Wachsblumen
,
s. Blumenmacherei.
Wachsblumen
68 Wörter, 513 Zeichen
Technologie, Gewerbe und Industrie — Verschiedenes — Aus der mechanischen Technologie
Im Meyers Konversations-Lexikon, 1888
Wachsblumen,
s. Blumenmacherei.
Im Brockhaus` Konversationslexikon, 1902-1910
Wachsblumen,
aus Wachs gefertigte künstliche Blumen, die um die Mitte des 19. Jahrh. allgemein beliebt waren.
Das hier zur Anwendung kommende Material (Bienenwachs mit einem Zusatz von Terpentinöl) gestattet eine so treue Wiedergabe der natürlichen Formen, daß solche Blumen oft als Lehrmittel für den botan. Unterricht benutzt werden;
als Dekorations- und Schmuckgegenstände sind sie dagegen, infolge ihrer Zartheit sowie ihrer Empfindlichkeit gegen Wärme, [* 2] wenig geeignet.
die Verfertigung künstlicher Blumen zum Schmuck für das Haar, [* 4] für Hüte, Hauben, auch zur Füllung von Vasen [* 5] etc., wird gegenwärtig fabrikmäßig betrieben und zwar unter sehr weit getriebener Teilung der Arbeit. Als Material dienen hauptsächlich Gewebe, [* 6] wie Batist, Musselin, Gaze, Atlas, [* 7] Taft, Samt etc., dann auch Papier (namentlich Pergamentpapier), Seidenkokons, Kollodiumhäutchen, Federn, Draht, [* 8] Glas, [* 9] Perlen und allerlei Hilfssubstanzen, worunter z. B. Glimmerpulver zur Hervorbringung des Blumentaues.
Die wichtigsten Werkzeuge [* 10] sind Ausschlageisen (Blumeneisen), Matrizen, Pressen und Modelle, deren außerordentlicher Zartheit und Korrektheit, welche die feinsten Blattnerven, Spitzen und Ränder botanisch treu nachzuahmen gestatten, die Blumenmacherei ihre gegenwärtige Höhe verdankt. Sie wird fast ausschließlich von Frauen und Mädchen ausgeübt, die einander beständig in die Hände arbeiten. Man erreicht prachtvolle Effekte durch eigentümliche Appretur, mittels deren man Gewebe für Blumenblätter glatt wie Wachs, scheinbar texturlos, samtartig im Gefühl und etwas durchscheinend herstellt, wenn zugleich die zum Teil in Blumenmalerschulen ausgebildeten Mädchen die subtilsten Nüancen und Zeichnungen mit künstlerischem Sinn und ausgebildetem Verständnis der Natur zu treffen und anzuordnen wissen.
Große Fabriken liefern nur Blätter oder nur Kelche, Knospen, [* 11] Gräser, [* 12] Körner etc., andre nur bestimmte Blumen, nur eine oder einige Sorten Rosen, manche die feinste, kostbarste, andre gröbere Ware für Rosenfeste etc. In der neuesten Zeit ahmt man ganze Blattpflanzen, [* 13] wie Palmen, [* 14] Dracänen, Aroideen, auch aus Blech nach und schmückt mit solchen die Natur täuschend kopierenden Gebilden Räume, in welchen lebende Pflanzen nicht gedeihen. Wachsblumen verfertigt man aus Wachs, welches man im Tiegel flüssig werden läßt und, mit etwas gereinigtem Terpentinöl vermischt und beliebig gefärbt, auf ein Tellerchen gießt.
Mittels Streifen gut geleimten Papiers, die man erst ins Wasser taucht, dann über das flüssige Wachs hinführt und wieder in lauwarmes Wasser taucht, bildet man Wachsstreifen, aus denen sich die Blätter leicht ausschneiden oder mittels Blechformen ausstechen lassen. Die nötige Wölbung gibt man ihnen mittels verschiedener Kugelhölzer, die aber ebenso wie die Blechformen vor dem Gebrauch in laues Wasser getaucht werden müssen. Die Stengel [* 15] und Stiele werden von Draht gemacht und mit Wachs überzogen.
Die Staubfäden bildet man aus ganz fein geschnittenem Wachs, das man in Gummiwasser und dann in gefärbten Grieß eintaucht. Die Adern auf den Blumen- und Stengelblättern werden mit dem Pinsel aufgetragen. Solche Wachsblumen bildeten vor etwa 40 Jahren einen sehr beliebten Modeartikel und waren sehr verbreitet, wurden aber durch die Porzellanblumen verdrängt, welche man in wunderbarer Vollkommenheit aus dem scheinbar ungeeignetsten Material herstellt. Auch Leder, schwarze Glasflüsse (zu sogen. Trauerblumen), Muscheln, [* 16] die Häutchen, welche nach dem Abhaspeln der Seidenkokons übrigbleiben, etc. hat man vorübergehend als Material zu Blumen benutzt. In neuester Zeit ist ¶
auch die Fabrikation künstlicher Blumen aus Glas wieder aufgetaucht, wobei die Blumenteile vor der Glasbläserlampe aus Glasröhren erzeugt und durch Aneinanderschmelzen verbunden werden.
Künstliche Blumen wurden schon im Altertum dargestellt. Nach Plinius wurde der Gebrauch von Kränzen aus künstlichen Blumen um 350 v. Chr. aus Ägypten [* 18] nach Griechenland [* 19] eingeführt, und unter den römischen Kaisern trugen die Frauen parfümierte Blumen aus Papyrusrinde und verschiedenfarbiger Seide. [* 20] In China [* 21] benutzte man im 3. Jahrh. allerlei Pflanzenteile, Vogelfedern und gefärbte Seide, in Spanien [* 22] und Italien [* 23] gleichfalls sehr früh Kokons, Batist, Gaze und Seide.
Die Italiener verpflanzten diese Industrie gegen Ende des 15. Jahrh. nach Frankreich, wo sie zuerst in Lyon [* 24] Fuß faßte, dann aber in Paris [* 25] zur Blüte [* 26] gelangte. Wie in Italien und Spanien, wurden die künstlichen Blumen größtenteils in Klöstern gemacht und waren bestimmt, die Altäre zu schmücken. In der Darstellung feinerer Blumen für Damenputz blieb man lange von Italien abhängig, und erst durch Séguin, welcher sich 1738 in Paris niederließ, erhielt die Blumenmacherei hier einen solchen Aufschwung, daß sie bald den Markt und die Mode vollständig beherrschte.
Séguin kopierte die Natur, stellte mit der Schere [* 27] alle Teile der Blumen her und färbte sie dann; 1770 erfand ein Schweizer eine Maschine, [* 28] mit welcher man 6-8 Blätter auf einmal schneiden konnte, und bald darauf wandte man die Matrizen an. Unter dem Kaiserreich und der Restauration machte die Fabrikation der künstlichen Blumen große Fortschritte, aber die Ware blieb teuer, weil jeder Fabrikant alles, dessen er bedurfte, selbst anfertigen mußte. Heute herrscht aber die Arbeitsteilung, und dieser verdankt die Blumenmacherei die Vollendung und Ausdehnung, [* 29] welcher sie sich jetzt erfreut. In Paris beschäftigte dieselbe vor dem Krieg 1870: 15,000 Personen, fast ausschließlich Frauen und Mädchen, und der Wert der jährlich erzeugten Ware wurde auf mehr als 25 Mill. Frank geschätzt.
Mit Frankreich konkurriert fast nur noch Deutschland, [* 30] und hier hat die Blumenmacherei besonders in Berlin, [* 31] wo sie vor etwa 100 Jahren durch die noch bestehende Firma Bolsius' Erben eingeführt wurde, und in München [* 32] eine hohe Vollendung erreicht. Die deutsche Blumenmacherei fand wesentliche Förderung durch den Krieg 1870, welcher Paris abschloß und die Konsumenten fast ausschließlich aus deutsches Fabrikat verwies, welches heute dem französischen vollständig ebenbürtig ist. England liefert sehr viele, aber wenig geschmackvolle künstliche Blumen, Brasilien [* 33] sehr schöne aus Federn.
Vgl. Lénard, Die Verfertigung künstlicher Blumen (Weim. 1881).