgan (z.B. in der
Haut)
[* 5] eine vermehrte
Säfteanhäufung und infolge derselben dann
Absonderungen,
Ausschwitzungen,
Eiterungen u. s. w. So die
Blasenpflaster, die
Fontanelle
und
Haarseile, das
Jod, die Abführmittel, die Schröpfköpfe, Schwitzmittel, die
Blutentziehungen.
Man glaubt, daß auf diese
Weise innere Säfteanhäufungen, die
Blutstockungen und
Entzündungen entfernterer
Teile
zerteilt und geheilt werden können. Doch läßt sich dies schwer beweisen, obschon manches dafür spricht, z. B.
das Aufhören des
Durchfalls, wenn man schwitzt, die Linderung von
Kopfschmerz durch Abführmittel, reizende Fußbäder oder
hervorgerufene
Menstruation. Fast alle ärztlichen Schulen unterscheiden die Anwendung obiger
Mittel als eine besondere Heilmethode,
die ableitende Methode (Methodus derivans oder antagonistica). Wenn auch in der neuern Zeit die Anwendung
der Ableitung
smittel eine Einschränkung erfahren hat, so zählen doch einzelne derselben noch immer zu den wirksamsten Heilmitteln.