Zwingli
,
Ulrich (Huldereich), neben Calvin Gründer der reformierten Kirche, geb. in der toggenburgischen Berggemeinde Wildhaus, woselbst sein Vater Ammann war, machte seine philosophischen und humanistischen Studien in Bern [* 2] und Wien, [* 3] absolvierte dann seit 1502 das theologische Studium zu Basel [* 4] als Schüler von Thomas Wyttenbach und wurde 1506 Pfarrer in Glarus. Als solcher nahm er teil an den Feldzügen der Glarner für den Papst gegen die Franzosen in der Lombardei 1512-15, wofür er bis 1517 vom Papst eine Pension von 50 Guld. jährlich bezog.
Schon hier mit dem Neuen Testament sich viel beschäftigend, brach sich in ihm die Erkenntnis Bahn, daß mit diesem die Lehre [* 5] der Kirche in manchen Stücken nicht übereinstimme. 1516 berief ihn Diebold v. Geroldseck als Prediger in das durch Wallfahrten berühmte Kloster Maria-Einsiedeln. Auf solche Weise auf den Schauplatz des krassesten Aberglaubens versetzt, fing er bald an, wider Wallfahrten und andre Mißbräuche, auch wider den 1518 in der Schweiz [* 6] erschienenen päpstlichen Ablaßkrämer Bernardin Samson (s. d.) zu predigen; er forderte sogar die Bischöfe zu Sion und Konstanz [* 7] auf, die Kirche nach Anleitung des göttlichen Wortes zu verbessern. Am trat er sein neues Amt als Pfarrer am Großen Münster [* 8] in Zürich [* 9] an. Indem er durch seine kunstlosen, aber klaren, allgemein verständlichen Predigten die Begriffe in Sachen der Religion und des Glaubens erhellte und entwickelte, erfocht er binnen wenigen Jahren der Sache der Reformation in Zürich einen vollständigen Sieg. Zu gleicher Zeit trat er aber auch als Patriot gegen die Demoralisation des Volkes durch das Reislaufen, d. h. die Kriegsdienste der Züricher im Sold Frankreichs, Mailands, insbesondere aber des Papstes, auf, so die politische mit der religiösen Reformation verbindend, im Gegensatz zu Luther, der streng an seiner religiösen Aufgabe festhielt.
Dem Ablaßkrämer wurde der Besuch von Zürich
nicht gestattet; sämtliche
Prediger in Stadt und Land wurden 1520 von der Obrigkeit
angewiesen, dem
Evangelium gemäß zu predigen; 1522 veröffentlichte
er seine erste reformatorische
Schrift gegen die
Fasten
der römischen
Kirche. An den
Bischof von
Konstanz sandte er ein ebenso bescheidenes wie nachdrückliches
Bittschreiben, in welchem er und zehn seiner Genossen erklärten, daß sie »mit
Gott fest entschlossen seien, das
Evangelium ohne Unterlaß zu predigen«, und um Aufhebung der Cölibatsgesetze nachsuchten.
Damals bemühte sich
Papst
Hadrian VI., Zwingli
durch einen die
Frömmigkeit des
Reformators anerkennenden
Brief
von weitern
Schritten gegen die
katholische Kirche abzuhalten.
Als nun die
Dominikaner in Zürich
dem Zwingli
Ketzerei vorwarfen, lud der
Große
Rat alle Theologen, die Zwingli
eines
Bessern überführen könnten,
auf zu einer
Disputation über die von Zwingli
aufgestellten Thesen nach Zürich
ein, und es wohnten derselben
gegen 600 geistliche und weltliche
Personen bei. Da die Abgeordneten des
Bischofs, namentlich
Johann
Faber, gegen Zwinglis
Thesen
nur die
Autorität der
Tradition und der
Konzile geltend zu machen wußten, erkannte der
Rat von Zürich
Zwingli
den
Sieg zu. Auf einem zweiten,
vom 26. bis gehaltenen
Religionsgespräch in Zürich
wurde in Gegenwart von fast 900
Zeugen aus eidgenössischen
Orten über
Bilderdienst und
Messe gestritten.
Die
Folge war die
Entfernung aller Werke der bildenden
Kunst aus den
Kirchen
Zürichs, und ein drittes Gespräch 13. und beseitigte
auch die
Messe.
Noch in demselben Jahr verheiratete sich Zwingli
mit der 43jährigen
Witwe
Anna
Meyer, gebornen
Reinhard. Seitdem wirkte er, vom
Rate thatkräftig unterstützt, aber von der
Tagsatzung immer bedrohlicher angefeindet, fast
wie ein weltlicher und geistlicher
Diktator
Zürichs, ordnete
Schul-,
Kirchen- und Ehewesen neu und gab auch 1525 sein
Glaubensbekenntnis
»Von der wahren und falschen
Religion« heraus, das er dem König
Franz I. von
Frankreich überschickte.
Mit
Luther und den andern deutschen
Reformatoren in vielen
Punkten einig, verfuhr Zwingli
doch in liturgischer Beziehung radikaler
und verwarf die leibliche Gegenwart
Christi im
Abendmahl (s. d.).
Wohl wollte Zwingli
mit
Luther den
Staat aus
den erdrückenden
Fesseln der
Kirche befreien, kehrte aber doch zu den mittelalterlichen
Anschauungen hinsichtlich des Verhältnisses
von
Staat und
Kirche zurück, indem er erklärte, daß »die Obrigkeit, welche außer der
Schnur
Christi fahren«, d. h. die Vorschriften
Christi sich nicht zum
Maßstab
[* 10] nehmen wolle, »mit Gott entsetzt werden möge«.
Auf dem vom
Landgrafen von
Hessen,
[* 11]
Philipp dem Großmütigen, welcher Zwinglis
weittragende politische
Gesichtspunkte
teilte, im
Oktober 1529 zur Beilegung des Abendmahlsstreites zu
Marburg
[* 12] veranstalteten
Religionsgespräch ward Zwingli
von
Luther
schroff zurückgestoßen, und der
Plan einer gemeinsamen protestantischen
Unternehmung gegen
Kaiser und
Papst scheiterte an theologischen
Bedenken. Doch immer kühner wurden die
Pläne der beiden innig verbundenen
Freunde, des
Landgrafen und
Zwinglis.
Dieser begeisterte 1530 jenen für den fast überkühnen
Plan, »durch einen
Bund von der
Adria bis zum
Belt und zum
Ozean die
Welt aus der Umklammerung des Habsburgers zu retten«. Damals hatte Zwingli
schon im
Januar 1528 bei einem
Religionsgespräch
zu Bern
auch diesen
Kanton
[* 13] für die
Reformation gewonnen. Aber nachdem durch den ersten
Kappeler
Frieden 1529 die drohende
Gefahr eines
Glaubenskriegs zwischen Zürich
und den fünf katholischen Urkantonen (freilich gegen Zwinglis
Wunsch, der diese mit
Gewalt der
Waffen
[* 14] dem
Evangelium öffnen wollte) beseitigt schien, kam es doch 1531 zum
¶
mehr
offenen Krieg zwischen Zürich
und den katholischen Kantonen Luzern,
Uri,
Schwyz,
Unterwalden und Zug.
Am unterlagen die Züricher bei Kappel, und Zwingli
selbst
fand auf dem Schlachtfeld seinen Tod. Am folgenden Tag schleppte man den Leichnam zum Scheiterhaufen und streute die Asche in
den Wind. Erst 1838 ward ihm zu Kappel, 1885 zu Zürich
ein Denkmal errichtet. Zwingli
war ein edler, toleranter, frommer
und uneigennütziger Mann, ausgezeichnet durch Kenntnisse wie Sinn für das Praktische, der ihn zu den umfassendsten politischen
Kombinationen befähigte.
Seinem theologischen Lehrbegriff lag Streben nach Klarheit und Vernünftigkeit zu Grunde. Was ihn zum Begründer
einer eignen Kirche neben Luther machte, war die durch und durch sittlich bestimmte, an keine Zeremonien ursachlich gebundene
Natur des christlichen Glaubens, welchen er vertrat, die in solchem Glauben begründete Freiheit der christlichen Persönlichkeit
von den geschichtlich vermittelten Gnadenspendungen der Kirche, die er, freilich nicht ohne Inkonsequenzen, betonte. Zwinglis
Hauptschriften sind: »De vera et falsa religione« (Zürich
1525);
»Fidei ratio« (das. 1530) und besonders die »Christianae fidei brevis et clara expositio ad regem christianum« (das. 1536).
Seine »Sämtlichen Werke« erschienen zuerst in Folio (Zürich 1545 u. 1581), neuerdings herausgegeben von Schuler und Schultheß (das. 1828-42, 8 Bde.; dazu Supplemente 1861).
Vgl. Hottinger, Huldreich Zwingli
und seine Zeit (Zürich
1842);
Tichler, Zwingli, de kerkhervormer (Utr. 1857-58, 2 Bde.);
Christoffel, Zwinglis Leben und ausgewählte Schriften (Elberf. 1857, 2 Bde.);
Mörikofer, Ulrich Zwingli (Leipz. 1867-69, 2 Bde.);
Zeller, Das theologische System Zwinglis (Tübing. 1853);
Sigwart, Ulrich Zwingli (Stuttg. 1855);
Spörri, Zwingli-Studien (Leipz. 1866);
Werder, Zwingli als politischer Reformator (Basel 1882);