Walther
von der
Vogelweide
, der
größte deutsche
Lyriker des
Mittelalters, wurde gegen 1160 geboren. Über seine
Heimat
gehen die Meinungen stark auseinander;
auch die
Ansicht, nach welcher
Walthers Geburtsstätte die »Vogelweide«
auf dem
Laiener
Ried im Eisackthal in
Tirol
[* 3] gewesen ist (vgl.
Zingerle in »Im neuen
Reich« 1874, Nr. 12), läßt sich nicht
erweisen. Walther von der Vogelweide
war von ritterlicher Abkunft, aber arm. Gegen Ende der 80er Jahre verließ er
seine
Heimat und begab sich nach
Wien
[* 4] an den
Hof
[* 5]
Herzog
Leopolds VI. Wie bei diesem, stand Walther von der Vogelweide
auch bei dessen Nachfolger
Friedrich
dem
Katholischen (gest. 1198) in hoher
Gunst.
Nicht so bei
Leopold VII., dem nächsten
Herzog von
Österreich.
[* 6] Walther von der Vogelweide
verließ infolgedessen den
Wiener
Hof,
und es kamen
Zeiten schwerer Bedrängnis über den heimatlosen Dichter. Wir begegnen ihm in
Mainz
[* 7] zur Zeit der
Krönung
Philipps von
Schwaben, den er in herrlichen
Sprüchen feierte
(September 1198), dann in
Magdeburg,
[* 8] wo der König zur Weihnachtszeit 1199 glänzenden
Hoftag hielt. Um
Pfingsten 1200 weilte er wieder in
Wien; im
November 1203
ist er urkundlich in dem österreichischen Zeisselmauer
nachzuweisen; seit 1204 war er wiederholt der
Gast
Landgraf
Hermanns von
Thüringen auf der
Wartburg, wo bekanntlich eine Anzahl
der berühmtesten
Sänger damals verweilte.
In dem
Kampf
Kaiser
Ottos mit
Innocenz III. hielt Walther von
der Vogelweide
so lange an dem schwer bedrängten
Welsen fest, bis
Ottos
Sache unrettbar verloren war. Dann erst trat er zu dem siegreichen
Gegenkaiser, dem
Hohenstaufen
Friedrich II., über (1213-14).
Was Walther
von der Vogelweide
von
Otto vergebens wiederholt erbeten hatte, die Gewährung einer Heimstätte, ward ihm durch
Friedrich
II. zu teil; er verlieh ihm ein
Lehen, das zwar geringen
Ertrag, aber doch eine willkommene Ruhestatt für den Dichter bot.
Wir finden ihn ferner als
Gast an
Heinrichs von Medlick glänzendem
Hof zu
Mödling bei
Wien sowie bei dem
Patriarchen von
Aquileja,
d. h. vielleicht bei Wolfger von Ellenbrechtskirchen.
Später wirkte er litterarisch für
Friedrichs II.
Kreuzzug.
Bald nach der
Bannung des
Kaisers muß er gestorben sein; sein
Grab war im
Münster
[* 9] zu
Würzburg.
[* 10] Im
September 1889 wurde
ihm zu
Bozen
[* 11] ein Brunnenstandbild (von
Natter) errichtet. Walther
von der Vogelweide
gehört zu den hervorragendsten Dichtern überhaupt. Er gebot
über die lieblichsten und süßesten
Weisen des eigentlichen Minneliedes; aber in nicht minderm
Grad war
ihm auch die Fähigkeit verliehen, in gewaltigen
Tönen für die höchsten Angelegenheiten des öffentlichen
Lebens, für das
Vaterland, das
Recht und die
Wahrheit in politischen
Dingen seine
Stimme zu erheben.
Neben dem Minnesang pflegte er die poetische
Gattung des Spruches mit Vorliebe. Die mächtige
Wirkung seiner
politischen
Dichtungen erhellt am sichersten aus dem Vorwurf
Thomasins von Zirkläre, Walther
von der Vogelweide
habe
Tausende bethört, daß sie überhörten
Gottes und des
Papstes
Gebot. Die Form entspricht in
Walthers Gedichten an künstlerischem Wert ihrem reichen Ideengehalt. Die
Annahme
Wilhelm
Grimms und Walther
von der Vogelweide
Wackernagels, nach welcher Walther
von der Vogelweide
auch der Verfasser der Spruchsammlung
»Freidanks
Bescheidenheit« sein soll, ist namentlich durch
Franz
Pfeiffer mit schwer zuwiderlegenden
Gründen bestritten worden. Unter den
Ausgaben des Dichters heben wir hervor die von K.
Lachmann (Berl. 1827; 5. Ausg. von
Müllenhoff, 1875), von Walther
von der Vogelweide
Wackernagel und
M.
Rieger
(Gieß. 1862), von
Fr.
Pfeiffer (Leipz. 1864; 6. Aufl. von
Bartsch, 1880), von
Wilmanns (2. Ausg.,
Halle
[* 12] 1883; Textausg. 1886) und von
Paul (das. 1882). Übersetzungen
gaben K.
Simrock (7. Aufl., Leipz. 1883),
Fr.
Koch
(Halle
1848), G. A. Weiske (das. 1852), Pannier (Leipz. 1876),
Schröter (Nachdichtungen,
Jena
[* 13] 1881),
Wenzel
(Plauen
[* 14] 1888).
Vgl.
Uhland. ein altdeutscher Dichter (Stuttg. 1822; abgedruckt im 5.
Band
[* 15] der
»Schriften«);
Fr.
Pfeiffer, über Walther
von der Vogelweide
(Wien 1860);
die Biographien des Dichters von M. Rieger (Gieß. 1863) und R. Menzel (Leipz. 1865);
Wilmanns,
Leben und Dichten
Walthers von der
Vogelweide
(Bonn
[* 16] 1882);
Walther
von der Vogelweide
Leo, Die gesamte Litteratur
Walthers von der Vogelweide
(Wien 1880).