Titel
Urteil
,
die unmittelbare (wie der
Schluß [s. d.] die mittelbare) Form der Begriffsverknüpfung, in welcher
darüber entschieden wird, ob und in welcher
Weise der eine
Begriff Merkmal des andern sei. Die
Begriffe
erscheinen im U. als
Subjekt
(S) und
Prädikat (P), d. h. als der, welcher sich der Bestimmung durch einen andern darbietet,
und als der, welcher diese Bestimmung selbst enthält. Das Zeichen der Verknüpfung oder Nichtverknüpfung ist die Kopula
(C), und da zu jedem
Satz
Subjekt,
Prädikat und Kopula gehören, so ist das logische Urteil
die wesentliche
Grundlage des grammatischen
Satzes.
Wird bei der
Einteilung der Urteile
bloß auf die Form gesehen, so lassen sich nach
Kant vier
Gesichtspunkte angeben. Je nachdem
das
Prädikat dem
Subjekt zu- oder abgesprochen oder scheinbar zugesprochen, in
Wahrheit abgesprochen wird, der
Qualität nach, werden bejahende, verneinende und sogen. »unendliche«
(limitative) Urteile
unterschieden. Je nachdem das
Prädikat von der ganzen
Sphäre des Subjektsbegriffs oder nur von einem
Teil desselben bejaht oder verneint wird, also der
Quantität nach, ist es ein allgemeines (universales), besonderes (partikulares)
oder ein Einzelurteil
(wenn das
Subjekt eine Einzelvorstellung ist). Je nachdem das
Prädikat dem
Subjekt
bedingungslos oder bedingt oder von je zwei entgegengesetzten
Prädikaten nur je eins zugesprochen wird, der
Relation nach,
ist das Urteil
kategorisch, hypothetisch oder disjunktiv. Je nachdem dasselbe mit dem
Bewußtsein der Thatsächlichkeit oder bloßen
Möglichkeit oder
Notwendigkeit gefällt wird, der
Modalität nach, ist das Urteil
assertorisch, problematisch
oder apodiktisch.
Wird dagegen der Erkenntniswert des Urteils
in Betracht gezogen, so gilt (nach
Kant) der Unterschied von analytischen Urteilen
,
bloßen Erläuterungsurteilen
, bei welchen das
Prädikat ganz oder teilweise bereits im
Subjekt enthalten ist, und synthetischen,
eigentlichen Erweiterungsurteilen
, bei welchen durch das
Prädikat etwas
Neues zum
Subjekt hinzukommt, und
die sich als solche auf
Anschauungen (»reine« oder »empirische«)
stützen müssen, wenn sie Anspruch auf
Wahrheit erheben wollen.
Erstere, zu welchen (nach
Kant) die mathematischen Urteile
gehören, sind von ihm als synthetisch-apriorische, letztere, die
Erfahrungsurteile
, als synthetisch-aposteriorische bezeichnet worden (s.
Kant, S. 468). Inwiefern außerdem eine große
Anzahl von
Prädikaten, die mit gewissen
Subjekten verknüpft werden, nicht bloß Merkmale der Subjektsbegriffe, sondern zugleich
Wertbestimmungen der
Dinge, Ereignisse und Verhältnisse enthalten, welche die Subjektsbegriffe bezeichnen, sind sehr viele
unsrer Urteile
zugleich Beurteilungen, d. h. Wertbestimmungen dessen, worüber geurteilt
wird,
daher »urteilen«
und »beurteilen«
häufig, aber fälschlich, als gleichbedeutend angenommen werden.
Vgl.
Bergmann, Grundzüge der
Lehre
[* 2] vom
Urteil
(Marb. 1876).
Im Rechtswesen wird der Ausdruck Urteil (Urteil, Bescheid, Erkenntnis, Sentenz) im allgemeinen für jede gerichtliche Entscheidung (s. d.) gebraucht, im engern Sinn aber nur für den auf Grund vorgängiger Verhandlung gefällten und verkündeten Richterspruch. Die deutsche Zivilprozeßordnung (§ 272 ff.) versteht unter Urteil ein durch vorgängige mündliche Verhandlung bedingtes Erkenntnis, im Gegensatz zu »Beschlüssen« und »Verfügungen«, worunter alle sonstigen Aussprüche und Anordnungen des Gerichts verstanden sind.
Urteile sind mündlich zu verkünden und zwar in der Regel unmittelbar und in demselben Termin, in welchem die mündliche Verhandlung stattfand. Wird die Verkündigung auf einen spätern Termin verschoben, so muß dieser sofort und zwar nicht über eine Woche hinaus anberaumt werden. Das Urteil soll enthalten:
1) die Bezeichnung der Parteien und ihrer gesetzlichen Vertreter nach Namen, Stand oder Gewerbe, Wohnort und Parteistellung;
2) die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Richter, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben;
3) eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitgegenstandes auf Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien unter Hervorhebung der gestellten Anträge (Thatbestand);
4) die Entscheidungsgründe (s. d.);
5) die von der Darstellung des Thatbestandes äußerlich zu sondernde Urteilsformel. Die Urteile im bürgerlichen Rechtsstreit zerfallen in End-, Teil- und Zwischenurteile. Endurteil ist ein Urteil, welches in endlicher Entscheidung den Rechtsstreit abschließt. Ist dies nur für einen Teil des Prozesses der Fall, so heißt es Teilurteil. Ein Urteil endlich, welches den Rechtsstreit weder ganz noch teilweise abschließt, sondern nur zur Entscheidung einer Vor- oder Zwischenfrage erlassen wird, heißt Zwischenurteil. Je nachdem das Urteil nach förmlicher Verhandlung mit beiden Teilen oder nur auf Antrag eines Teils gegen den abwesenden Gegner erlassen wird, ist es ein kontradiktorisches Urteil oder ein Versäumnisurteil. Bedingt heißt ein Urteil, wenn es die Entscheidung von einer Eidesleistung abhängig macht. Urteile sind rechtskräftig, wenn sie durch kein Rechtsmittel (s. d.) mehr angefochten werden können. Die Rechtskraft des Urteils ist die regelmäßige Voraussetzung ihrer Zwangsvollstreckung (s. d.).
Im Strafprozeß ist das Strafurteil (Straferkenntnis) die am Schluß der Hauptverhandlung ergehende Entscheidung. Auch die deutsche Strafprozeßordnung (§ 33 ff.) unterscheidet zwischen Urteilen, Beschlüssen und Verfügungen. Das Urteil lautet entweder auf Freisprechung oder auf Verurteilung oder auf Einstellung des Verfahrens. Letzteres ist dann der Fall, wenn bei einer nur auf Antrag zu verfolgenden strafbaren Handlung sich ergibt, daß der erforderliche Antrag nicht vorliegt, oder wenn der Antrag rechtzeitig zurückgenommen wurde.
Das Urteil muß die Urteilsformel und Urteilsgründe enthalten. Bei einer Freisprechung des Angeklagten muß aus den Urteilsgründen ersichtlich sein, ob derselbe für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene That für nicht strafbar erachtet worden ist. Bei einer Verurteilung des Angeklagten müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Thatsachen angeben, in welchen die gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung gefunden wurden. Die Urteilsgründe müssen sich ferner über die vom Strafgesetz besonders vorgesehenen Umstände, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, aussprechen, wofern derartige Umstände in der Verhandlung behauptet worden sind. Endlich müssen die Gründe das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz und die Umstände anführen, welche ¶
mehr
für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Am Schluß der Verhandlung wird das Urteil in öffentlicher Sitzung verkündet und zwar durch Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe (s. Öffentlichkeit). Die Eröffnung der Urteilsgründe geschieht entweder auch durch Verlesung oder durch mündliche Mitteilung ihres wesentlichen Inhalts. Es ist nicht erforderlich, daß die Urteilsgründe vor der Verkündigung bereits niedergeschrieben sind.
Nur wenn die Verkündigung des Urteils ausgesetzt war, müssen die Urteilsgründe vor derselben schriftlich festgestellt werden. Das Urteil mit den Gründen ist binnen drei Tagen nach der Verkündigung zu den Akten zu bringen, wenn es nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen ist. Es muß von den Richtern, welche bei der Entscheidung mitgewirkt haben, unterschrieben werden. Im schwurgerichtlichen Verfahren ergeht das Urteil auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen (s. Schwurgericht).
Vgl. Deutsche [* 4] Strafprozeßordnung, § 259 ff.