Abälard
,
Peter (frz. Abeillard, Abélard; lat. Petrus Abelardus), Scholastiker und Theolog, geb.
1079) zu Pallet oder Palais, einem Dorfe bei Nantes [* 3] (daher Doctor Palatinus), erhielt seine erste wissenschaftliche Bildung durch Roscellin, den Begründer des Nominalismus (s. d.), und kam um 1099 nach Paris, [* 4] wo damals Wilhelm von Champeaux, der Vertreter des Realismus (s. d.), lehrte, wurde aber bald Rival und Gegner seines Lehrers. Seit 1102 lehrte er zu Melun, Corbeil und Ste. Geneviève vor einem sich immer vergrößernden Kreise [* 5] von Schülern, machte sich aber damit Wilhelm von Champeaux zum unversöhnlichen Feinde.
Nachdem dieser
Bischof von Châlons geworden war, übernahm Abälard
1113 die Leitung der Schule bei der
Kirche
Notre-Dame und bildete
hier die ausgezeichnetsten
Männer aus, unter ihnen den nachmaligen Papst Cölestin II.,
Petrus Lombardus,
Berengar, seinen
nachmaligen Apologeten, und
Arnold von Brescia. Abälard
war das anerkannte Haupt aller Dialektiker und überstrahlte
alle andern
Lehrer von
Paris, dem damaligen Mittelpunkte der philos.-theol. Wissenschaften. Von dem Kanonikus Fulbert zum
Lehrer
seiner 17jährigen, durch Schönheit und
Geist ausgezeichneten Nichte
Heloise berufen, entbrannte in heftigster Liebe zu ihr,
die von
Heloise mit gleicher Leidenschaft erwidert wurde. Als Fulbert die Liebenden zu trennen suchte,
entführte Abälard
die Geliebte nach der
Bretagne, wo sie einen Sohn gebar, und vermählte sich in der
Stille mit ihr. Fulbert hingegen
ließ Abälard
aus
Rache entmannen, damit ihm auf
Grund der kanonischen Gesetze der Weg zu den kirchlichen Ehren verschlossen
bliebe. Abälard
ging nun als Mönch ins
Kloster zu St.
Denis; die 18jährige
Heloise nahm auf sein Verlangen den Schleier zu
Argenteuil.
Unzufrieden mit dem klösterlichen
Treiben, begann er auf Zureden seiner Freunde wiederum seine Vorlesungen in der Priorei
zu Maisonville; aber seine Gegner erweckten ihm bald neue Verfolgungen. Seine «Introductio
in theologiam» ward 1121 auf der Kirchenversammlung zu
Soissons zum
Feuer, Abälard
selbst zur Haft im St. Medarduskloster verurteilt.
Nachdem er mit Mühe die Erlaubnis erhalten, außerhalb der klösterlichen
Mauern zu leben, verließ er St.
Denis und erbaute
sich zu Rogent an der Seine eine Kapelle und
Klause,
Paraklet genannt, die, von seinen ihm folgenden
Schülern
zu einer geräumigen
Stiftung erweitert, von ihm nach seiner Ernennung zum
Abt von St. Gildas-de-Ruys in der
Bretagne
Heloisen
und ihren Religiösen zur Wohnung überlassen wurde.
Seine Gegner, unter denen
Bernhard von Clairvaux und Norbert von Laon obenan standen, brachten es endlich dahin,
daß 1140 auf der
Synode zu Sens seine
Lehre
[* 6] verdammt, dieses
Urteil vom Papste bestätigt und durch einen Verhaftsbefehl verschärft
wurde. Doch
Peter der Ehrwürdige,
Abt zu
Cluny, söhnte ihn mit seinen Feinden und dem päpstl.
Stuhle aus. Abälard
starb als
Muster klösterlicher Zucht in der
Abtei St.
Marcel unweit Châlon an der Saône.
Heloise erbat sich den
Leichnam, den sie im
Kloster
Paraklet begraben ließ, um nach ihrem
Tode an seiner Seite zu ruhen. Sie starb Beider
Asche wurde 1800 in das Musée des Petits-Augustins in
Paris, 1815
in die
Kirche St. Germain-des-Près daselbst
gebracht und 1817 auf dem Kirchhofe Père-Lachaise beigesetzt.
In dem Streite des Nominalismus und Realismus nahm Abälard
eine eigentümliche
Stellung ein, insofern er die Ideen oder Allgemeinbegriffe
(universalia) weder mit ersterm für bloße
Namen oder
Abstraktionen, noch mit letzterm für das alleinige Reale hielt, noch
auch zugab, daß die Realität des
Allgemeinen an jedem Einzelwesen sich darstelle. Vielmehr bewies er,
daß die eine und selbe Wesenheit jedem Individuum nicht auf dieselbe wesentliche, sondern immer nur auf eine individuelle,
mithin bestimmte
Weise zukomme («inesse singulis individuis eandam rem non essentialiter, sed
individualiter tantum»).
Doch ist die
Stellung
A.s in dieser Frage, da er sich selbst schwankend darüber ausspricht, noch immer
streitig. Bezüglich des Verhältnisses zwischen
Vernunft und
Religion lehrt er, daß alle Kräfte dem
Menschen von Gott zu
irgend einem guten Zweck verliehen seien, also auch die
Vernunft. Nur auf der durch freies Nachdenken gewonnenen Überzeugung
ruhe der
Glaube als auf einer unerschütterlichen Grundlage; ein
Glaube, der ohne geistige Kraft
[* 7] erworben,
ohne selbstthätiges Prüfen angenommen worden, sei der
Freiheit des
Menschen unwürdig. Abälard
führte indes seine philos.
Grundanschauung nur in Bezug auf die Ethik (in der Schrift «Scito te ipsum») aus, während er die kirchliche Dogmatik unangetastet ließ. Überhaupt blieb er, ungeachtet seines freien Rationalismus, innerhalb der Kirche stehen. Seine Hauptwerke sind: «Sic et non», eine Sammlung dogmatischer Widersprüche der Kirchenväter (zuerst vollständig hg. von Henke und Lindenkohl, Marb. 1851),
«De unitate et trinitate divina» (hg. von Stölzle, Freib. i. Br. 1891),
«Introductio in theologiam», «Scito te ipsum», «Historia calamitatum», eine Selbstbiographie (hg. von Orelli, Zür. 1848). Cousin gab die «Ouvrages inédits d'Abélard» mit einer Biographie und Charakteristik (Par. 1836) und eine vollständige Sammlung von A.s Werken (2 Bde., ebd. 1849-59) heraus. -
Vgl. Rémusat, (2 Bde., Par. 1845);
Wilkens,
Peter Abälard
, eine
Studie zur
Kirchengeschichte des Mittelalters
(Brem. 1855);
Deutsch,
Peter Abälard
, ein
kritischer Theolog (Lpz. 1883);
Hausrath,
Peter Abälard.
Ein Lebensbild (ebd. 1893);
Compayre, Abelard and the origin and early history of universities (Lond. 1893);
über A.s theol. und philos.
Bedeutung: Goldhorn, Comment. hist.-theol. de summis principiis
theologiae Abaelardae
(Lpz. 1838);
Bornemann, Anselmus et Abelardus (Kopenh. 1840);
Bonnier, Abélard et St. Bernard (Par. 1862);
Hayd, und seine Lehre (Regensb. 1863).
A.s romantisches Liebesverhältnis ist vielfach dichterisch dargestellt worden; so von Carriere und Heloise», 2. Aufl. 1853),
Jacobi und Heloise»),
Berl. 1850),
G. Schuster und Heloise, Hamb. 1860) u. a.