Abirrung
des Lichts oder Aberration, [* 2] die Differenz der Richtung, in der wir einen Stern am Himmel [* 3] erblicken, von derjenigen, in der er uns erscheinen würde, wenn entweder die Erde stillstände oder das Licht [* 4] zu seiner Fortpflanzung gar keine Zeit brauchte. Beide Ursachen, die Bewegung der Erde um die Sonne [* 5] und der Umstand, daß das Licht zu seiner Fortpflanzung eine gewisse Zeit braucht, bewirken vereint, daß wir die Sterne am Himmel nicht in der Richtung sehen, in der sie thatsächlich stehen, sondern um einen kleinen Betrag gegen ihren wahren Ort nach der Richtung hin verschoben, nach der die Erde sich bewegt.
Man pflegt das Gesagte gewöhnlich durch folgendes Bild zu veranschaulichen. Wenn auf ein Schiff, [* 6] das mit sehr großer Schnelligkeit gerade von W. nach O. einen Strom hinabfährt, von dem südl. Ufer, gerade in der Richtung von S. nach N. eine Kugel mit solcher Kraft [* 7] abgefeuert würde, daß sie beide Seitenwände durchbohren müßte, so würden die beiden Löcher in der Wand einander nicht gerade, sondern etwas schräg gegenüberliegen, da das Schiff in der Zeit, die zwischen dem Durchschlagen des ersten und zweiten Lochs verstrich, ein Stück weiter nach O. fuhr.
Wüßte man nun nicht, daß das Schiff sich bewegt hätte, so würde man glauben müssen, die Kugel sei nicht gerade, sondern schräg auf das Schiff abgeschossen worden, da die Verbindungslinie zwischen den beiden Löchern schräg durch das Schiff durchgeht. Setzt man statt des Schiffs die im Weltraume dahineilende Erde, statt der Kugel einen Lichtstrahl von einem fernen Sterne, so hat man ganz denselben Fall. Die Erde bewegt sich in der Zeitsekunde durchschnittlich um 30 km in ihrer Bahn vorwärts, in der nämlichen Zeit aber legt das von dem Stern kommende Licht gegen 300000 km zurück.
Man muß daher, wenn der
Stern in Wirklichkeit direkt nach S. zu steht und die Erde sich von W. nach O. bewegt, das
Fernrohr,
[* 8] mit dem man nach ihm schauen will, nicht genau nach S., sondern ein wenig voraus nach O. zu richten. Bewegt sich die Erde
nach W., so muß das auf den
Stern gerichtete
Fernrohr von der Südrichtung ein wenig nach W. hin abweichen. Dieser Abirrung
swinkel
ist übrigens nur sehr klein und erreicht seinen höchsten Betrag, 20,4 Bogensekunden, wenn die
Richtung der Erdbewegung gerade
senkrecht zur
Richtung des von einem
Stern kommenden Lichtstrahls ist; je mehr beide
Richtungen sich einander
nähern, um so kleiner wird die Abirrung.
Ein
Stern, der genau in der
Richtung steht, auf welche zu oder von welcher weg die Erde
sich bewegt, erleidet gar keine und wird an seinem wahren Orte gesehen. Da die
Bahn der Erde nahezu kreisförmig ist,
und ihre
Bewegung daher in einem Jahre alle
Richtungen innerhalb ihrer Bahnebene durchläuft, so muß auch die Abirrung
des nämlichen
Sterns sich im Laufe eines Jahres nach
Größe und
Richtung ändern.
Sterne, die sich in einer
Richtung senkrecht auf die Erdbahn oder
Ekliptik befinden, werden während des Laufs eines Jahres
allmählich an Orten gesehen werden, die um ihren wahren Standpunkt herum in einem
Kreise
[* 9] liegen, dessen Durchmesser 40,8
Bogensekunden beträgt. Für
Sterne außerhalb der
Pole der
Ekliptik werden diese scheinbaren Kreisbahnen zu Ellipsen, deren
große, dem erwähnten Kreisdurchmesser gleiche
Achsen parallel mit der
Ekliptik liegen, und deren kleine
Achsen immer
mehr zusammenschrumpfen, bis endlich
Sterne, die in der
Ekliptik selbst liegen, sich nur noch geradlinig parallel mit der
Ekliptik
während eines Jahres um 40,8 Bogensekunden einmal hin- und herzubewegen scheinen. - Die tägliche
Bewegung der Erde um ihre
Achse bewirkt außerdem noch eine tägliche Abirrung.
Diese ist indessen viel unbedeutender
als die eben geschilderte jährliche da die
Geschwindigkeit der
Bewegung der Erde um ihre
Achse sehr viel kleiner ist als die
Geschwindigkeit der
Bewegung um die
Sonne. Durch sie kann ein
Stern höchstens um 0,3 Bogensekunden gegen seinen wahren Ort verschoben
erscheinen. - Die
Größe 20,4 Bogensekunden nennt man die Konstante der
Aberration. - Die Abirrung
wurde 1728 von
dem engl. Astronomen
Bradley entdeckt, der bei dem Versuche, die Entfernung eines
Sterns im Sternbild des Drachens zu bestimmen,
scheinbare Ortsveränderungen dieses
Sterns fand, die nur auf die eben angegebene Art erklärt werden konnten. -
Bei den
Planeten
[* 10] und
Kometen
[* 11] spricht man von einer Aberrationszeit. Es ist dies die Zeit, die das Licht braucht, um von
diesen Körpern zur Erde zu gelangen. -
Vgl. Ketteler, Astron.
Undulationstheorie oder die Lehre [* 12] von der d. L. (Bonn [* 13] 1873).-
Über die optische Abirrung
s.
Abweichung.