einKanton
[* 2] der nördlichen
Schweiz,
[* 3] wird im N. durch den
Rhein vom Großherzogtum
Baden
[* 4] geschieden,
im übrigen von den
Kantonen Baselland, Solothurn,
[* 5] Bern,
[* 6] Luzern,
[* 7] Zug
und Zürich
[* 8] begrenzt und hat ein
Areal von 1404 qkm (25,5 QM.). Er gehört dem größern
Teil nach
der
SchweizerHochebene an, erstreckt sich aber auch über jurassisches Gebiet, das infolge des Durchbruchs
der
Aare in eine westliche und östliche Hälfte zerfällt; die erstere enthält das
Frickthal, auch nach dem
Volk der Rauraker
Raurachien genannt, ein zum
Rhein abfallendes
Hügel- und Thalgelände, die andre, kleinere das zwischen
Limmat,
Aare und
Rhein
ausgebreitete Hügelland
(GrafschaftBaden).
Hier wirft man ihr Lässigkeit und Bigotterie vor, dort ein unruhiges, neuerungssüchtiges
Wesen. Im Unteraargau, dem (einst
bernischen) Stammland, herrscht
Protestantismus; dagegen sind
Freiamt und
Baden, als die ehemaligen »gemeinen Herrschaften«,
sowie das
Frickthal, als Teil der einstigen
»vorderösterreichischen
Lande«, überwiegend katholisch. Im allgemeinen gilt der Aargauer für einen verständigen und aufgeweckten
Schlag. Der
Landbau,
überall eine Hauptbeschäftigung, erzeugt nicht genug
Getreide,
[* 12] dagegen
Stein- und
Kernobst zur Ausfuhr; der Weinbau, fast
nur an der Südgrenze fehlend, in den Jurabezirken
Brugg,
Baden,
Laufenburg am stärksten und inKastelen,
Schinznach,
Wettingen etc. ein vorzügliches
Gewächs liefernd, deckt den
Bedarf nicht völlig.
Das
Rindvieh ist meist von schöner
Rasse, bald
Berner, bald
Schwyzer Vieh. Aus dem
Freiamt findet Ausfuhr nach den Welschlandmärkten
statt. Auch die Schweinezucht ist ansehnlich. Berühmte
Heilquellen sind zu
Baden,
Schinznach, Wildegg und Birmensdorf, drei
bedeutendeSalinen zu
Rheinfelden,
Ryburg,
Kaiseraugst. Die Sandsteinbrüche von Würenlos, Mellingen etc.
bilden eine fast ununterbrochene
Reihe; sie liefern
Bausteine, Brunnentröge,
Säulen,
[* 13] Herdplatten u. dgl. Im
Jura gewinnt man
viel
Kalkstein und
Gips,
[* 14] auch
Alabaster; besonders ist der blaßrote von Ehrendingen von Bildhauern geschätzt.
Auf dem
Bözberg bei Effingen bricht man (nicht in Tafeln, die
Blöcke werden gesägt) einen feinen
Kalkstein,
dessen Verwendung als Lithographiestein indessen nicht, wie man gehofft hatte, gelungen ist; außerdem finden sich
Tuffstein
(bei Biberstein),
Bohnerz (bei
Aarau),
[* 15]
Torf (im Bünzthal). Die Hauptindustrie des Aargaus bilden Baumwollmanufaktur und
Strohflechterei.
In jener arbeiten am meisten der Unteraargau und der
BezirkBaden; sie beschäftigt über 300,000
Spindeln.
Damit verbinden sich die Baumwollweberei (im
Frickthal) und besonders zahlreiche
Färbereien, Druckereien und
Bleichen. An mehreren
Orten wird auch Seidenbandweberei,
Zigarren- und Tabaksfabrikation getrieben, und die Hauptstadt
Aarau hat eine rührige und
angesehene
Industrie in Metallwaren; Hauptsitz der
Strohflechterei ist
Wohlen.
Das allgemeine Staatsvermögen betrug zu Ende 1882 an Aktiven 28,233,147 Fr., an Passiven
3,738,761 Fr., also netto 24,494,386Fr.; dazu kommen 17 Fonds zu besondern Zwecken, darunter kantonales Schulgut: 1,557,158
Fr. Kantonshauptstadt ist Aarau.
Geschichte. Der Aargau war eine alte alemannische Grafschaft, welche ursprünglich den größten Teil der
heutigen KantoneAargau und Luzern
sowie Stücke von Bern,
Solothurn,
Unterwalden etc. umfaßte, aber durch die Lostrennung kleinerer Gebiete als besonderer
Grafschaften und die sich ausbreitende Eidgenossenschaft allmählich bedeutend geschmälert wurde. Seit dem Erlöschen des
Grafenhauses von Lenzburg (1173) gehörte der den Habsburgern, bis ihn die Eidgenossen auf Antrieb des
KaisersSigismund und des KonstanzerKonzils 1415 dem geächteten HerzogFriedrich entrissen.
Bern
nahm den westlichen Teil (Zofingen, Aarburg, Aarau, Lenzburg), Luzern
den Süden (Sursee) und Zürich
den Osten, das sogen. Knonauer Amt, in Besitz;
das übrige, die Freiämter und die GrafschaftBaden, wurde als gemeine Herrschaften von sieben, resp. acht
Kantonen regiert. Die Revolution erlöste 1798 den Aargau aus seiner Unterthanenstellung und wandelte den bernischen Teil in einen
KantonAargau, die gemeinen Vogteien in einen KantonBaden um; der heutige Kanton, mit dem das im Lüneviller
Frieden (1801) von Österreich
[* 19] abgetretene Frickthal vereinigt wurde, entstand 1803 durch die Mediationsakte und blühte unter
einer repräsentativ-demokratischen Verfassung sichtlich auf. Im J. 1814 gelang es dem jungen Gemeinwesen, seine Existenz gegen
die Herrschaftsgelüste Berns zu retten; dagegen wurde die Verfassung durch hohen Zensus, lange Amtsdauer u. dgl. in
aristokratischem Sinn modifiziert.
Als nach der Julirevolution die Regierung dem allgemeinen Verlangen nach Änderung der Verfassung nicht entsprechen wollte,
wurde sie durch einen übrigens unblutigen Aufstand dazu gezwungen und die neue Verfassung vom auf demokratischen
Grundsätzen aufgebaut. Im J. 1840 regte die ultramontane Partei eine Verfassungsrevision an; als aber
diese nur dazu führte, daß in dem neuen, mit 16,000 gegen 11,500 Stimmen angenommenen Grundgesetz, der Forderung
der reformierten Mehrheit gemäß, der bisherige Grundsatz der Parität der Konfessionen, wonach die Katholiken die eine Hälfte
des GroßenRats und die Reformierten die andre besetzt hatten, aufgehoben und die Vertretung nach der Kopfzahl
eingeführt wurde, erhob sich in den Freiämtern ein Aufruhr.
Die Regierungstruppen zerstreuten indes die Aufständischen bei Villmergen(11. Jan.) und besetzten die
widerspenstigen Bezirke.
Da der konfessionelle Hader namentlich von den Klöstern aus geschürt worden war, beschloß der GroßeRat, dieselben, acht
an der Zahl, aufzuheben und ihr 6½ Mill. betragendes Vermögen für Schul- und Armenzwecke zu verwenden
(13. Jan.). Die hierin liegende Verletzung der im Bundesvertrag von 1815 ausgesprochenen Klostergarantie gab zu langwierigen Verhandlungen
in der TagsatzungAnlaß, deren Mehrheit sich indes mit der Wiederherstellung der vier Frauenklöster zufrieden
gab, während die nachmaligen Sonderbundskantone feierlich gegen diese Entscheidung protestierten. Von
da an stand die Regierung des Aargaus an der Spitze der antiklerikalen Bewegung und stellte schon 1844 auf der Tagsatzung den
Antrag auf Ausweisung der Jesuiten. Durch die Verfassungsrevision vom wurde dem Volk das Recht derAbberufung
des GroßenRats gegeben. Die Emanzipation der Juden gab 1863 der ultramontanen ParteiAnlaß zu rühriger Agitation, die aber das
liberale Regiment nicht zu erschüttern vermochte. Im J. 1869 stellte dieselbe das Begehren nach Einführung des Referendums,
Aufhebung des Placetrechts der Staatsbehörden in Kirchensachen u. a. In Bezug auf ersteres wurde ihr
entsprochen, indem durch zwei Partialrevisionen vom und die obligatorische Volksabstimmung nicht nur
über Gesetze, sondern auch über die Steueranlage und das Budget auf je vier Jahre eingeführt wurde. Dagegen nahm die Regierung
nicht nur an allen Schritten der Solothurner Diözesanstände gegen den Bischof Lachat teil (s. Schweiz),
sondern veranlaßte auch einen Beschluß des GroßenRats im Sinn der Trennung von Kirche und Staat und die Aufhebung
der Klöster Hermetschwyl und Gnadenthal sowie des Veronastifts Zurzach Dafür rächten sich die Ultramontanen,
indem sie mit Hilfe einer reformierten Minderheit 1877 und 1878 konsequent jede Staatssteuer verweigerten,
so daß seither ohne verfassungsgemäßes Budget und ohne Steuer regiert werden mußte.
Kanton. Dieser Kanton liegt zwischen 25° 22' u. 26° 7' östl. Länge (v. Greenwich) u. 47° 8' u. 47° 37'
nördl. Breite. Er wird begrenzt im O. durch Zürich
und Zug,
im S. durch Luzern,
im W. durch Bern,
Solothurn
und Baselland, im N. trennt der
Rhein ihn vom Grossherzogtum Baden.
Seine Ausdehnung vom O. nach W. beträgt 60 km, von N. nach S. 45 km, sein Flächeninhalt
1404,1 km2.
Der Aargau
wird durch die Aare in zwei Teile geteilt, der südöstliche gehört dem schweiz. Mittelland
an, der nordwestliche
dem Juragebiet.
Die Hügel der Hochebene, hauptsächlich aus Sandstein und Nagelfluh bestehend, sind nicht hoch, ihre Abhänge
sind mit schönen Wiesen bekleidet, und grössere oder kleinere Dörfer liegen malerisch auf ihren Höhen.
die Hochwacht, 587 m. bei Mühlethal, mit prächtigem Ausblick
auf das Aarethal und die Alpen, und zuletzt der Boowald, 525 m. dem Pfaffnernthal und Murgthal entlang.
Das Juragebiet wird durch Längskelten gebildet, welche höher sind als die Hügel der Hochebene. Zwischen diesen Ketten
ziehen sich schmale, mit Dörfern übersäete Längsthäler dahin. Gegen den Rhein hin nehmen die Berge an Höhe ab, die Abhänge
sind weniger steil und die Gipfel sind öfters breit und flach. Man unterscheidet beim aargauischen Jura
drei Ketten: Eine Vorkette, eine südliche und eine nördliche Hauptkette. Die Vorkette liegt rechts von der Aare und beginnt
bei Aarburg mit dem Schlossberg, 450 m., zieht sich von hier über die beiden Wartburgen mit Sälischloss, 667 m. und
endigt im N. mit dem Engelberg, 714 m.
Der Aargau
liegt in dem niedrigsten Teil der schweiz. Hochebene; hier kommen die meisten Gewässer der Zentral-
und Ostschweiz zusammen. Die Aare ist der Hauptfluss des Kantons und durchzieht ihn von S.-W. nach N.-O. Mit Ausnahme des
Frickthales, welches von der Sisseln durchflossen wird, münden alle Thäler des Kantons in dasjenige der Aare. Die Thäler der
Murg, der Pfaffnern, der Wigger, der Suhr, der Wina, das Seethal, das Aathal, das Bünz- und Reussthal gehen von S.
nach N., während das Limmat- und Surbthal von O. kommen. Der Rhein bildet im N. die Grenze des Kantons. Die einzigen Seen des
Kantons sind der Hallwilersee und der kleine Egelsee auf dem Heitersberg.
In geologischer Beziehung gehören die Gesteine des Aargaus vier Perioden an: Der Trias-, der Jura-, der
Tertiär- und der Quartär-Zeit. Im nördlichen Kantonsteil finden sich im Muschelkalk und Keuper, der Trias angehörend,
die Salzlager bei Rheinfelden.
Der AargauerJura gehört zum grössten Teil zum Kettenjura. Die höchsten Berge werden meist vom weissen
Jura oder Malm gebildet, während darunter
da und dort der braune Jura oder Dogger und noch tiefer der schwarze Jura oder Lias
vorkommt. - Der östliche Teil des Kantons besteht aus Tertiärablagerungen, Molasse, welche eine grosse Zahl der Hügel
der Hochebene bildet. Die Süsswassermolasse, namentlich im südlichen Teil der Hochebene entwickelt,
ist zwar arm an Versteinerungen, aber leicht kenntlich an härtern Sandsteinbänken, welche aus den Felswänden vorspringen.
Die quartären Ablagerungen finden sich hauptsächlich in den Thälern; dagegen steigen sie auch etwa auf die Molassehügel
und sogar auf den Jura hinauf. Es sind besonders Glazialgebilde: Moränen, erratische Blöcke und Glazialschotter.
Die Aare und ihre Zuflüsse führen ein wenig Gold, aber die Gewinnung lohnt sich schon lange nicht mehr.
Einige Steinkohlenfunde veranlassten Bohrungen nach diesem wichtigen Brennmaterial; sie waren aber erfolglos. Dagegen war
früher die Eisengewinnung wichtig. Es wurde ausgebeutet bei Küttigen, in Scherz bei Habsburg, bei Herznach, Wölfliswil, am
Bötzberg, bei Rekingen, Tegerfelden, Baldingen etc. Aber der geringe Ertrag des Erzes und die Konkurrenz
des fremden Eisens waren schuld, dass am Ende des letzten Jahrhunderts der Bergbau überall aufhörte. - Um 1840 wurde im
Bezirk Rheinfelden
mit Erfolg nach Salz gebohrt. Im letzten Jahrzehnt erzeugten die dortigen aargauischen Salinen jährlich ca. 230000
q. Salz. Dem Kanton Aargau
haben sie jährlich seinen Salzbedarf zu liefern und dazu noch eine Abgabe von 45000 Fr. Da der Verbrauch
des Kantons etwa 30000 q. beträgt, so trägt das Salzregal dem Kanton jährlich 145000 Fr. ab. In letzter Zeit ist ein neues
Salzlager bei Klingnau-Koblenz entdeckt worden; die Ausbeutung desselben hat aber noch nicht begonnen.
- Der Kanton ist reich an Baumaterialien. Der Jura liefert treffliche Bausteine, Kalk, Zement und Gips; das Mittelland gute
Sandsteine. Baden
und Schinznach sind weltbekannt durch ihre Heilquellen.
Ende 1888 zählte der Kanton 193834 E., fast alle deutsch sprechend: davon waren 106351 Protestanten, 85835 Katholiken, 1051 Israeliten
und 343 Andersgläubige.
Das Klima des Aargau
ist gesund. Der häufigste Wind ist der S.-W.; der zweite der N.-O. Oft sind die tiefern Thäler mit Nebel gefüllt.
Die Kulturen sind diejenigen der Mittelschweiz. Im Jahr 1888 schätzte man den produktiven Boden auf 134180
ha., oder 95,6%, den unproduktiven auf 6230 ha. oder 4,4% der Oberfläche. Der produktive Boden setzt sich zusammen aus:
Ackerland 40425,4 ha., Wiesen und Weiden 44328 ha., Reben 2776,7 ha., Ried- und Streuland 1547 ha., Wald 45103,3 ha. Seither hat
sich die Wiesenfläche auf Kosten des Ackerlandes vermehrt, weil die Viehzucht immer bedeutender wird.
Der Weinbau nimmt dagegen infolge einer Reihe schlechter Jahre ab. Man pflanzt den Weinstock zwar in allen Bezirken, ausgenommen
Muri
und Zofingen, aber doch kommen auf Brugg, Baden, Zurzach und Laufenburg
allein ¾ aller Rebberge. Die besten Weissweine sind diejenigen
von Thalheim, Oberflachs und Schinznach; die besten roten: Brestenberger, Goffersberger, Wettinger, Goldwändler
etc. Im Jahr 1898 war der Ertrag des Weinbaus im ganzen
¶
LANDWIRTSCHAFT UND BODENERZEUGNISSE DES KANTONSAARGAU¶
mehr
30589 hl., davon 4188 hl. rot, 7155 hl. weiss und 19246 hl. gemischt. Der Gesamtwert betrug 1276924 Fr. -
Sehr wichtig ist der Obstbau. Apfel-, Birn-, Kirsch-, Zwetschgen- und Nussbäume liefern jährlich für beinahe 3000000 Fr.
Obst, dazu noch ca. 160000 hl. Most im Werte von 2490000 Fr. Von den Wäldern gehören 76,15% Gemeinden
und Korporationen, Privatwaldungen sind 16,93% und Staatswaldungen 6,92%. Der Ertrag hatte 1898 einen Wert von 2400000 Fr.
Das Wild wird immer seltener. Reh und Wildschwein werden noch etwa angetroffen: Hase und Fuchs sind häufig, besonders im
Jura und in den grossen Wäldern der Molasseberge. Im flachen Teile sind Wildente und Rebhuhn nicht selten.
- Das Jagdregal gehört den Gemeinden; vom Ertrag bezieht der Staat nur 15%, welche zur Hebung der Landwirtschaft verwendet
werden sollen. Im Jahr 1898 betrug dieser Anteil des Staates 11426 Fr. -
Einige Wasserläufe sind fischreich. Der Kanton besitzt 24 Fischzuchtanstalten, welche 1898 nicht weniger
als 3736160 Fischchen ausgesetzt haben. Der wertvollste Fisch ist der Lachs, von dem 1898, 1114 Stück im Gewicht von 7543 kg.
gefangen wurden. Die Fischerei wird immer mehr beeinträchtigt durch die industrielle Ausnutzung der Wasserkräfte, indem
die Wehre oft für die Fische unübersteigliche Hindernisse bilden. Man sucht diesem Uebelstande durch
«Fischleitern» abzuhelfen. In 1898 trugen die Fischpachtzinse 11405 Fr.
ab.
Die Viehzucht hat, wie folgende Tabelle zeigt, stark zugenommen:
Die Milchwirtschaft zeigt einen ähnlichen Aufschwung. In 1897/98 zählte man im Kanton 106 Käsereien,
wovon 29 im Bezirk Muri,
25 im Bez. Zofingen und 18 im Bez. Bremgarten; einzig Laufenburg und Zurzach
hatten keine. 3395 Bauern haben die
Milch von 11444 Kühen, d. i. 281601 q. abgeliefert und daraus wurde Käse im Wert von Fr. 2484790 und
Butter für Fr. 488200, zusammen für Fr. 2972990 fabriziert. - Die Bienenzucht ist sehr bedeutend; 1895 waren 18231 Bienenstöcke.
Industrie und Handel werden begünstigt durch die Wasserkräfte, die gut unterhaltenen Strassen und ein enges Netz von Eisenbahnen.
Der untere Lauf derAare ist mit einem Aufwand von 1½ Millionen Fr. kanalisiert worden, die Reuss und die
Sisseln sollen korrigiert werden. Ende 1898 existierten 563 Wasserwerke mit 14555 Pferdekräften. Die Elektrizitätswerke
von Rheinfelden
und Ruppoldingen sind sehr bedeutend;
die Nebenstrassen 752 km und die Eisenbahnen ungefähr 300 km.
Die bedeutendste Industrie ist die Strohflechterei, welche mit der Rosshaarindustrie zusammen 10-12000 Personen,
meist Frauen
und Kinder beschäftigt, welche das Strohflechten als Hausindustrie neben der Landwirtschaft betreiben. Uebrigens ist
das Stroh längst nicht mehr das Hauptmaterial, jetzt wird meistens Bast von verschiedenen Pflanzen verwendet. Der Hauptsitz
dieser Industrie ist das Freiamt (Bez. Muri und Bremgarten
und einige angrenzende Gemeinden). Die Tabakindustrie ist besonders wichtig
im Bez. Kulm, wo sie etwa 3000 Arbeiter, davon 200 zu Hause beschäftigt.
In neuerer Zeit hat im Bez. Zofingen die Strickerei eine grosse Ausdehnung genommen; sie zählt ca. 3000 Arbeiterinnen,
wovon ⅔ zu Hause arbeiten. Als Hausindustrien spielen noch eine gewisse Rolle: die Herstellung von Halbwollstoffen, von
Seidenbändern, Weisswaren etc. Namentlich die Halbwollweberei war früher im protestantischen Teil des Kantons wichtig;
jetzt ist sie durch die Konkurrenz der Fabrikarbeit stark zurück gegangen. Seidenbänder werden hauptsächlich
im Bez. Rheinfelden und Laufenburg, etwas weniger in Aarau, Bremgarten und Zofingen gewoben.
Unter dem eidgen. Fabrikgesetz standen 1888: 310 Etablissements mit 14827 Arbeitern. Man zählte: 65 Tabakfabriken, 24 Strohflechtereien, 10 Schuhfabriken, 14 Baumwollspinnereien, 8 Baumwollwebereien, 8 Buntwebereien, 16 Färbereien, 14 Seidenbandfabriken, 4 Seidenwindereien, 2 Wollwebereien, 10 Stickereien, 6 Posamenteriefabriken
etc. etc. Unter den zahlreichen, vielseitigen Industrien und Gewerben sind etwa noch besonders hervorzuheben die Fabrikation
von Reisszeugen und mathematischen Instrumenten, die Glockengiesserei, die Konservenfabriken etc. etc.
Der Kanton Aargau
liegt im N. der Schweiz und zwar mit Bezug auf deren west-östl. Ausdehnung ziemlich genau in der Mitte, zwischen 7°
42' und 8° 25' OL. v. Greenwich und zwischen 47° 8' und 47° 37' NBr. Die Orte Kaiseraugst und Kaiserstuhl
im N., sowie Murgenthal und Dietwil im S. bestimmen ziemlich genau seine Grenzpunkte. Im N. grenzt der Kanton durch den Rhein
an das Grossherzogtum Baden,
im O. an Zürich
und Zug,
im S. an Luzern,
im W. an Bern,
Solothurn
und Basel Land.
Ueberdies gehört zum Kanton die Exklave des
Klosters Fahr am rechten Ufer der Limmat bei Schlieren.
Die Fläche umfasst 1404,1 km2, die Bevölkerung beträgt (1900) 206498 Seelen, die Dichte somit 147.
2. Geologische Verhæltnisse:
Orographie und Hydrographie. Am Aufbau des Landes sind ausser dem Gneiss und Granit des Grundgebirges
geschichtete, meist aus dem Meere ursprünglich horizontal abgelagerte ausserordentlich manigfaltige Formationen beteiligt.
Es sind in aufsteigender Reihenfolge: Von den paläozoischen Formationen nur unbedeutende lokale Spuren des «Rotliegenden»
(in Schäffigen bei Laufenburg);
von den mesozoischen Formationen alle Stufen der Trias (Buntsandstein,
¶
mehr
Muschelkalk, Lettenkohlendolomit und Keuper), des Jura (Lias, Dogger und Malm); von känozoische Formationen: eozäner Bohnerzton
und Huppererde, Untere Süsswassermolasse, Meeresmolasse und Obere Süsswassermolasse.
Ganz besonders reich, wie sonst nirgends in der Schweiz und ringsum, ist das Diluvium oder Quartär (während der Vergletscherungen
und in interglazialen Perioden erzeugte Ablagerungen) entwickelt. Der Neuzeit gehören die meisten Bergstürze,
Trümmerhalden, Tuff, Torf, die Lehm- und Kieslagen der tiefsten Thalsohlen und die künstlichen Aufschüttungen an. Innerhalb
der genannten Formationen spielen in der Orographie und Tektonik folgende Gesteine die wichtigste Rolle:
der Gips, Anhydrit, das
Steinsalz und der Salzton des mittleren Muschelkalkes, die rauchgrauen Kalkbänke des Hauptmuschelkalkes;
die bunten Mergel, der Gips, Sandstein und Dolomit des
Keupers;
die schwarzen Schiefermergel und dunkeln Kalke des Lias;
die dunkelgrauen Mergel des unteren und die braun anwitternden Rogensteine des mittleren Doggers;
die hellgrauen Mergel und
Tonkalke des unteren Malmes (Argovien), die teils ockerfarbigen und etwas tonigen, teils reinweissen
Kalkbänke des mittleren Malmes (Sequan) und oberen Malmes (Kimmeridien);
die meist olivenfarbenen Mergel und Sandsteine
der Molasse, unter denen namentlich die Muschelsandsteinbänke der Meeresmolasse hervorstechen.
In den beiden Süsswassermolassen
finden sich in verschiedenen Horizonten dünne Lager von Süsswasserkalk. Im obern Teil der Meeresmolasse liegt eine 2-20
m mächtige Bank bunter Nagelfluh. Im Diluvium sind fünf verschieden alte Schotter (älterer und jüngerer
Deckenschotter, Hochterrassenschotter, Kiesablagerungen aus der Zeit der grössten Vergletscherung und
¶
der 16. Kanton der schweiz. Eidgenossenschaft, ist ein
im Norden
[* 27] durch den Rhein vom Großherzogtum Baden geschiedenes, auf den übrigen Seiten von den Kantonen Basel-Land, Solothurn,
Bern,
Luzern,
Zug
und Zürich
begrenztes
Hügelland ohne bedeutende Höhen mit 1404,1 qkm Flächeninhalt. Den Süden und Südosten des Kantons nehmen die breiten Molasserücken
der schweiz. Hochebene (Lindenberg 900 m) ein, zwischen denen sich die
Thäler der Wigger, der Suhr, der HallwylerAa, der Reuß und der Limmat in das weite Aarethal hinabsenken.
Durch den Norden ziehen sich die Kalkketten des Juras (Wasserfluh 869 m, Gislifluh 774 m) und senken sich als ein von zahlreichen
Querthälern durchfurchtes Tafelland gegen den Rhein hinab, dem die Flüsse und Bäche der nördl. Abdachung
meist unmittelbar zufließen, so die Sisseln aus dem Frickthale und der Mölinbach. Sämtliche Gewässer gehören zum Stromgebiet
des Rheins, der hier den Hauptfluß des Kantons, die Aare (s. d.), aufnimmt; sie teilt den Kanton in ihrem südwest-nordöstlichen
Laufe in zwei Teile, deren Boden und Bewohner einen wesentlich verschiedenen Charakter zeigen.
Außer mehrern schwächern Mineralquellen besitzt der Kanton zwei der berühmtesten der Schweiz, die Schwefelthermen von Baden
(s. d.) und Schinznach (s. d.), ferner die Bitterwasser von Mülligen und Birmensdorf
und die Jodquelle von Wildegg; endlich Salinen zu Kaiseraugst, Rheinfelden und Ryburg. Die Bevölkerung
ist deutschen Stammes und deutscher Zunge und beträgt (1888, Wohnbevölkerung) 193580 (92759 männl., 100821 weibl.) E., 139 auf 1 qkm,
darunter 85835 Katholiken, 1051 Israeliten. Der Muttersprache nach sind 192859 Deutsche,
[* 28] 465 Franzosen und 163 Italiener. Von
der Bevölkerung sind im Kanton geboren 174783, in der übrigen Eidgenossenschaft 14440, im Auslande 4357;
Bürger ihrer Wohngemeinde sind 126420, einer andern Gemeinde des Kantons 46301, eines andern Kantons 15495, Ausländer 5364.
Land- und Forstwirtschaft. Der Aargau ist, mit Ausnahme einiger Jurathäler, namentlich um
den Bötzberg, außerordentlich fruchtbar. Acker-, Wein-
und Obstbau sowie Wiesenkultur und Viehzucht,
[* 29] letztere meist mit Ackerbau
verbunden, stehen auf ziemlich hoher Stufe. Wein wird hauptsächlich in den Flußthälern gebaut; die geschätztesten Sorten
sind der Goldwändler von Baden und der rote Wettinger; der jährliche Ertrag beläuft sich durchschnittlich
auf 8000 hl im Werte von über 2,3 Mill. Frs.
Trotz der Fruchtbarkeit und der vorzüglichen Kultur des Bodens reicht der Ertrag von Landwirtschaft und Viehzucht nicht hin,
die Bevölkerung zu ernähren. Von dem Areal sind 1341,8 qkm, d.i. 95,56 Proz., produktives Land: 440,4
qkm Waldungen, 25,2 qkm Rebland, 890,69 qkm Acker-, Garten-, Wiesen- und Weideland. Von dem unproduktiven Lande (62,3 qkm, d.i.
4,44 Proz.) kommen 8,6 qkm auf Seen (Hallwyler und Baldegger See), 15,8 qkm auf Städte und Dörfer, 11,9 qkm auf Schienen-
und Straßenwege, 19,1 qkm auf Flüsse und Bäche, 6,9 qkm auf Felsen und Schutthalden u.s.w. Der Viehstand
beträgt (1886) bei 23820 Viehbesitzern 3087 Pferde,
[* 30] 74586 Stück Rindvieh, 26799 Schweine,
[* 31] 1418 Schafe,
[* 32] 16175 Ziegen; außerdem 15892 Bienenstöcke.
Die Fischerei
[* 33] ist namentlich am Rhein (Rheinfelden und Laufenburg) von Belang.
Bergbau.
[* 34] Die Hochebene liefert vorzügliche Sandsteine, der Jura Kalk, Gips und Alabaster, die Salzwerke
(im Besitze einer bis 1907 konzessionierten Aktiengesellschaft, die seit 1886 jährlich 45000 Frs. abgiebt) jährlich mehr als 20000 t
Kochsalz.
Die Industrie war (1890) vertreten durch 312 Fabriken mit 14827 (6643 männl., 8184 weibl.)
Arbeitern und 6591 Pferdestärken und erstreckte sich auf Baumwollmanufaktur (1880: 6361 Berufstreibende, 300000 Spindeln),
Strohflechterei (besonders in Wohlen, im ganzen 5499 Gewerbtreibende), Roßhaarspinnerei, Fabrikation
von Seidenband (3818 Gewerbtreibende) und Tabak.
[* 35]
Verkehrswege. Aargau hat ein reichentwickeltes System guter Fahrstraßen (509 km Staats-, 551 km Gemeindestraßen), darunter die
Jurapaßstraßen über die Staffelegg (623 m) und den Bötzberg (593 m), und ein ausgedehntes Eisenbahnnetz (255,88 km), an
dem 6 Gesellschaften teilnehmen (s. Schweizerische Eisenbahnen) und an dessen zwei parallel laufende, durch Seitenlinien verbundene
Hauptbahnen Aarburg-Olten-Aarau-Turgi-Baden und Zofingen-Suhr-Lenzburg-Baden sich bei Aarburg die Bahnen nach Bern
und Luzern,
bei Brugg die
Bötzbergbahn nach Rheinfelden und Basel,
[* 36] bei Turgi die Linien nach Zürich
und Winterthur und bei Lenzburg die Bahn
nach Muri mit der Zweiglinie Wohlen-Bremgarten anschließen. Die Rheinschifffahrt wird durch die Strudel von Rheinfelden und
Laufenburg beeinträchtigt, jedoch sind Aare, Reuß und Limmat in ihrem untern Laufe schiffbar.
Verfassung und Verwaltung. Der GroßeRat, je 1 Mitglied auf 1100 E., ist gesetzgebende, der Regierungsrat, 7 Mitglieder, deren
Präsident den TitelLandammann führt, vollziehende Behörde: jener wird vom Volke in 50 Wahlkreisen, dieser
vom GroßenRate auf je 4 Jahre gewählt. Das Referendum (s. d.) ist für Gesetze, Verträge und Konkordate und für solche Finanzbeschlüsse
obligatorisch, die für ein Verwaltungsjahr den Bezug von mehr als einer halben direkten Staatssteuer anordnen. Zur
Initiative sind 5000 stimmberechtigte Bürger notwendig. In administrativer Hinsicht zerfällt der Kanton in 11 Bezirke (s.
oben) unter je einem
¶
mehr
10 Bezirksammann. Jede Gemeinde besitzt einen Gemeinderat unter einem Gemeindeammann, und einen Friedensrichter; jeder Bezirk
ein Bezirksgericht. Höchste Instanz ist das aus 9 Mitgliedern bestehende Obergericht, das als Kassationshof und in Kriminalfällen,
event. unter Zuziehung von Geschworenen, als Kriminalgericht fungiert. Die Staatsrechnung ergab für 1882: 2,293 (1890: 2,729)
Mill. Frs. Einnahmen, darunter als Ertrag des Staatsgutes 1,183 Mill. Frs., und 2,351 (1890: 2,689) Mill.
Frs.
Ausgaben, darunter für Erziehungs- und Unterrichtszwecke 433190 Frs. Das Staatsvermögen betrug (1890) 33,816 Mill. Frs., die
Schulden 3,110 Mill. Frs.; dazu kommen 17 Fonds zu besondern Zwecken. In militär. Beziehung bildet der Aargau mit Basel
und Solothurn
den Stammbezirk der 5. Division. Der Kanton ist paritätisch: von den sieben Regierungsräten müssen wenigstens drei
reformiert, drei katholisch sein. Die reform. Kirche steht unter einem Kirchenrate von 9 Mitgliedern und der Synode; die kath.
Gemeinden gehörten bis 1873 zum BistumBasel,
jetzt stehen sie in keinem Bistumsverbande. Mehrere haben sich
der altkath. Bewegung angeschlossen. Öffentliche Anstalten. Neben den obligatorischen Primärschulen bestehen 26 Bezirksschulen,
in Aarau eine Kantonsschule mit 4 Gymnasial-, 2 Progymnasial- und 4 Gewerbeschulklassen und ein Lehrerinnenseminar, in Wettingen
ein Schullehrerseminar; Kantonsspital in Aarau, Irrenheilanstalt in Königsfelden, Strafanstalt in Lenzburg.
Das Wappen ist ein in die Länge geteilter Schild;
[* 38] in dessen linker (blauer) Hälfte drei goldene
Sterne, in der rechten (schwarzen) ein silbern geschlängelter Fluß (die Aare).
Bei der Teilung Helvetiens zwischen Burgund und Deutschland
[* 40] 888 blieb der Aargau bei letzterm. Die mächtigsten Herren des Landes
waren die Grafen von Lenzburg und Kiburg, später die Habsburger. Seit Anfang des 13. Jahrh. stand
fast der ganze Aargau unter habsburg. Herrschaft, wurde 1415 von den Eidgenossen eingenommen und in der Weise geteilt, daß das
Land bis an die Reuß an Bern,
der Süden an Luzern
kam, die GrafschaftBaden und die «Freien Ämter» in eine «gemeine Herrschaft» umgewandelt
wurden.
Das Frickthal und Rheinfelden dagegen blieben bei Habsburg-Österreich. Bern
führte 1528 in seinem Teile die
Reformation ein; die andern Gebiete blieben katholisch. Infolge des Einbruchs der Franzosen 1798 wurde der Aargau aus seinem Unterthanenverhältnis
befreit und bildete nun die Kantone und Baden der Helvetischen Republik. Durch die Mediationsakte Napoleons I. und die Einverleibung
des Frickthals entstand 1803 der heutige paritätische Kanton Aargau mit repräsentativ-demokratischer Verfassung, die sich nach
Napoleons
Sturz in eine mehr aristokratische verwandelte.
Die wachsende Unzufriedenheit trieb nach der franz. Julirevolution 1830 das Volk zur Erhebung (Volksversammlung zu Wohlenswil 7. Nov.) und
zu einem unblutigen Aufstande, infolgedessen die freisinnigere Verfassung von 1831 zu stande kam. Die von
der Regierung versuchte Durchführung der Beschlüsse der Badener Konferenz (s. Schweiz) gegen die Übergriffe der kath. Hierarchie
führte im Nov. 1835 zu einem Aufstande der Freien Ämter, der schnell und ohne Blutvergießen unterdrückt werden konnte.
Ernstere Wirren verursachte die angenommene Verfassungsrevision, die statt der bisherigen Gleichberechtigung
beider Konfessionen in den Behörden den Grundsatz des Verhältnisses nach der Volkszahl aufstellte. Unzufrieden mit dieser
Bestimmung und gehetzt von den Klöstern, erhob sich das Volk der Freien Ämter und des BezirksBaden, wurde aber 11. Jan. zu Vilmergen
geschlagen und zerstreut. Unter dem Eindrucke dieser Ereignisse beschloß der GroßeRat auf Antrag von
AugustinKeller13. Jan. die Aufhebung sämtlicher Klöster und die Einziehung ihrer Güter.
Ein Teil der kath. Stände, unter Einmischung des päpstl. Stuhls und Österreichs, erhob dagegen als gegen eine Verletzung der
schweiz. BundesakteWiderspruch (Aargauischer Klosterstreit). Am nachdem die aargauische Regierung
die Wiederherstellung der vier Nonnenklöster zugestanden, erklärte sich endlich die Mehrheit der Stände auf der Tagsatzung
für befriedigt. Die Minderheit protestierte, und die aargauische Klosteraufhebung samt der Jesuitenberufung Luzerns und
den Freischarenzügen gaben die Hauptmotive ab zur Stiftung des Sonderbundes der sieben kath. Stände (s. Schweiz).
Die Staatsverfassung des Kantons Aargau wurde 1852 und 1862 revidiert. Einen Triumph errang die ultramontane Partei durch Abberufung
des GroßenRats der durch ein Gesetz die bürgerliche Gleichstellung der im Kanton ansässigen Israeliten mit
den Christen bestimmt hatte. Der neue GroßeRat änderte das verworfene Gesetz zwar gänzlich ab, gewährte
aber doch auf Verlangen der Bundesversammlung im August 1863 den Israeliten freie Niederlassung und Verehelichung und die polit.
Rechte in eidgenössischen und kantonalen Angelegenheiten. Weitere Abänderungen der Verfassung wurden 1863 zweimal, 1867,
1869, 1870 und 1876 vorgenommen, deren wichtigste, 1870, mit dem Gesetzes- und Finanzreferendum die reine
Demokratie einführte. Durch eine neue Verfassung, die aus einem Kompromiß der Ultramontanen und Liberalen im Gegensatz zu
den Radikal-Demokraten hervorging, wurde 1885 das Finanzreferendum etwas beschränkt. Bei denVolksabstimmungen über die revidierte
Bundesverfassung der Schweiz im Mai 1872 und im April 1874 stimmte der Kanton Aargau trotz der ultramontanen Agitation
mit großer Majorität zu Gunsten der Revision.
Vgl. Bronner, Der Aargau, historisch, geographisch, statistisch geschildert (2 Bde.,
St. Gallen 1844–45);
J. Müller, Der Kanton Aargau. Seine politische, Rechts-, Kultur- und Sittengeschichte (2 Bde., Zür.
1870–72);
Die Viehzählung 1896 ergab 3800 Pferde, 82036 Stück Rindvieh, 28000 Schweine, 968 Schafe, 15210 Ziegen
und 18221 Bienenstöcke. Es bestehen (1895) 110 Käsereien, welche jährlich etwa 1600 t Käse und 200 t Butter im Werte von
2,5 bis 3 Mill. Frs. herstellen. An Salz
[* 42] werden in den Salinen jährlich 21-23000 t gewonnen.
Die Industrie, die 1880: 40190 Personen beschäftigte, ist vertreten durch 381 Fabriken mit 17139 Arbeitern
und einer Betriebskraft von 10943 Pferdestärken, und zwar 7130 in Wasser-, 2814 in Dampf-, 55,5 in Gas-, 218 in Petroleum-
und 725,5 in elektrischen Motoren. Den Geldvertehr vermitteln 6 Banken und 32 Sparkassen. Der Totalbetrag der Spareinlagen
bezifferte sich Ende 1894 auf etwa 67 Mill. Frs., die Zahl der Spareinleger auf 84400.
Verfassung und Verwaltung. Der Regierungsrat, die vollziehende Behürde, besteht aus 5 Mitgliedern. Bei Bestellung der Behörde
ist die Minderheit zu berücksichtigen. Der oberste Vollziehungsbeamte des Bezirks ist der Bezirksamtmann. Jeder Großratswahlkreis
hat einen Friedensrichter. In jedem Bezirk ist ein Bezirksgericht, welches aus einem Präsidenten und vier
Mitgliedern besteht. Höchste Instanz ist das aus 9 Mitgliedern bestebende Obergericht, das teils als Gesamtgericht, teils
in Abteilungen und Kommissionen amtet. Das rentierende Vermögen des Kantons betrug Ende 1894: 21676204 Frs., die Schulden 2661493;
das nichtrentierende Vermögen 15496565 Frs.; dazu kommen zahlreiche Fonds zu verschiedenen Zwecken.
Der Kanton ist paritätisch. Die Konfessionen ordnen ihre Angelegenheiten selbständig unter Aufsicht des Staates. Die vom
Staate anerkannten christl. Konfessionen wählen zu dem Zweck eigene, aus
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Geistlichen und Laien bestehende Organe, die den NamenSynoden führen.
Unterrichtswesen. Für den Schulunterricht bestehen 588 Schulen mit 30009 Schulkindern, 476 Lehrern und 112 Lehrerinnen, 31 Fortbildungsschulen
mit 1335 Schülern, 302 Arbeitsschulen mit 276 Lehrerinnen, obligatorische bürgerliche Fortbildungsschulen in sämtlichen 249 Gemeinden,
mit 3004 Schülern, 28 Bezirksschulen mit 84 Haupt- und 123 Hilfslehrern und 2264 Schülern und Schülerinnen, 12 Handwerkerschulen
mit 754 Schülern, eine Kantonsschule in Aarau mit 3 Abteilungen: Gymnasium, technische Abteilung und Handelsabteilung, Lehrerseminar
in Wettingen, höheres Töchterinstitut und Lehrerinnenseminar in Aarau, kantonales Gewerbemuseum mit gewerblichem Unterricht,
kantonale Irrenanstalt in Königsfelden, kantonale Krankenanstalt in Aarau, Strafanstalt in Lenzburg und
Zwangserziehungsanstalt in Aarburg.