Abenteuer
,
ein aus dem franz. aventure
(Ableitung vom mittellat. advenire für das klassische evenire) umgebildetes
Wort, das im 12. Jahrh. mit der höfischen Kunstpoesie nach
Deutschland
[* 2] kam und mittelhochdeutsch als âventiure
(femin.)
erscheint. Es bezeichnet zunächst ein Ereignis überhaupt, insbesondere ein seltsames, wunderbares, dann auch ein Wagnis.
Der
Begriff des in diesem
Sinne entwickelt sich mit Rittertum und ritterlicher
Epik. Während in den epischen
Dichtungen des 11. und 12. Jahrh. die Ritter mehr als Glaubenshelden erscheinen, die in
Kämpfen mit den Sarazenen im Morgenlande und den Mauren in
Spanien
[* 3] suchen, streben seit Ende des 12. Jahrh. die Dichter,
ihre
Helden durch wüste, meist zwecklose Kämpfe mit Ungeheuern und Märchenwesen aller Art, durch Berührung
mit Zauberern und Feen interessant zu machen.
Ja, «Frau Aventiure», ein weibliches Wesen von hoher Schönheit, wird geradezu die Muse dieser Dichter, die sie, z.B. Wolfram, anfeuert und belehrt; vgl. J. Grimm, Frau Aventiure klopft an Beneckes Thür (Berl. 1842). Auch die einzelnen Kapitel epischer Dichtungen wurden zuweilen als erste, zweite u. s. w. «Aventiure» bezeichnet. Mit dem Verfall des Rittertums trat das in der Litteratur zurück; doch blieb es in der romantischen Poesie, z. B. auch in Märchen und Oper, die technische Bezeichnung für Begebenheiten, bei denen ¶
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32 Geister, Elfen und anderes Wunderbare eine Rolle spielt. In der Alltagssprache bedeutet jetzt Abenteuer
vorzugsweise
ein auffallendes Ereignis, das mit dem Herkommen nicht in Einklang steht, gern mit dem Beigeschmack des Gefährlichen oder
Lüsternen. Abenteuerlich
heißen Gedanken und Handlungen, die ihre Entstehung mehr zügelloser Phantasie und blindem Thatendurst
als vernünftiger Überlegung und zielbewußtem Willen verdanken. Auch der Begriff des Abenteurers erfuhr
im Laufe der Jahrhunderte Wandlungen.
Solange die schwärmerische Sehnsucht nach Abenteuer
für das Rittertum bezeichnend war, galt wenigstens in den roman.
Ländern Aventurier als ehrenvoller Name für fahrende Ritter, deren Thätigkeit darauf hinauslief, daß sie der Ehre wegen
von einem Turniere zum andern zogen. Als dann die Turniere zu bloßen feudal-sportmäßigen Spielen (Ringelrennen, Karussellen
u. dgl.) ausarteten, nannte man diejenigen, die zu solchem gefahrlosem Wettstreit
herausforderten, Mantenedores (frz. Mainteneurs), die hingegen, die den Kampf, das Abenteuer
bestehen
wollten, Aventureros (frz. Aventuriers).
Dergleichen Abenteurer finden sich in den roman. Ländern bis ins 18. Jahrh. (s. Crichton). Unterdessen war der Name längst auf eine Klasse von Personen aller Stände übertragen worden, die in unstetem Leben von Land zu Land zogen, um auf ungewöhnlichen Wegen Namen oder Vermögen zu erwerben. Die Entdeckung Amerikas und der neuen Handelswege nach Ostindien [* 5] war dieser Richtung günstig. Abgesehen von den Konquistadoren (s. d.) des 16. Jahrh., die sich der Waffen [* 6] bedienten, entstand ein Schlag von Kaufleuten, die sog. Aventuriers, die für erborgte Kapitale Waren kauften und an fernen Küsten hoch verwerteten (s. Großaventurhandel). Es giebt im beginnenden 18. Jahrh. eine Gruppe von Romanen, deren Held der (Leipziger, russische, asiatische u.s.w.) Aventurier ist, Nachahmungen der Robinsonaden (s. Robinson Crusoe).
Sie schildern in fernen Ländern; der älteste ist «Des seltsamen Aventurier sonderbare Begebenheiten oder Corn. Paulsons Lebensgeschichte» (Lübeck [* 7] 1724). Dieselbe Zeit und die folgende brachte zahlreiche militär., polit. und diplomat. Abenteurer hervor, wie Ripperda, Bonneval, Benjowsky, Neuhof, Cloots, Trenck, denen Alchimisten, Geheimbündler, Magnetiseure, wie Cagliostro, Saint [* 8] Germain u.a. an die Seite treten. Casanova (s. d.) kann als Vertreter der Klasse von Abenteurern gelten, die durch Spiel, Liebesintriguen, Duelle, gesellschaftliche Talente und persönliche Bekanntschaften in der großen Welt Mittel für Lebensgenuß oder Ansehen zu gewinnen wußten. An diese schließt sich das vielgestaltige moderne Glücksrittertum an.