Aberglaube
(Afterglaube, lat.
Superstitio), die jenige Gestaltung des
Glaubens an übernatürliche Vorgänge, welche
nicht oder nicht mehr dem herrschenden
Glauben der Mehrheit entspricht oder über denselben hinausgeht. Vielfach handelt es
sich dabei um Phantasievorstellungen des
Volks, die einer primitiven Kulturstufe überhaupt entsprechen, weshalb der Volksaberglaube
in den verschiedenen
Weltteilen mannigfache Übereinstimmung zeigt, vielfach aber auch um sogen.
Überlebsel aus einem ältern,
durch neuere
Formen ersetzten Volksglauben, z. B. aus dem alten
Heidentum oder auch nur aus einer frühern
Epoche der noch
jetzt herrschenden Religionsform, wie z. B. der Hexenglaube.
Psychologisch betrachtet, ergibt sich als Urquell der meisten Aberglaube
nsformen das Personifikationsbestreben des menschlichen
Intellekts, welches allen ihm unerklärlichen Naturvorgängen ähnliche
Ursachen unterlegt wie diejenigen, welche sein eignes
Thun und
Handeln regieren, d. h. also einer
Individualität, mit der man
Verbindungen anknüpfen und unterhandeln kann.
Furcht und
Eigennutz sind die beiden hauptsächlichsten
Ursachen einer abergläubischen
Disposition des
Gemüts, indem durch sie
die
Phantasie verleitet und der
Verstand gefangen genommen wird.
Seinem
Wesen nach ist der Aberglaube
entweder theoretisch oder praktisch; jener besteht in der bloßen
Vorstellung, dieser wirkt auf
den
Willen und dadurch auf das
Handeln.
Seinen
Objekten nach
ist er religiöser oder physikalischer Aberglaube.
Ersterer
bezieht sich auf die Geisterwelt und hegt von ihrer
Beschaffenheit wie von ihrer
Verbindung mit der sinnlichen
Welt
Vorstellungen,
welche der
Vernunft und
Erfahrung widerstreiten; aus ihm entstehen
Abgötterei,
Theosophie, Werkheiligkeit, Reliquiendienst,
Glaube an die magische
Kraft
[* 2] gewisser
Zeremonien, durch welche die vorausgesetzten übernatürlichen Mächte
zu Hilfsleistungen bewogen werden sollen (s.
Magie), und ein großer Teil des Gespensterglaubens.
Der physikalische Aberglaube
bezieht sich auf das Wirken geheimer Zeichen und
Naturkräfte und hat unter anderm die
Astrologie,
[* 3]
Chiromantie
und
Zauberei hervorgebracht. Hierher gehört natürlich auch der Aberglaube
an Wunderdoktoren,
Amulette u. dgl.
Geschichtlich endlich unterscheidet man natürlichen und philosophischen oder gelehrten Aberglauben.
Jener ist bei allen
rohen, ungebildeten Völkern heimisch, dieser wirft dem rohen
Irrwahn ein wissenschaftliches Gewand um. Abergläubische Meinungen
sind oft harmlos, selbst nicht ohne poetischen
Reiz, oft aber auch gefährlich.
Sie machen furchtsam, unduldsam, bisweilen fanatisch. Das sich erste Mittel dagegen ist ein guter Volksunterricht durch Schulen und Schriften.
Vgl.
Schindler, Der Aberglaube
des
Mittelalters (Bresl. 1858);
Wuttke, Der deutsche Volksaberglaube
der Gegenwart
(2. Bearb., Berl. 1869);
Pfleiderer, Die
Theorie des Aberglaubens
(das. 1872);
Meyer, Der Aberglaube
des
Mittelalters
(Bas. 1884);
über die psychologische Seite: Vignoli, Mythus und Wissenschaft (Leipz. 1880).