Ziffern
(Zahlzeichen), schriftliche Zeichen zum
Ausdruck der
Zahlen. Ein sehr nahe liegendes Hilfsmittel besteht in der
Benutzung der
Buchstaben des
Alphabets als Ziffern
, wie wir dies bei den alten Griechen seit dem 5. Jahrh.
v. Chr.
finden. Dieselben ergänzten zu dem
Zweck ihr (ionisches)
Alphabet durch 3 Episemen
(Buchstaben eines ältern
Alphabets), nämlich
ϛ oder Vau, ϥ oder
Koppa und ϡ oder Sampi, welche hinter ε, π und ω gesetzt wurden. Die
Buchstaben α, β, γ, δ, ε,
ϛ, ζ, η, θ bedeuteten die Einer 1, 2,... 9, ferner ι, κ, λ, μ, ν,
ξ, ο, π, ϥ die
Zehner 10, 20,... 90 und ρ, σ, τ, υ, φ, χ, ψ, ω, ϡ die
Hunderte 100, 200,... 900. Abgesehen von der
großen
Menge der Zeichen, hat dieses
System den Mangel, daß die Entstehung der Vielfachen von 10 oder 100 aus
diesen
Zahlen und einem andern
Faktor nicht erkennbar ist.
Die
Darstellung größerer
Zahlen mittels weniger Ziffern
erfolgt nach verschiedenen Prinzipien. Das gewöhnlichste ist das additive
Prinzip: man hat für 1, 10, 100, 1000 etc. besondere Zeichen, die
man in entsprechender Zahl niederschreibt. Damit man diese
Zeichen nicht zu oft wiederholen muß, gibt man auch den
Zahlen 5, 50, 500 etc. eigne Zeichen. Hierher gehört das
Ziffersystem,
welches auf ältern griechischen
Inschriften im
Gebrauch ist: die
Einheit wird mit einem
Strich I bezeichnet;
für 5, 10, 100, 1000 und 10,000 werden Anfangsbuchstaben der Zahlwörter Pente, Deka, Hekaton, Chilioi, Myrioi benutzt;
50, 500, 5000 und
50,000 werden durch das Zeichen für 5 ausgedrückt, in welches man die Zeichen für 10, 100, 1000 und 10,000 einschreibt.
Es ist also I = 1, II = 2, ^ = 5, ^III = 8, ∆ = 10, ∆∆∆ = 30, ∆∆∆II = 32, ^ = 50, H = 100,
^ = 500, X = 1000, M = 10,000. Bei Anwendung dieses
Prinzips gehen die höhern Stufenzahlen den niedern im
Sinn der
Schrift
voraus, doch findet sich hiervon im Ziffern
system der
Römer
[* 2] eine Ausnahme.
Dasselbe hat die einfachen Zeichen I = 1,
V = 5, X = 10, L = 50, C = 100, IↃ oder D = 500, CIↃ oder M = 1000; es ist also nach dem additiven
Prinzip MDCCCLXXVIII
=
1878. Man setzt aber auch die niedere Zahl links vor die höhere und gibt dadurch der erstern eine negative
Bedeutung: IX = 9, XL = 40, XC = 90. Abweichend sind im römischen
Ziffersystem:
CIↃↃ = 5000, CCIↃↃ = 10,000, CCIↃↃↃ
= 50,000, CCCIↃↃↃ = 100,000, CCCCIↃↃↃↃ = 1 Mill. Ein andres
Prinzip besteht darin, durch unter oder über die
Ziffern
gesetzte Zeichen den Zahlwert zu vervielfachen.
Dasselbe findet Anwendung bei den spätern griechischen Buchstabenziffern
für die
Tausende, welche durch
dieselben
Buchstaben wie die Einer, nur mit untergesetzten
Strichen bezeichnet werden: ᾳ = 1000, βͺ = 2000 bis ιͺ = 10,000
oder eine
Myriade. Nach einem dritten
Prinzip wird der Wert durch vorangestellte
Koeffizienten vervielfacht. So bezeichnen z. B.
Pappos und Diophant 2
Myriaden = 20,000 durch βΜυ, während αΜυβ = 10,002 ist. Weiter ist zu erwähnen
die im frühern
Mittelalter in
Europa
[* 3] vorkommende Schreibweise mit
Kolumnen, die mit I, X, C etc. überschrieben sind, und in
welche man die Anzahl der Einer,
Zehner,
Hunderte etc. einträgt; sind für eine
Stufe keine
Einheiten vorhanden,
so bleibt die betreffende
Kolumne leer; vgl. nebenstehend die Schreibweise von 542, 540, 502 und 42. Es bedarf nur
noch eines Zeichens für eine leere
Stelle, der
Null, um die
Kolumnen entbehren zu können und die jetzt bei uns übliche Schreibweise
zu erhalten, bei welcher jede Ziffer durch den Platz, den sie einnimmt, ihren Wert
(Positions- oder Stellenwert)
erhält.
Dieses
System nun, in welchem sich jede ganz beliebig große Zahl mittels der 10 Ziffern
0, 1, 2 etc.
bis 9 ausdrücken läßt, stammt von den
Indern her, bei denen es zuerst im 5. Jahrh.
n. Chr. auftritt.
Nach dem
Abendland ist es von den Arabern gebracht worden, daher auch unsre Ziffern
gewöhnlich »arabische«
genannt werden. Diese Ziffern
, doch zum Teil in
Formen, die beträchtlich von den jetzigen abweichen, und ohne die
Null, findet
man schon in
Handschriften aus dem 11. und 12. Jahrh.; mit dem
Prinzip des Stellenwertes aber ist das christliche
Abendland hauptsächlich durch den
»Liber Abaci« (1202) des Pisaners
Leonardo
Fibonacci (s. d.) bekannt geworden. In
Italien
[* 4] scheint
das neue
Ziffersystem schon im 13. Jahrh. von den Kaufleuten benutzt worden zu sein, aber noch
im 14. und 15. Jahrh. findet
man es in nicht mathematischen
Schriften selten; allgemeiner werden die neuen
Ziffern
in
Schrift und
Druck erst seit Mitte des 16. Jahrh. Mit den Ziffern
kam auch das arabische
Wort für die
Null, sifr, zu uns, das,
im
Lauf der Zeit seine Bedeutung ändernd, in »Ziffer« übergegangen ist.
Vgl. Treutlein, Geschichte unsrer Zahlzeichen (Karlsr. 1875).