Aberglaube
,
ein wahrscheinlich aus dem niederländ. overgeloof, das dem lat.
superstitio nachgebildet ist, ins Hochdeutsche übernommenes Wort; soviel wie falscher
Glaube.
Da aber, was den «wahren
Glauben»
ausmacht, für verschiedene
Völker und
Zeiten sehr verschieden ist, so erscheint einem als Aberglaube
, was dem andern wahrer
Glaube
ist. Die den niedern
Stufen eigentümlichen
Anschauungen stellen sich den höhern, sofern sie mit den höher entwickelten
Vorstellungen
in Widerstreit geraten, als dar, also namentlich Überbleibsel früherer sinnlicher
Vorstellungen, sofern
sie als Verunreinigung des geistigen und sittlichen
Glaubens erscheinen. (Vgl. Brunnhofer, Die
Quelle
[* 3] des Aberglaube
, aus
«Globus»,
1874, abgedruckt in Brunnhofers «Kulturwandel und Völkerverkehr», 1891.)
Als Überrest der alten Naturreligionen bezieht sich der Aberglaube
deshalb meist auf das Walten geheimer Naturmächte;
er sieht entweder rein passiv in Naturvorgängen
Vorzeichen (omina) der eigenen
Schicksale (s.
Alchimie
und
Astrologie),
[* 4] und deutet Dinge, die mit den menschlichen Verhältnissen keinen Zusammenhang haben, wie den Flug der
Vögel,
[* 5] den Befund der
Eingeweide
[* 6] geopferter
Tiere, die
Arcana (s.
Arcanum), zu
Anzeichen für Gelingen oder Mißlingen menschlicher Thätigkeiten
um, spürt in gewissen
Thatsachen der äußern (s.
Physiologus) und innern Schöpfung (s.
Talisman, Wünschelrute)
Parallelen zum eigenen
Handeln und
Ergeben auf, oder sucht mehr aktiv durch geheimnisvolle Handlungen, die ohne natürlichen
Einfluß auf die Sache sind, dem Eintritt befürchteter Ereignisse vorzubeugen und den gewünschter Naturvorgänge herbeizuführen
oder zu beschleunigen. Im letztern Falle nimmt der Aberglaube
die Form der
Zauberei und der
Magie (s. d.) an, wie
bei Besprechungen,
Beschwörungen und solchen Handlungen, die man im gemeinen Leben als
Sympathie (s. d.) bezeichnet. (Vgl.
Perty, Die mystischen Erscheinungen der menschlichen Natur, 2. Aufl., Heidelb.
1873; ders., Der jetzige
Spiritualismus und verwandte Erfahrungen der Vergangenheit und Gegenwart, Lpz. 1877.) Die
verschiedenen
Arten des antiken Aberglaube
lernt man besonders durch Lucian kennen, der sie in Einzelsatiren verspottete.
Auf dem Standpunkte des
Christentums stellen sich als Aberglaube
namentlich die Reste aus dem Vorstellungskreise der heidn. Vorzeit
dar, die der Volksglaube erhalten hat (vgl.
Lippert,
Christentum, Volksglaube und Volksbrauch, Berl. 1882), z.B. das Gottesurteil
(s. d.). In der Zeit
Karls d. Gr. wurde ein offizieller «Indiculus
superstitionum et paganarium» (erläutert von Saupe,
Leipziger Programm, 1891) zusammengestellt, der gegen den fortlebenden
altheidn.
Glauben unter den
Christen eifert.
Dasselbe thaten zahlreiche Konzilbeschlüsse sowie weltliche und kirchliche Verordnungen. Aber auch innerhalb der christl.
Religion selbst werden durch die fortschreitende Läuterung und Vergeistigung des religiösen
Bewußtseins
die sinnlichen
Vorstellungen der
Vergangenheit als Aberglaube
ausgeschieden, sobald sie von den
Christen selbst als Hemmnis der reinen
Gottesverehrung empfunden werden, so die in
Luthers
Katechismus aufgezählten
Vorstellungen und Handlungen des Aberglaube
, die
Totensagen
(s. d.) mit der
Nekromantie (s. d.), der
Exorcismus (s. d.), der
Glaube an
Hexen (s. d.) u.s.w. –
Vgl.
H. L. Fischer, Das
Buch vom Aberglaube
(3 Bde.
u.
Anhang, 1790–94);
Schindler, Der Aberglaube
des Mittelalters (Bresl. 1858);
Aberglaube
Wuttke, Der
deutsche Volksaberglaube
der Gegenwart (2. Aufl., Berl. 1869);
Pfleiderer, Die
Theorie des Aberglaube
(ebd. 1872);
Simar, Der Aberglaube
(3.
Aufl., Köln
[* 7] 1894);
Mannhardt, Die praktischen Folgen des Aberglaube
(Berl. 1878);
Vignoli, Mythus und Wissenschaft (Lpz. 1880);
C.
Meyer, Der Aberglaube
des Mittelalters und der nächstfolgenden Jahrhunderte
(Bas. 1884);
L. Strümpell, Der Aberglaube (Lpz. 1890);
Henne am Rhyn, Eine Reise durch das Reich des Aberglaube (ebd. 1893).