Für Ermittelung der
Bevölkerung der damaligen Zeit können heute neben den freilich mangel- und lückenhaften Kirchenbüchern
nur noch mittelbare Anhaltspunkte benutzt werden. Erst mit dem 18. Jahrh. werden in einigen
größern
LändernZählungen mit nachträglichen
Revisionen an derHand
[* 7] der Zivilstandsregister ausgeführt.
So fanden in
Schweden
[* 8] schon seit 1748 umfassende
Aufnahmen statt, und 1749 wurde für den
Zweck der Volkszählungen eine eigne Tabellenkommission
ins
Leben gerufen.
Regelmäßig wiederkehrende
Zählungen finden statt in den
Vereinigten Staaten
[* 9] von
Nordamerika
[* 10] seit 1790, in
England seit 1800,
Frankreich seit 1801,
Preußen
[* 11] seit 1816
(Zollverein seit 1834),
Holland seit 1819,
Sardinien
[* 12] seit 1838,
Schweiz
[* 13] seit 1841,
Belgien
[* 14] seit 1846. Zu unterscheiden sind: a) die faktische (thatsächliche) oder ortsanwesende
Bevölkerung, b)
die Wohnbevölkerung, c) die einheimische oder rechtliche
Bevölkerung. »Unter der faktischen
Bevölkerung ist die
Summe jener
Personen zu verstehen, welche am Zählungsort zur Zeit der Zählung anwesend waren. Unter der Wohnbevölkerung
begreift man jene
Personen, welche im Zählungsort gewöhnlich verweilen, also die faktische
Bevölkerung mit Hinzurechnung
der zur Zeit der Zählung nur vorübergehend Abwesenden und
Abrechnung der nur vorübergehend Anwesenden. Unter der einheimischen
Bevölkerung wird jene verstanden, welche im Zählungsort das
Heimatsrecht, die
Zuständigkeit besitzt,
soweit eine solche neben der Staatsbürgerschaft überhaupt gesetzlich besteht.« Die Kenntnis jeder dieser
Arten der
Bevölkerung
hat für bestimmte
Zwecke ihre
Bedeutung, so die rechtliche für
Wehrpflicht und
Einkommensteuer, die Wohnbevölkerung für
indirekte
Besteuerung, Zollabrechnungen in Zollvereinsstaaten (Zollabrechnungsbevölkerung), die thatsächliche
Bevölkerung
für die allgemeine
Kontrolle.
Alle übrigen
Erhebungen sollten je nach gegebenen besondern Bedürfnissen angestellt werden. Aus praktischen
Gründen dürfen
nicht zu vieleFragen gestellt und dieselben nicht auf solche Gegenstände erstreckt werden, bei denen
die Beantwortung mit
Zweifeln zu kämpfen hat oder ein zu tiefes Eindringen in Familienverhältnisse erforderlich wäre. Als
Zeit der Volkszählungen sollte eine solche gewählt werden, zu welcher der größte Teil der
Bevölkerung sich zu
Hause aufhält.
statist. Erhebungen, die die Ermittelung des Standes der Bevölkerung (s. d.) zum
Gegenstand haben. Sie bilden eine der umfassendsten und bedeutendsten Unternehmungen der amtlichen Statistik. Die auf die
Feststellung der Volkszahl gerichteten Bestrebungen reichen weit in das Altertum zurück. Namentlich haben die Chinesen, Juden
und Ägypter Aufnahmen veranlaßt, die an unsere heutigen Volkszählungen erinnern. Die Bürgerlisten in Griechenland und
Rom, hier von den Censoren auf dem Laufenden erhalten und im Lustrum regelmäßig abgeschlossen, vertraten das Ergebnis einer
Volksaufnahme; eine förmliche allgemeine Volkszählung ordnete zwar der KaiserAugustus an, indessen scheint sie nicht durchgeführt
worden zu sein.
Dem Mittelalter waren allgemeine, über ein größeres Gebiet sich erstreckende Volkszählungen unbekannt. Wohl
aber haben damals einige Städte erfolgreiche Versuche zur Feststellung ihrer Einwohnerzahl gemacht (wie z. B.
Nürnberg
[* 28] 1449 und Straßburg
[* 29] i. E. etwa um 1475), die um so wichtiger sind, als sie vorzugsweise geeignet erscheinen,
die bisher noch wenig bekannten Bevölkerungszustände des Mittelalters zu beleuchten. Dem gleichen Zweck dienen heute unter
anderm die überlieferten Steuerrollen und Bürgerverzeichnisse sowie die ältern Kirchenbücher mit ihren
Nachweisungen über Eheschließungen, Geburten und Sterbefälle, aus deren Zahl nach einem anzunehmenden festen Verhältnis
die Bevölkerung annähernd berechnet werden kann.
Brauchbares Material zu deren oberflächlicher Schätzung bieten die auf uns gekommenen Angaben über den Nahrungsmittelverbrauch,
die Zahl der waffenfähigen Mannschaften, der Handwerker gewisser Gewerbe u. s. w. Die erste allgemeine
Volkszählung fand nicht vor dem 18. Jahrh. statt. Preußen und Hessen
[* 30] unter den deutschen Staaten, ferner Schweden (seit 1748)
und England legten darauf verhältnismäßig früh Wert. Weil jedoch die Ermittelungen ohne allgemein gültige und genaue
Vorschriften vollzogen wurden und sich auf zu wenige Fragen bezogen, leisteten sie geringe Dienste;
[* 31] auch
der in diesen Dingen am weitesten vorgegangene preuß. Staat beschränkte sich nach 1816 längere Zeit auf die Erhebung weniger
Thatsachen.
Seit 1853 hat der Internationale statist.
Kongreß die Theorie und Praxis der Volkszählungen wiederholt behandelt, nachdem Quételet in
Belgien 1846 ausführliche Haushaltungslisten (bulletins de ménage) ausgeteilt und damit eine wichtige
Verbesserung durchgeführt hatte. In den letzten Jahrzehnten ist die Technik des Volkszählungswesens noch weiter vervollkommnet
worden, und wenn auch jetzt noch das Zählungswesen, selbst innerhalb des DeutschenReichs, nicht völlig einheitlich gestaltet
ist, so sind die Ergebnisse der neuern Volkszählungen doch als eine der wertvollsten Quellen für die Kenntnis unserer
socialen Verhältnisse und als ein unentbehrliches Hilfsmittel der Verwaltung anzusehen.
Die erste, bei Volkszählungen zu entscheidende Frage betrifft den Gegenstand der Zählung. Man kann in dieser
Hinsicht die Bevölkerung von drei verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachten, je nachdem sie während des Zählungstages
entweder an einem Orte thatsächlich sich vorfindet (faktische oder ortsanwesende Bevölkerung), oder dort ihren dauernden
Wohnsitz hat (Wohnbevölkerung), oder endlich in irgend einer rechtlichen Beziehung zu demselben steht (rechtliche Bevölkerung).
Welche von diesen drei Arten der Bevölkerung zu zählen sei, war lange ein Gegenstand des Streites; der StatistischeKongreß
und mit ihm die meisten Staaten haben die ortsanwesende Bevölkerung als die am leichtesten zu erfassende
schon früher vorgezogen, während im Zollverein noch bis 1867, in den Staaten des spätern Norddeutschen Bundes nur bis 1864,
die sog. Zollabrechnungsbevölkerung, die ungefähr der Wohnbevölkerung entspricht, erhoben
wurde. Seitdem wird die ortsanwesende Bevölkerung als eigentlicher Gegenstand der Volkszählungen ermittelt, wenn
auch daneben die Elemente zur Feststellung der Wohnbevölkerung (Angabe der vorübergehend An- oder Abwesenden) erhoben werden.
Die außerhalb des Reichs sich aufhaltenden Reichsangehörigen werden bei den Volkszählungen außer acht gelassen.
Für den Umfang der Volkszählungen gilt allgemein die Regel, daß solche Fragen gestellt werden müssen,
die man zur Herstellung einer guten Volksbeschreibung für notwendig hält; ein Übermaß ist wegen der Belästigung des
Volks und der Behörden ebenso schädlich wie ein zu geringes Maß, und es sollte insbesondere nicht mehr erfragt werden, als
die statist. Landesstelle zu verwerten gedenkt. Name, Wohnung, Geschlecht, Alter (nach Geburtsjahr und
möglichst auch nach dem Geburtstag) und Familienstand gelten als die in erster Linie zu erfragenden Thatsachen, wogegen eine
Reihe anderer Punkte nur in jüngern Zeitabschnitten einmal ermittelt zu werden brauchen, z. B.
das Verhältnis des Einzelnen zum Familienhaupt und zum Wohnungsinhaber, der Geburtsort, der Wohn- und Heimatsort, gewisse
körperliche und geistige Mängel (Blindheit, Taubstummheit, Blöd- und Irrsinn u. s. w.), die Familiensprache
oder Stammeszugehörigkeit, der Beruf und die Beschäftigung, die Art des Aufenthalts, der Bildungsgrad und bei Kindern der
Schulbesuch. In Deutschland wird auch meistens nach dem Religionsbekenntnis gefragt. Bei der im DeutschenReiche vorgenommenen
Volkszählung ist ebenso wie bei der 14. Juni desselben Jahres vorausgegangenen Berufszählung die Arbeitslosigkeit
ermittelt worden. Noch andere Fragen aufzustellen wird für unzweckmäßig gehalten, weil zu tiefes Eindringen in die Vermögens-
und Familienverhältnisse unzuverlässige Unterlagen liefern und viele
¶
mehr
Gegner erwecken würde. Auch ist genaue Begriffsbestimmung der oben erwähnten Gegenstände schon schwierig und kann dem Verständnis
der Ortsbehörden, namentlich aber der einzelnen Haushaltungsvorstände und Zähler nicht leicht angepaßt werden, so daß
die Leiter der Volkszählungen auf eine weitere Ausdehnung
[* 33] der Fragen desto lieber verzichten, je vollkommener im übrigen die
Methode eingerichtet ist. Hingegen läßt sich mit der Volkszählung, weil sie auf das Wohnen gestützt ist, immer eine ziemlich
ausführliche Grundstücks-, Wohnungs- und Gebäudestatistik verknüpfen; die Großstädte, welche eigene statist. Ämter
besitzen, haben denn auch diesen Nebengewinn der großen Landesunternehmung für Zwecke der Gemeindeverwaltung verwertet.
Eine Abart der Volkszählungen sind die Berufszählungen (s. Berufsstatistik).
Als Zeit für die Volkszählungen ist eine ruhige, d. h. eine solche zu wählen, in der
die Bevölkerung sich größtenteils zu Hause befindet; für den Zollverein war der Dezember vorgeschrieben, und zwar
galt der 3. Dez. bei den seit 1834 alle drei Jahre vorgenommenen Volkszählungen 1846‒67, der 1. Dez. bei
den fünf deutschen Volkszählungen 1871, 1875, 1880, 1885 und 1890. Für die Volkszählung von 1895 wurde, weil der 1. Dez. auf
einen Sonntag fiel, der 2. Dez. gewählt. Übrigens ist nicht zu verkennen, daß gewichtige wissenschaftliche Gründe, namentlich
die erwünschte Übereinstimmung mit den fortlaufenden Ermittelungen über die Bewegung der Bevölkerung,
für die Verlegung des Termins auf den 31. Dez. sprechen, welcher unter anderm in Österreich-Ungarn,
[* 34] Italien, Schweden und Norwegen
als Zählungstag gilt. Im DeutschenReich und Frankreich finden alle fünf Jahre, in den meisten andern Staaten alle zehn Jahre
Volkszählungen statt; die letzte Volkszählung in Italien war 1881.
Die roheste Form der Erhebung beruht auf der Auswahl von Stichobjekten, d. h. solchen Häusern, Wohnplätzen
oder Räumen, die eine mittlere, der Landessitte am meisten entsprechende Personenzahl umfassen; man ermittelt diese und
vervielfacht sie mit der Zahl der im Lande vorhandenen Objekte gleicher Art; so verfahren z. B. Reisende unter wilden
und halbwilden Völkern. Besser ist schon die Zusammenberufung der Familienhäupter oder ihrer Vertreter an einen einzigen
Ort und deren öffentliche Befragung durch den Gemeindevorstand, wobei vorausgesetzt wird, daß die Nachbarn falsche Angaben
berichtigen.
Üblicher war die polizeiliche Begehung der Häuser und die unmittelbare Eintragung des Befundes in je eine Zeile
der Ortsliste, welches einfache Verfahren aber unmöglich wurde, als die Spalten zunahmen und Zweifel an der Richtigkeit der
statist. Angaben der Ortsbehörden entstanden. Weil namentlich Einwohnerlisten eine größere Gewähr der Richtigkeit geben,
auch zu vielen Zwecken der laufenden Verwaltung nützlich sind, wurden sie für die Volkszählung schon im 18. Jahrh. anbefohlen,
aber nicht überall angelegt und fortgeführt.
Mit der Entwicklung des Verkehrs steigerten sich aber die Zu- und Abgänge, so daß die Berichtigung der Einwohnerlisten sehr
beschwerlich und sogar auf dem platten Lande unzuverlässig wurde; man verfügte deshalb, im Zollverein 1846, die Anlegung
besonderer Volkszählungsurlisten mit namentlicher Eintragung jeder Person. Um die Mitte des 19. Jahrh.
begann die Selbsteintragung in Haus- oder Haushaltungslisten mit Revision und Ergänzung durch die Ortsbehörden Platz zu
greifen, ein Verfahren, das einen ziemlich hohen Bildungsstand der
Bevölkerung voraussetzt und in Preußen erst seit 1867 auf
Betreiben Ernst Engels eingeführt wurde.
Als Vermittler zwischen der Behörde und den Familienhäuptern wirken dabei Zähler, die in den meisten
Staaten für ihre Leistungen bezahlt werden, in Deutschland aber meist unentgeltlich arbeiten. Der preuß. Staat, der in Angelegenheiten
der Volkszählungen den Vortritt genommen hatte, führte 1871 als weitere Verbesserung individuelle Zählkarten neben abgekürzten Haushaltungslisten
und einfachen Ortslisten ein, und diese sog. Zählkartenmethode, zu deren
Einführung bei der Aufnahme ein dem Namen nach nicht bekannter Bürgermeister aus der Rheinprovinz
[* 35] die Anregung gegeben hat,
hat sich sowohl für die Erhebung der Nachrichten wie für deren spätere Verarbeitung trefflich bewährt, ist in Preußen
bei allen Volkszählungen beibehalten und auf viele andere statist. Aufnahmen ausgedehnt und von einer Reihe anderer
Staaten angenommen worden.
Die Verwertung der Urmaterialien zu statist. Tabellen erfolgte früher allgemein zunächst seitens der Gemeinde, wozu die
ursprünglich tabellarische Gestalt der Urlisten bequeme Gelegenheit bot, und dann stufenweise durch die höhern Verwaltungsbehörden
für die Kreise,
[* 36] Regierungsbezirke, Provinzen und den ganzen Staat. Die Vergrößerung und Umgestaltung
der Liste machte dann aber den Gemeinden die Last der Übertragung so schwer, daß dieser Weg in vielen Staaten aufgegeben
ist; entweder stellen dann bezahlte Agenten die Tabellen für bestimmte Gebietsteile auf, oder die statist.
Landesstellen nutzen das gesamte Urmaterial unmittelbar aus. Im letztern Falle, zuerst in großartiger
Weise bei der Volkszählung von 1871 in Preußen durchgeführt, können je nach Maßgabe der verfügbaren Mittel alle Kombinationen
der Einzelergebnisse zusammengestellt werden, sei es für den ganzen Staat oder seine einzelnen Teile. Ist die Aufnahme selbst
mittels Individualzählkarten erfolgt, so können auch noch während der Aufbereitung des Zählungsergebnisses jederzeit
neue Kombinationen der beobachteten Einzelthatsachen, je nachdem inzwischen deren Kenntnis wünschenswert geworden, mit geringem
Aufwand an Zeit und Arbeitskraft zusammengestellt werden, was jedoch nicht thunlich ist, wenn man die Volkszählungen mittels Listen,
die die Einzelthatsachen schon in gewissen Kombinationen (z. B. nach Haushaltungen) enthalten, bewirkt hat. Im DeutschenReich
sind dem kaiserl. StatistischenAmt gewisse, von diesem zu veröffentlichende Hauptergebnisse der Volkszählungen seitens
der Einzelstaaten mitzuteilen, während diesen die weitere Ausnutzung des Zählungsmaterials überlassen bleibt.
Das Gebiet, über das sich Volkszählungen erstreckt haben, ist aus der Tabelle zu dem ArtikelBevölkerung ersichtlich, wo auch die letzten
Zählungsjahre aller Staaten angegeben sind. Es hat durch die Volkszählung von 1897, welche sich über
das ganze russ. Reich, also über das größte jemals von einer Volkszählung erfaßte Gebiet ausdehnte, eine wesentliche
Erweiterung erfahren. Besonders hervorgehoben zu werden verdient der groß angelegte ind. Census,
der in die persönlichen Verhältnisse von fast 300 Mill. Menschen eindringt und der überaus ausführliche
Census der Vereinigten Staaten von Amerika.
[* 37]
Vgl. Engel, Die Methoden der Volkszählungen (Berl. 1861);
Kongresse; Jastrow, Die Volkszahl deutscher Städte zu Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit.
Ein Überblick über Stand und Mittel der Forschung (Berl. 1886).