Vatikanisches
Konzil, die 20. ökumenische
Kirchenversammlung, welche vom bis getagt
und die katholische Lehrbildung durch Definierung der päpstlichen
Unfehlbarkeit zum
Abschluß gebracht hat. Seit dem
Scheitern
der großen Reformkonzile
des 15. Jahrh. war die absolute Bedeutung des
Papsttums auch auf dem Gebiet der
Lehre
[* 2] thatsächlich
entschieden. Sie auch kirchenrechtlich vollzogen zu sehen, gehörte schon lange zu den Lieblingsideen
von
Pius IX. Seit 1864 war der Entschluß in ihm gereift, zu diesem
Zweck ein
Konzil zu berufen.
Das Einberufungsschreiben vom enthält ein ganz vages Programm, dessen unzweideutige Auslegung erst die Jesuiten in der »Civiltà cattolica« übernahmen. Die in jenem Schreiben erwähnte Heilung der allgemeinen Weltübel sollte durch Bestätigung des Syllabus vom durch die Dogmatisierung der körperlichen Himmelfahrt Marias und vornehmlich der päpstlichen Unfehlbarkeit erfolgen. Daß dadurch das Verhältnis der Kirche zum Staat von dem modernen Rechtsboden wieder auf denjenigen der mittelalterlichen Theorie, wie sie Gregor VII., Innocenz III. und Bonifacius VIII. formuliert hatten, zurückgeführt werde, machte trotz des am erlassenen Rundschreibens des bayrischen Ministers v. Hohenlohe den Regierungen wenig Sorge.
Aber die Zusammensetzung des Konzils wies gleich am Eröffnungstag ein wenig verheißungsvolles Gepräge auf. Die Griechen, Protestanten und anderweitige »Akatholiken«, welche der Papst aufgefordert hatte, zu erscheinen und bei dieser Gelegenheit in den »alleinigen Schafstall Petri« zurückzukehren, waren natürlich ausgeblieben. Von 1044 zur Mitgliedschaft berechtigten Prälaten waren 723 erschienen, die sich im Januar 1870 auf 744 vermehrten. Darunter waren aber 276 Italiener, dem Papst meist unbedingt ergeben; dasselbe galt von den 83 Asiaten, 14 Afrikanern, 13 Australiern.
Deutsche [* 3] Mitglieder waren nur 19, österreichisch-ungarische 48, französische vorhanden und auch unter diesen nicht wenige, die zur unbedingt päpstlichen Partei gehörten. Diese letztere setzte sofort eine Petition an den Papst in Umlauf, wodurch derselbe ersucht wurde, den römischen Stuhl für irrtumsfrei zu erklären. Es fanden sich hierfür 410 Unterschriften, für die Gegenadresse nur 137, und auch innerhalb dieser Minorität war man über den Standpunkt, von dem aus man die Unfehlbarkeit bekämpfte, keineswegs einverstanden.
Die meisten wollten nicht das Prinzip, sondern bloß Opportunitätsrücksichten betont wissen. Unter solchen Umständen konnte der vollkommene Sieg der Infallibilisten nur noch eine Frage der Zeit sein, und schon 21. Jan. wagte man es, ein »Schema der dogmatischen Konstitution über die Kirche Christi« den Vätern mitzuteilen, welches über die letzten Absichten der Kurie keine Zweifel mehr ließ. Als dasselbe trotz aller Vorsichtsmaßregeln bekannt wurde, regten sich freilich die Regierungen; aber der im Sommer ausbrechende Krieg ließ es zu keinem energischen und gemeinsamen Vorgehen kommen.
Die Kurie ihrerseits hatte den Gang [* 4] der Verhandlungen durch eine neue, die Minorität lahm legende Geschäftsordnung beschleunigt und hierauf dem Konzil 6. März den betreffenden Zusatzartikel vorgelegt, daß der Papst in Sachen des Glaubens und der Moral nicht irren könne. Nach einigen Redaktionsmanövern wurde 24. April die Konstitution über den katholischen Glauben, 13. Juli die Konstitution über die Kirche Christi genehmigt, jene einstimmig, diese mit 451 unbedingten gegen 62 bedingte Placet und 88 Non placet.
Mit dieser That war der Mut der Opposition erschöpft, das Schreckgespenst eines drohenden Schismas lähmte ihre letzten Kräfte. Die Opponenten verließen Rom, [* 5] nicht etwa, um gegen die Vergewaltigung zu protestieren, sondern um sich in aller Form einer nach dem andern zu unterwerfen. So kam es, daß in der entscheidenden vierten öffentlichen Sitzung 18. Juli 552 Väter mit Placet, nur zwei mit Non placet stimmten, womit das neue Dogma fertig war.
Vgl.
Frommann, Geschichte
und
Kritik des vatikanischen
Konzils (Gotha
[* 6] 1872);
Friedberg,
[* 7] Sammlung der Aktenstücke zum ersten vatikanischen
Konzil (Tüb.
1872);
Lord
Acton, Zur Geschichte des vatikanischen
Konzils (deutsch,
Münch. 1871);
Friedrich, Documenta ad illustrandum concilium Vaticanum (Nördl. 1871);
Derselbe,
Tagebuch während des vatikanischen
Konzils (2. Aufl., das. 1873) und Geschichte
des vatikanischen
Konzils
(Bonn
[* 8] 1877-87, 3 Bde.);
von ultramontaner Seite: Cecconi (deutsch, Regensb. 1873).