Visconti
,
berühmte alte lombard.
Familie. Der lateinische
Name Vicecomites und der italienische Visconti
bedeuten Vizegrafen
und bezeichnen daher ursprünglich ein
Amt; vielleicht waren die Visconti
die Stellvertreter des
Kaisers in
Mailand.
[* 2] Die Visconti
selbst leiten ihren Ursprung von den
Grafen von Angloria, angeblich Nachkommen der langobardischen
Könige, ab. Der
erste, dessen mit einiger
Gewißheit Erwähnung geschieht, und zwar bei der Belagerung
Mailands 1037 durch
Kaiser
Konrad II.,
war Heribrand (Eriprando).
Sein Sohn Ottone, um 1075 Vizecomes des mailändischen Erzbistums, erschlug nach der
Sage 1099 vor
Jerusalem
[* 3] einen
Sarazenen und wählte dessen Helmzierat, eine geflügelte, flammenspeiende
Schlange,
[* 4] zum
Wappen,
[* 5] das später alle Visconti
führten.
Er starb in
Rom
[* 6] 1111 bei einem
Aufstand gegen
Heinrich Visconti
, indem er dem
Kaiser aufs
Pferd
[* 7] half. Von seinen Enkeln war der jüngere,
Giovanni, Großvater Tebaldos de' Visconti
, der unter dem
Namen
Gregor X. 1271
Papst ward. Der ältere Enkel, Uberto, 1206 Oberhauptmann
von
Mailand, lag in beständiger
Fehde mit der
Familie della
Torre.
Dessen ältester Sohn, Ottone, geb. 1208 zu Ugogne, ward 1263
Erzbischof von
Mailand. Als ihm
Martin della
Torre den
Eintritt in
Mailand verbot, warf sich
Otto zum Parteihaupt auf, sammelte alle
Ghibellinen um sich und bemächtigte sich
Aronas.
Sein Hauptunternehmen auf
Mailand gelang indessen nicht; erst 1277 behielt er die Oberhand über die
Torre. Er hinterließ 1295 die
Herrschaft über
Mailand seinem
Neffen Matteo de' Visconti
, den er 1294 von
Adolf von
Nassau als
Reichsvikar hatte
anerkennen lassen.
Derselbe ward 1302 vertrieben, kam aber 1311 durch Kaiser Heinrich VII. wieder zur Regierung und starb im Kirchenbann 1322, nachdem er die Regierung in die Hände seines Sohns Galeazzo niedergelegt, welcher, geb. vom Kaiser 1313 zum Vikar von Piacenza ernannt ward. Derselbe wurde 1327 durch Ludwig den Bayern [* 8] im Schloß zu Monza eingekerkert, erhielt zwar 1328 auf Fürbitten der Ghibellinenhäupter seine Freiheit, starb aber schon 6. Aug. Sein Sohn Azzo, geb. 1302, ward 1328 gegen eine Summe von 60,000 Gulden von Ludwig dem Bayern zum Reichsvikar in Mailand ernannt und bemächtigte sich nach und nach fast der ganzen Lombardei.
Ihm folgte, da er kinderlos war, 1329 sein Oheim Lucchino, dritter Sohn von Matteo Visconti
, um 1287 geboren, der
mit blutiger Strenge seine Herrschaft in
Mailand befestigte und die Macht seines
Hauses auch über
Piemont und die
Lunigiana
ausdehnte, daneben auch ein
Freund der
Wissenschaften war, wie er denn mit
Petrarca in Briefwechsel stand
und selbst dichtete. Er starb
Sein
Bruder
Giovanni, seit 1328
Erzbischof von
Mailand, regierte milder, erwarb
Bologna
durch
Kauf und erhielt 1353 auch die Signorie von
Genua.
[* 9] Die
Wissenschaften hatten an ihm einen eifrigen
Förderer; er war ein Bewunderer
Dantes und
Gönner
Petrarcas. Ihm folgten 1354 seine drei
Neffen Matteo II., Bernabo und
Galeazzo
II., welche
Mailand und
Genua gemeinschaftlich besaßen, das übrige unter sich teilten.
Galeazzo II. empfing
Como,
Novara,
Vercelli,
Asti,
Tortona und
Alessandria und teilte nach Matteos
Tod 1355 dessen Besitzungen
(Bologna,
¶
mehr
Parma,
[* 11] Piacenza, Lodi) mit seinem Bruder Bernabo, der Cremona, Crema, Brescia und Parma empfing. Der Reichtum und die Macht des Hauses
erweckten den Visconti
zahlreiche Neider, und die Nachbarn thaten sich zu einer großen Liga zusammen. Im Innern ihrer Herrschaft
erregten der Steuerdruck und die strenge Regierung mehrere Aufstände. Bologna und Genua konnten die Brüder
nicht behaupten. Dagegen verteidigten sie ihren übrigen Besitz durch ihre zahlreichen Söldnerscharen mit Erfolg und erhielten
ihn durch den Frieden von 1364 bestätigt.
Ihre für jene Zeit unerhörten Schätze veranlaßten mächtige fürstliche Häuser, Heiratsverbindungen mit den Visconti
zu schließen.
Galeazzo, der zuletzt seinen Sitz nach Pavia verlegt hatte, starb 1378 und hinterließ seine Herrschaft
seinem Sohn Giovangaleazzo, Grafen von Virtù (Vertus), der die französische Königstochter Isabella von Valois geheiratet hatte.
Dieser ließ, von den Mailändern zur Übernahme der Regierung aufgefordert, seinen Oheim Bernabo, welcher sich durch seine
Verschwendung und Grausamkeit verhaßt gemacht, nebst seinen zwei Söhnen 1385 gefangen nehmen und auf
ein festes Schloß bringen, wo sie bald starben, und vereinigte nun alle Besitzungen der Visconti
wieder in Einer Hand.
[* 12] In ihm erreichte
die Familie Visconti
den Gipfel ihrer Größe und ihres Glanzes. Er nahm den Titel Herzog von Mailand an, wozu er sich die
Erlaubnis vom Kaiser Wenzel 1395 erkauft hatte, erwarb Pisa,
[* 13] Siena, Perugia, Padua
[* 14] und Bologna und beabsichtigte selbst, den Titel
eines Königs von Italien
[* 15] anzunehmen, was aber Florenz
[* 16] und Venedig
[* 17] durch immer erneute Kriege zu vereiteln suchten.
Auch einen Angriff des Kaisers Ruprecht auf Mailand schlug er 1401 glücklich ab. Er starb 1402 plötzlich an einer Seuche. Er liebte auch die Wissenschaften, zog die berühmtesten Männer an seinen Hof, [* 18] stellte die Universität zu Piacenza wieder her, stattete die zu Pavia reicher aus und begann große Bauwerke, z. B. den Mailänder Dom, die Certosa bei Pavia und die Tessinbrücke bei letzterer Stadt. Seine zwei rechtmäßigen Söhne Gian Maria und Filippo Maria und ein natürlicher Sohn, Gabriele, teilten nach seinem Tod seine Staaten.
Doch führte, da sie alle drei unmündig waren, die verwitwete Herzogin nebst einem Regentschaftsrat die Regierung, unter welcher furchtbare Parteikämpfe ausbrachen, in denen die Herzogin 1404 starb. Gabriele ward 1408 in Genua hingerichtet. Gian Maria wuchs zu einem furchtbaren Wüterich heran. Er ließ die Opfer seiner Rache und seines Argwohns vor seinen Augen von Hunden zerreißen und fütterte letztere nur mit Menschenfleisch. Endlich ward er in der Kirche erdolcht.
Sein Bruder Filippo Maria, geb. 1391, hatte nach seines Vaters Tod Pavia und die Umgegend erhalten, bemächtigte sich jedoch nach der Ermordung seines Bruders der Staaten desselben und eroberte mit Hilfe seines Feldherrn Franz von Carmagnola die ganze Lombardei. Er starb in Pesaro ohne männliche Nachkommen, und die Herrschaft ging nun auf den Gemahl seiner natürlichen Tochter Bianca, Franz Sforza, über. Mehrere Sprößlinge der Familie haben sich in der Folge durch die Waffen [* 19] oder durch Gelehrsamkeit hervorgethan.
Vgl. Kagelmacher, Filippo Maria Visconti
und König Sigismund (Berl. 1885).