Abendröte
(Abendrot), das bekannte Phänomen, welches nach dem Untergang der Sonne einzutreten pflegt und in einem über den Abendhimmel verbreiteten, verschieden nüancierten roten Schein besteht. Es tritt ganz besonders prachtvoll auf, wenn bei tiefblauem Himmel [* 3] einige Wolken im W. stehen. Gehören diese zu den geschichteten Federwolken, so erscheinen sie meistens vor Sonnenuntergang als hellgraue Streifen mit hellen Rändern, welche später goldgelb und darauf feuerrot werden, während die Wolken im Innern dunkelblau oder, wenn sie die rote Erleuchtung der Rückseite durchscheinen lassen, purpurrot aussehen. Je nach der tiefern oder höhern Lage dieser Wolken gewahrt man verschiedene Färbung; einige erscheinen bereits dunkel feuerrot, während andre, scheinbar danebenstehende noch gelb sind.
Bei weißlichem, mattblauem
Himmel besteht die in einem oft glänzenden, aber mehr oder weniger weißlichen
Gelb oder Graurot. Wenn nur ein matter gelber
Glanz am Abendhimmel sichtbar ist, wird oberhalb desselben eine weißliche Färbung
beobachtet, die oft in ein mattes
Grün übergeht. Die frühern
Physiker suchten die Entstehung der Abendröte
einfach durch die
Annahme zu erklären, daß die
Luft von den
Strahlen, in welche das weiße Sonnenlicht beim
Durchgang durch ein dichteres
Medium
sich teilt, vorzugsweise die blauen reflektiere, dagegen die gelben und roten vollständiger durchlasse.
Forbes gab zuerst eine bessere
Erklärung der
Erscheinung, indem er sie mit dem atmosphärischen Wasserdampf in
Verbindung
brachte, und endlich hat
Clausius im 76.
Band
[* 4] von
Poggendorffs
»Annalen« die Entstehung der Abendröte
sowie der blauen Färbung des
Himmels aus der
Annahme erklärt, daß der atmosphärische Wasserdampf die Form von kleinen, kugelförmigen Nebelbläschen
und nicht von massiven Wasserkugeln besitzt. Die äußere
Hülle dieser Wasserbläschen wirkt so wie ein
dünnes Blättchen, welches sowohl im reflektierten als auch im durchgehenden
Licht
[* 5]
Farben zeigt. Je dünner die Wasserschicht
der Nebelbläschen, desto reiner ist das
Blau des
Himmels.
Bei zunehmender
Feuchtigkeit wird nicht nur die
Dicke der Wasserschicht zunehmen, sondern es werden sich auch immer von neuem
Nebelbläschen bilden, so daß dann alle Zwischenstufen von einer bestimmten
Grenze der
Dicke an bis zu
den feinsten
Bläschen herab gleichzeitig in der
Luft schweben und die verschiedenen
Farben hervorbringen, die sich zu einer
weißlichen Färbung vereinigen und das reine
Blau des
Himmels trüben. Wie in dem von den Nebelbläschen reflektierten
Lichte
die blaue
Farbe vorherrscht, wird im durchgehenden
Lichte die dafür komplementäre
Farbe, also
Orange, vorherrschen,
und wenn die
Sonne
[* 6] in der
Nähe des
Horizonts steht, also die
Strahlen auf ihrem Weg sehr viele Nebelbläschen zu durchdringen
haben, wird die
Orangefarbe ein bedeutendes Übergewicht
erhalten und die
Erscheinung der Abendröte
hervorrufen.
Ganz dasselbe
Phänomen beobachtet man bekanntlich auch als
Morgenröte, und wenn sich die
Sonne nach und
nach über den
Horizont
[* 7] hebt, wird die rötliche Färbung immer schwächer, bis sie schließlich in die weiße
Farbe übergeht.
Wenn bei schönem blauen
Himmel sich die Abendröte
als ein sanftes
Purpurn zeigt und wenige Federwolken am
Horizont
rot gefärbt erscheinen, pflegt schönes
Wetter
[* 8] zu folgen; eine weißlichgelbe oder sehr rote trübe Abendröte
bei größtenteils
bedecktem
Himmel wird ebenso wie ein starkes Morgenrot bei bedecktem
Himmel als Vorbote von
Regen angesehen.
In den letzten
Monaten
von 1883 und in den ersten
Monaten von 1884 wurden ungewöhnlich lebhafte
Morgen- und Abendröten
beobachtet,
welche man mit vulkanischen
Ausbrüchen, besonders mit denen in der
Sundastraße in
Verbindung gebracht hat.