[* 2]
Palast des
Papstes in
Rom
[* 3] auf dem alten Vaticanus mons, nordwestlich jenseit des
Tiber, in der
Citta Leonina und
an der
Peterskirche gelegen. Die erste
Anlage des Vatikans entstand unter
PapstSymmachus zu Anfang des 6. Jahrh.
Eugen III. begann 1150 einen Neubau,
Nikolaus III. erneuerte ihn. Seit der Rückkehr der
Päpste von
Avignon, 1377, blieb der
Vatikan die päpstliche
Residenz und wurde in der
Folge durch Zubauten vergrößert, namentlich unter
Julius II. (durch
Bramante),
SixtusVatikan,
Pius VI. und
Pius VII., unter welch letztern das Museo Pio Clementino und das Museo
Chiaramonti hinzukamen.
Der Vatikan bildet infolgedessen kein regelmäßiges Gebäude, sondern einen großen Baukomplex, welcher sich in der
Form eines ungeheuern
Oblongums in schiefer
Richtung an die
Peterskirche anlehnt, 20
Höfe und über 200
Treppen
[* 4] zählt. Über die prächtige, perspektivisch sich verkürzende
Scala Regia gelangt man zu der 1473 erbauten
Sixtinischen Kapelle
(s. d.), neben welcher sich die
Sala Regia, ein mit Fresken ausgestatteter Vorsaal, und die Paulinische
Kapelle, mit Fresken
Michelangelos, befinden. Im zweiten
Stockwerk gelangt man zu den
Stanzen, vier
Sälen, welche
Raffael im Auftrag
Julius' II. und
Leos X. 1508-20 mit herrlichen Fresken schmückte, und zwar:
[* 2] päpstl. Palast in Rom (s. Plan: Rom). Die dem Campus Martius gegenüberliegende Ebene rechts
vom Tiber (jetzt eingenommen von den Stadtteilen Borgo und Prati di Castello) heißt im Altertum campus oder ager Vaticanus (ob
von einer uralten untergegangenen Etruskerstadt Vaticum?), die sie umgebenden Hügel, vom Monte-Mario bis zum Gianicolo,
colles Vaticani. Einen besondern «mons Vaticanus» kennt das
Altertum nicht, auch ist die physische Abgrenzung des heute so genannten Hügels nicht scharf nachzuweisen.
Die Ebene war in der Kaiserzeit meist eingenommen durch Gärten, unter andern durch die der Domitier, in welchen die Christen
unter Nero (64) ihren Martertod fanden. Der Leichnam des ApostelsPetrus wurde unweit davon zwischen dem
Cirkus
[* 16] des Caligula und einem viel verehrten Heiligtum der Kybele,
[* 17] das den Namen «Vaticanun» führte (Reste beim Bau der Façade
von St. Peter 1609 gefunden), bestattet. Als sich dann über dem Grabe des Apostels eine Kirche erhob, erhielt sie den Beinamen
S. Petrus in Vaticano.
Die alte Peterskirche, deren Gründung von der Tradition dem Konstantin zugeschrieben wird, war ein imposanter
fünfschiffiger Bau mit quadratischem Vorhof und zahlreichen Nebenkapellen (Grundriß s. Tafel: Altchristliche Kunst II,
[* 18]
Fig.
5), reich mit Marmor, Mosaiken und Malereien geschmückt, aber eilfertig und unter Benutzung vielfach zusammengeraffter Materialien
errichtet. Im 5. Jahrh. veranlaßte ihr baufälliger Zustand NikolausVatikan zum Gedanken eines Neubaues.
Bernardino Rosselino entwarf die Pläne und begann eine große Tribuna (hinter der alten) zu errichten, doch stockte der Bau nach
dem Tode des Papstes. Erst Julius II. nahm den Plan wieder auf und entschied sich, nach einer Konkurrenz zahlreicher Architekten,
für den Plan des LombardenBramante (s. d.). Dieser entwarf einen großartigen Centralbau in Form eines
gleicharmigen (griech.) Kreuzes, mit riesiger, an den Ecken von vier kleinern flankierten Centralkuppel. Der Grundstein zum
neuen St. Peter wurde gelegt und der Bau in den ersten Jahren schnell gefördert. Die erforderlichen ungeheuern
Geldmittel wurden zum Teil durch den schwunghaft betriebenen Ablaßhandel beschafft. Aber mit dem Tode
Aramantes (1514) verlangsamte das Tempo des Baues, dessen Leitung nach- und nebeneinander Giuliano da Sangallo, Raffael (gest.
1520), FraGiocondo da Verona
[* 19] (gest. 1515) und Baldassarre Peruzzi hatten.
Nach der Belagerung und Plünderung Roms (1527) geriet er fast ganz ins Stocken. Erst unter Paul III. (1534-49)
beginnt eine neue Periode der Thätigkeit. Antonio da Sangallo der Jüngere, der zunächst die Oberleitung führte, wollte ein
großes Langhaus errichten und dadurch der Kirche die Form eines lat. Kreuzes geben; auch konstruierte er ein großes Holzmodell
für die Dekoration der Außenfaçaden, welches noch in St. Peter aufbewahrt wird. Aber der nach seinem
Tode (1546) zum Oberarchitekten berufene
¶
mehr
Michelangelo griff auf den Grundriß Bramantes zurück, verstärkte die Kuppelpfeiler, führte die Außenfaçaden der Querschiffe
und den Tambour der Kuppelauf und hinterließ für die Kuppel selbst Zeichnungen, nach welchen sie Giacomo della Porta und Domenico
Fontana unter SixtusVatikan (1585-90) ausführten. Seit 1604 leitete Carlo Maderna den Bau, ließ sich aber
durch PaulVatikan bestimmen, das Mittelschiff zu verlängern; dadurch erhielt der Grundriß die Form des lat.
Kreuzes; die Wirkung der Kuppel ist sehr beeinträchtigt. 1612 wurde die Façade (s. Tafel: Rom I,
[* 2]
Fig. 5) vollendet, 1626 die
Kirche von Urban VIII. geweiht.
Doch dauerte die Vollendung der Innendekoration, bei der namentlich Bernini thätig war, noch Jahrzehnte
lang. Bernini entwarf (1629) auch zwei Glockentürme zu den Seiten der Façade, von denen der eine ausgeführte bald wegen
des unsichern Baugrundes wieder abgetragen werden mußte, der andere nie in Angriff genommen ist. Unter Alexander VII. (1655-67)
führte Bernini die großartigen vierfachen Kolonnaden um den elliptischen Vorplatz der Kirche auf, welche
den Eindruck der Front wesentlich heben. Pius VI. baute 1776-84 den Palazzo della Sagrestia an der Südseite nach Carlo Marchionnes’
Entwurf hinzu. Die Kosten des Baues betrugen bis Ende des 17. Jahrh. über 200 Mill. M., die der Unterhaltung und Ausbesserung
belaufen sich auf etwa 150000 M. jährlich.
Die Peterskirche ist mit einem Flächeninhalt von 15160 qm die größte der Welt; die Länge beträgt mit Einschluß der
Vorhalle 211,5 m, die Breite
[* 21] der Façade 112,6 m. Die Façade ist 44,3, das Mittelschiff 46,2, die Kuppel innen 123,4, außen
bis zur Höhe des Kreuzes 132,5 m hoch; der Durchmesser der Kuppel ist 42 m, 1,5 m weniger als der des
Pantheons. Die fünf Eingänge der Front führen in die 71 m breite, 13,5 m tiefe und 20 m hohe Vorhalle, mit prachtvoller
Stuckdecke und anderm Schmuck; in der Eingangswand ein Mosaik nach Giotto (1298): La navicella (das «Schifflein»
Petri). Über der Vorhalle liegt die sog. Loggia della Benedizione, ein mächtiger saalartiger Raum (Höhe 22 m), der früher
öfter zur Abhaltung des Konklaves für die Papstwahl diente; vom Mittelbalkon dieses Saales wurde der Neuerwählte dem Volke
gezeigt, und spendete (bis 1870) am Osterfeste den Segen urbi et orbi.
Von der Vorhalle führen fünf Thüren ins Innere der Kirche (s. Tafel: Italienische Kunst III,
[* 2]
Fig. 2), die mittelste mit schönen
Bronzereliefs von Antonio Filarete (1439-45). Die Kirche hat 3 Schiffe,
[* 22] 10 Kapellen (je 3 neben dem
Langhaus, 4 um die Kuppelpfeiler)
und außer dem Hauptaltar 29 Altäre. Der Hochaltar unter der Kuppel wird von dem ungeheuern barocken TabernakelBerninis (29 m hoch; s.Tafel: Altäre II,
[* 2]
Fig. 5) überragt; darunter das von 89 ewigen Lampen
[* 23] umgebene Grab des Petrus. Unter
den Kunstwerken sind hervorzuheben: die sitzende Bronzestatue des Petrus, wohl ein Werk des 13. Jahrh., mit
Unrecht für altchristlich gehalten (s. Tafel: Altchristliche Kunst I);
In der Tribuna die kostbare, aber
geschmacklose Cathedra Petri von Bernini, ein Bronzegehäuse, das den alten hölzernen Bischofsstuhl des Petrus umschließt,
mit den Kolossalfiguren der vier großen Kirchenlehrer. Gemälde enthält die Peterskirche sehr wenige;
die großen Altarbilder (u. a. RaffaelsTransfiguration, Guercinos Beisetzung der heil. Petronella, Domenichinos Kommunion des
heil. Hieronymus, Guido Renis Erzengel Michael) sind seit dem vorigen Jahrhundert durch meisterhafte Mosaikkopien (von Cristofani)
ersetzt, da die Originale durch Feuchtigkeit zu leiden begannen. - Die Krypten (sog. Grotte Vaticane) unter der Kuppel und
dem Langhause enthalten zahlreiche Kunstwerke aus der alten Kirche, Papst- und Fürstengräber (u. a.
des deutschen KaisersOtto II., gest. 983, und Gregors Vatikan, des Vetters Ottos III., gest. 999). - Der Palazzo della Sagrestia,
ein sechsstöckiger Prachtbau, enthält außer den Sakristeiräumen die Wohnungen der Domherren, das Archiv und den Schatz
der Basilika
[* 24] (in letzterm schöne Kandelaber,
[* 25] angeblich von Michelangelo und Benvenuto Cellini, eine kostbare
Dalmatica, die Karl d. Gr. getragen haben soll, u. a.).
1. Statue des Petrus. 2. StatuePius’ VI. 3. Grabmal Pauls III. 4. Pietà von Michelangelo. 5. Kapelle des heiligen Sakramentes. 6. Grabmal
Sixtus’ IV. 7. Gregorianische Kapelle. 8. Madonna del Soccorso. 9. Denkmal Clemens’ XIII. 10. Kapelle
des Erzengels Michael. 11. Cappella della Colonna. 12. Clementinische Kapelle. 13. Grabmal Pius’ VII. 14. Chorkapelle. 15. Grabmal
Innocenz’ VIII. 16. Sagrestia comune. 17. Sagrestia dei canonici. 18. Stanza capitolare. 19. Sagrestia de’ beneficiati. 20. Kirchenschatz.
¶
mehr
Zu den Nebengebäuden der Basilika gehörten schon im frühen Mittelalter Wohnungen für den Bischof von Rom (episcopia, zuerst
erwähnt unter Papst Symmachus, 498-514), die aber mehr den Charakter eines Absteigequartiers hatten. Erst unter Eugen III.
(1145-53) und Nikolaus III. (1277-81) werden größere Bauten erwähnt. Da der lateranische Palast durch die
große Feuersbrunst von 1308 zerstört war, verlegten die Päpste nach der Rückkehr aus Avignon ihre Residenz nach dem Vatikan Johann
XXIII. verband (etwa 1410) den Vatikan durch einen bedeckten Gang
[* 27] mit der Engelsburg.
Nikolaus Vatikan (1447-55) faßte den Plan eines großartigen Neubaues, der die Wohnungen sämtlicher Kardinäle und die Geschäftsräume
aller päpstl. Behörden in sich begreifen sollte; doch kam in seiner kurzen Regierungszeit wenig davon zur Ausführung. Sixtus
IV. baute dann (1473) die Sixtinische Kapelle, daneben Alexander VI. ein festes Wohnhaus
[* 28] (Torre di Borgia: im Mittelgeschoß die
Appartementi Borgia, mit reichem Freskenschmuck, namentlich von Pinturicchio, im Oberstock die Wohnzimmer, stanze,
Julius II. mit den berühmten Fresken Raffaels). Auf einem 300 m nördlich von diesen Bauten gelegenen Hügel ließ Innocenz
VIII. nach den PlänenAntonio Pollajuolos eine Gartenvilla (il Belvedere) anlegen.
Julius II. hat das Verdienst, wie für die Peterskirche so auch für den Palast großartige Neuschöpfungen geplant und die
Ausführung in die Hand
[* 29] Bramantes gelegt zu haben. Dieser verband das Belvedere mit den Bauten Alexanders
VI. durch zwei riesige Langbauten, die einen in Terrassen aufsteigenden Garten
[* 30] einschließen sollten; ferner baute er, östlich
an die TorreBorgia anschließend, die Hallen (loggie), welche den sog. Hof
[* 31] des heil. Damasus einschließen und deren
oberstes Geschoß
[* 32] Raffael und seine Schüler mit reizenden, ornamentalen Wand- und Deckenfresken schmückten.
Durch Bramantes Bauten war Form und Ausdehnung
[* 33] des Palastes im wesentlichen gegeben, doch bauten die meisten folgenden Päpste
weiter daran. Sixtus Vatikan durchschnitt den großen GartenBramantes durch den Bibliotheksflügel und erbaute an der Ostseite des
Damasushofs den großen, den Petersplatz beherrschenden Palast, in dem noch jetzt der Papst residiert;
für das Antikenmuseum erbaute Pius VI., anschließend ans Belvedere, die Sala delle Muse, Sala Rotonda und Sala a croce greca,
später Pius VII. den Braccio nuovo (parallel der Bibliothek). So ist der Vatikan mit einer bebauten Fläche von
etwa 28000 qm (ausschließlich der großen Höfe und Gärten) der größte Palast der Welt, wenn auch die oft wiederholte Angabe,
daß er 11000 Räume enthalte, eine Fabel ist (in Wahrheit dürfte die Zahl 1000 kaum erreicht werden). -
Geymüller, Les projets primitifs pour la basilique de S. Pierre (Par. 1875);
Letarouilly und Simil, Le Vatican (2 Bde., ebd.
1882).
Das Vatikanische Museum gehört, was den Antikenbesitz anlangt, zu den ersten Sammlungen der Welt. Schon Julius II., Leo X.
und Paul III. hatten im Belvedere und im Garten des Vatikan antike Skulpturen aufgestellt; dieselben waren aber
in den Zeiten der Gegenreformation, unter Paul IV. und Pius Vatikan, bis auf einzelne hervorragende Stücke (Laokoon, Apollon, schlafende
Ariadneu. dgl.) zerstreut und verschenkt worden. Erst Clemens XIV. und Pius VI.
gründeten 1770-80 die jetzige Antikensammlung
(Museo Pio-Clementino), welche rasch wuchs und durch den berühmten Archäologen E. Q. Visconti geordnet
wurde.
Dieselben begründeten auch die Galleria lapidaria, die größte existierende Sammlung antiker, besonders röm. Inschriftsteine.
Pius VII. fügte das Museo Chiaramonti und den Braccio nuovo hinzu, Gregor XVI. das ägypt. und etrusk. Museum, PiusIX. das christl.
Museum unter Leitung G. B. de Rossis; die Bildung einer Sammlung mittelalterlicher Kunstwerke und kunstgewerblichen
Arbeiten ist zur Zeit im Werke. Die Sammlungen nehmen die mittlern Geschosse der großen Bramanteschen Korridore, ferner den
Braccio nuovo, das Belvedere und mehrere anschließende, eigens dafür erbaute Säle ein. Beschrieben sind die vatikanischen
Sammlungen von E. Q. Visconti (s. d.) in den Prachtwerken
Museo Pio-Clementino und Museo Chiaramonti; von Platner, Bunsen und Gerhard im 2. Bande der «BeschreibungRoms»; vgl. auch Michaelis
im «Jahrbuch» des Archäologischen Instituts (1890) und Helbig, Führer durch die öffentlichen Sammlungen klassischer Altertümer
in Rom (Bd. 1, Lpz. 1891).
Die von Pius VII. gegründete Gemäldegalerie bereichert durch die 1816 von den Franzosen zurückgegebenen
Bilder, die diese aus allen KirchenRoms zusammengebracht hatten, ist neben der GalerieBorghese die wichtigste Roms.
Das zuerst unter Damasus I. erwähnte päpstl. Archiv wurde aus dem Lateran in den Vatikan verbracht, wo es 11 Zimmer einnimmt.
Seine 2016 BändeRegister, Urkunden und Akten bilden eine unvergleichliche Fundgrube für die Geschichte
der ganzen Welt, namentlich seit 1198; ihre Benutzung wurde durch Leo XIII. auf Veranlassung des Kardinals Hergenröther in
rühmlichster Weise freigegeben.