Wettrennen.
Die ersten Wettrennen
, deren die Geschichte erwähnt, fanden bei den
Festen des persischen
Sonnengottes, des
Mithra,
statt. Der
Sage nach führte
Herakles
[* 2] sie bei den Griechen ein, welche in ihren
Olympischen
Spielen Wettrennen
in
dreierlei
Weise abhielten, indem sie entweder reitend oder im
Wagen fahrend nach dem
Ziel jagten, oder, bei dem letzten
Umlauf
abspringend, mit dem
Pferd
[* 3] am
Zügel dem
Ziel zueilten. Diese letztere
Methode wurde mit der 84.
Olympiade wieder aufgegeben.
Am gewöhnlichsten waren die Wettrennen
zu
Wagen (Wettfahren), wozu man entweder zwei
Pferde
[* 4] an den
Wagen schirrte
(Zeugos), oder ein Viergespann (Tethrippon) nahm.
Selbst Wettrennen
mit Maultiergespannen wurden angestellt. Bei den
Römern waren die Wettrennen
(cursus equorum), wie alle gymnastischen
Spiele,
mehr zur Befriedigung der Schaulust bestimmt. Die
Reiter ritten entweder auf einem
Pferd (singulatores), oder hatten deren
zwei, so daß sie im
Reiten von dem einen auf das andre sprangen (desultores). Die Wagenkämpfer (aurigae,
agitatores) stellten sich in einer
Reihe an die durch das
Los bestimmten
Plätze, und der die
Spiele Leitende gab mit einem
Tuch
das Zeichen zum Abfahren, worauf die
Schranken (carceres) fielen. In jedem Rennen (missus) mußten sieben
Umläufe (spatia) gemacht werden.
Gewöhnlich fuhren vier Gespanne auf einmal ab, deren
Lenker jeder mit einer andersfarbigen
Tunika bekleidet war, da bei den
römischen Wettrennen
vier
Parteien bestanden, die sich durch weiße, grüne, rote und blaue
Kleidung voneinander unterschieden. In
Konstantinopel
[* 5] erhielten diese
Parteien politische Bedeutung, was so weit ging, daß unter
Justinianus (532)
die
Grünen, welche von dem
Kaiser gehaßt wurden, einen
Aufstand erregten, wobei 30,000
Menschen um das
Leben gekommen sein sollen.
Bei den germanischen Völkern waren die Wettrennen
seit uralter Zeit eng mit dem heidnischen
Kultus verbunden, und
Spuren solcher ritualen
Wettrennen
haben sich in
Deutschland
[* 6] und
Belgien
[* 7] bis zum heutigen
Tag erhalten. Namentlich bei dem bayrisch-österreichischen
Stamm fanden daher die Wettrennen
von
Italien
[* 8] aus rasch Eingang und, von den heimischen
Reminiszenzen unterstützt, sehr bald
Aufnahme
unter den
Zeremonien einzelner
Kirchenfeste, obwohl die
Kirche sie früher als heidnische
Sitte zu beseitigen gesucht hatte.
Von
Österreich
[* 9] aus verbreiteten sie sich nach
Ungarn,
[* 10] wo sie schon in sehr früher Zeit vorkommen. In
England wurden die Wettrennen
schon von den
Römern eingeführt, aber erst unter
Heinrich II. um 1160 wesentlicher Teile öffentlicher
Volksbelustigung, und vier
Jahrhunderte später, als man anfing,
Wetten damit zu verbinden, wurden sie zwar schon regelmäßig
angestellt, waren aber noch immer nur Privatrennen. Erst 1610, wo
William Lester, ein
Krämer und damals
Mayor, und
Robert Amboyn,
ein Eisenhändler und damals
Sheriff der Stadt
Leicester,
[* 11] auf ihre
Kosten drei Silberglocken als
Preise für ein Wettrennen
am Georgstag
(23. April) aussetzten, begann die ununterbrochene
Folge der öffentlichen
Chesterrennen
(Chester races), die
anfangs nach den
Preisen Glockenrennen hießen,
bis
Karl II. statt der
Glocken die sogen. Kingsplate, eine Silberschale, als
Preis aussetzte.
Seine Nachfolger unterstützten das Rennwesen eifrig, und jetzt hat fast jede englische
Grafschaft ihr jährliches
Herbst-
oder Frühlingsrennen, und die Rennklubs müssen eigne
Kalender herausgeben, um die
Tage der verschiedenen
Wettrennen
nicht verwechseln zu lassen. Die berühmtesten Rennplätze sind: Ascott,
Doncaster,
Epsom,
Derby,
Melton-Mowbray und
Newmarket.
Das Rennpferd (racer) bedarf einer langen Vorübung, ehe es auf die
Rennbahn gebracht werden kann (s.
Trainieren).
Die vor den öffentlichen Rennen angestellten Proberennen (trials), in denen ein älteres Pferd mit bekannter Leistungsfähigkeit konkurriert, dienen als Maßstab [* 12] zur Orientierung für das beteiligte Personal und Publikum. Die Reiter (Jockeys) müssen ebenfalls eigens herangezogen und für die Rennbahn vorbereitet werden. Sie dürfen die von ihnen gerittenen Pferde nicht mit überflüssigem Gewicht belasten und müssen deshalb, wenn sie zu schwer geworden sind, sich einer harten Entziehungskur unterwerfen (sich trainieren).
Nach dem Kontinent fanden die Rennen im englischen Stil erst in diesem Jahrhundert ihren Weg. Frankreich, das 1806 schon ein Rennen hatte, wurde erst durch die Bemühungen Napoleons III. in die Reihe der eigentlichen Rennsport treibenden Nationen erhoben; es hat aber in kurzer Zeit auf diesem Gebiet so große Erfolge errungen, besonders auch in der Zucht der Vollblutpferde, daß andre Länder es bereits als Quelle [* 13] guten Materials aufsuchen. Österreich-Ungarn [* 14] kultiviert gleichfalls mit Glück das Rennwesen, und es ist dort neuester Zeit ein geradezu phänomenales Rennpferd aufgetaucht, Kinchem, das seinen Siegeslauf über die Grenzen [* 15] des Vaterlandes hinaus durch Deutschland, England und Frankreich genommen hat. In Preußen [* 16] konstituierte sich 1828 der erste Rennverein, und die Rennen haben seit dieser Zeit zwar erheblich an Ausdehnung [* 17] gewonnen, ohne indessen zu einem durchschlagenden Erfolg in der Sache selbst noch indirekt für die Landespferdezucht zu gelangen.
Rußland hat Anfänge für den englischen Rennbetrieb aufzuweisen, hat aber größere Neigung für den Trabersport, der auch in Frankreich ein günstiges Terrain gefunden hat, besonders aber in Amerika [* 18] zu einer Spezialität ausgebildet worden ist (s. Trabrennen). Die bekanntesten Rennplätze in Frankreich sind: Longchamps, Chantilly, Fontainebleau, Auteuil, La Marche und im Vésinet;
in Deutschland: Berlin, [* 19] Baden-Baden, [* 20] Hamburg, [* 21] Leipzig; [* 22]
in Österreich: Wien, [* 23] Budapest [* 24] etc. Die Rennen in Italien, die beispielsweise während des Karnevals in Rom [* 25] abgehalten wurden, in denen die Pferde ohne Reiter liefen, sind in neuester Zeit abgeschafft worden.
Bei den englischen Wettrennen
unterscheidet man zunächst:
Flachrennen (flat races),
auf ebener
Bahn,
Hürdenrennen (hurdle races), Rennen mit leichten Hindernissen von
Flechtwerk,
Kirchturmrennen
(steeple-chases, s. d.), Rennen mit natürlichen oder künstlich angelegten festen
Hindernissen, wie
Gräben,
Hecken,
Dämme,
Mauern etc., und
Trabrennen (trotting races), im
Sattel oder im
Geschirr. Nach den
Distanzen
gibt es kurze, mittlere und lange Rennen, je nachdem die
Bahn von ⅛-⅙, von ¼-½ oder von ½-1 deutsche
Meile lang ist. Eine besondere Art des Wettrennens
, besonders in
Deutschland u.
Österreich, ist das Distanzrennen, oft nur
von zwei
Herren, meist
Offizieren, unternommen, welche
Entfernungen von 6, 10 deutschen
Meilen und viel größere
Entfernungen
zurücklegen und in vollkommen
¶
mehr
kriegsbrauchbarer Verfassung am Ziel ankommen müssen. Nach den Reitern: Herrenreiten, Offiziersreiten, besonders in Deutschland üblich, Jockeyreiten, die gewöhnlichsten von allen, und Bauernreiten;
nach den Preisen: Wettrennen
um den Staatspreis, Vereinspreis,
Jockeyklubpreis etc., und nach den Bedingungen der Konkurrenzen: Rennen für Pferde gleichen Alters mit gleichem Gewicht, Rennen
für Pferde jeden Alters mit verschiedenem Gewicht, Handicap (s. d.) und Verkaufsrennen, bei welchem jedes
ablaufende Pferd für einen angesetzten Preis käuflich ist. Wettrennen
zwischen Pferden, die noch nicht gesiegt haben, nennt man Maidenstakes,
Jungfernwetten, Wettrennen
zwischen zwei Pferden allein Match, Wette, und das Wettrennen
, welches nach einem unentschiedenen oder toten Rennen
den Ausschlag geben soll, Entscheidungslauf.
Die Rennen selbst werden von dem veranstaltenden Verein bestimmt, der zugleich die Renntage (meetings) festsetzt und ein Programm mit den Rennpropositionen ausgibt, welche alle Details über Preise, Einsätze, Reugelder und Distanzen enthalten und daher später mit den allgemeinen Renngesetzen (rules of racing) die Grundlage aller Entscheidungen bilden. Diejenigen Pferdebesitzer, welche sich beteiligen wollen, »nennen« nun ihre Pferde und können diese nur gegen das festgesetzte Reugeld (forfeit), das zuweilen den ganzen, meist aber bloß den halben Einsatz beträgt, zurückziehen.
Auf dem Rennplatz überwacht das Komitee des Meetings die Beobachtung der Renngesetze und teilt deshalb an seine Mitglieder
verschiedene Ämter aus. Zu diesen gehören der Wieger, der die Reiter samt ihren Sätteln abwiegt, der
Starter, welcher durch Senken seiner Flagge das Zeichen zum Ablauf
[* 27] (start
) gibt, und am Gewinnpfosten der Richter, welcher den
Sieger bestimmt. In streitigen Fällen tritt ihm ein Schiedsgericht zur Seite, welches etwanige »Proteste« zu prüfen
hat u. meist als höchste Instanz entscheidet.
Das Rennen leitet sich ein, indem »aufgekantert«, d. h.
zum Platz des Ablaufs galoppiert, wird. Sind alle Renner zur Stelle, so läßt der Starter die Flagge sinken, und der Lauf beginnt.
Geht aber ein Pferd nicht ab, so müssen auch die andern wieder umkehren, bis alle »starten«
,
d. h. in rascher Gangart (pace) ablaufen. Am Ziel angelangt, nennt der Richter den Sieger und, in Nasen-, Hals und Pferdelängen
ausgedrückt, die Entfernungen, um welche das zweite, dritte und die folgenden Pferde zurückgeblieben sind.
Pferde, welche im Augenblick des Siegs den Distanzpfahl nicht erreicht haben, der 30-50 Ruten von dem Ziel steht, werden gewöhnlich als »distanziert« bezeichnet und verlieren dadurch das Recht, während des Meetings noch einmal mitzulaufen. Die Reiter aber müssen sich nach dem Rennen noch einmal wiegen lassen, um zu beweisen, daß sie den Lauf mit vollem Gewicht zurückgelegt haben. Schon der Verlust von einem halben Kilogramm Gewicht macht unfähig zum Sieg. Über den Nutzen der Wettrennen für die Pferdezucht [* 28] gehen die Meinungen sehr auseinander.
Jedenfalls heben sie die Vollblutzucht, und diese wieder ist ein unentbehrliches Mittel zur Erzielung von Pferdeschlägen kräftiger und ausdauernder Art, wie sie den einzelnen praktischen Bedürfnissen, besonders aber dem Kriegsdienst, entsprechen. Wenn aber auch nicht geleugnet werden kann, daß die Wettrennen die Züchtung und Haltung der Pferde günstig beeinflußt haben und die Lust zum Reiten fördern und beleben, so ist doch auch nicht zu verkennen, daß die jetzigen Rennen, besonders in England, viel zu sehr Spielmittel geworden sind, um noch eine reelle Prüfung der Leistungsfähigkeit der Pferde zu bleiben.
Das Pferd ist jetzt nicht mehr Zweck der Rennzucht, sondern Mittel für die Spielsucht (s. Wette).
Vgl. Hazzi, Über die Pferderennen als wesentliches Beförderungsmittel der bessern Pferdezucht (Münch. 1826);
Kloch, Über Wettrenner und Wettrennen (Bresl. 1835);
»Abhandlungen über Tierzucht und Pferderennen« (Berl. 1861-63);
v. Lehndorff-Graditz, Hippodromos.
Einiges über Pferde u. Rennen im Altertum (das. 1876);
v. Heydebrand und der Lasa, Handbuch des Reitsports (Wien 1882);
Silberer, Handbuch des Rennsports (das. 1881);
Derselbe, Turf-Lexikon (das. 1884);
v. Bonin und Hartmann, Handbuch für Rennbesucher (Leipz. 1886);
»Der Turf« (mit Wörterbuch, 3. Aufl., Wien 1880);
Rice, History of the British turf (Lond. 1879);
»Reglement für das Flachrennen und Rennen mit Hindernissen im preußischen Staat von 1881«; »Rennkalender für Deutschland« (Berl., seit 1866);
»Österreichisch-ungarischer Rennkalender« (Wien, seit 1878).