Die merkwürdigsten Gebäude der nach altreichsstädtischer
Weise eng u. unregelmäßig gebauten Stadt sind: das
Rathaus (15.
Jahrh.) mit dem Marktbrunnen (sogen. »Fischkasten«),
die ehemalige Komturei des
DeutschenOrdens (jetztKaserne), das sogen.
Palais (jetzt Sitz der Kreisregierung),
das
Zeughaus, Gouvernementsgebäude, mehrere
Kasernen und unter den
Kirchen besonders das protestantische
Münster,
[* 4] ein großartiger
gotischer
Bau in den reinsten Verhältnissen, an dessen
Restauration seit Jahrzehnten gearbeitet wird, und der demnächst seiner
Vollendung entgegensieht. Er bedeckt einen Flächenraum von 5100 qm und wird hinsichtlich seines
Umfangs
in
Deutschland
[* 5] nur von dem
Kölner
[* 6]
Dom übertroffen.
Das fünfschiffige, von mächtigen
Säulen
[* 7] getragene
Innere ist 139 m lang, 57 m breit und durch edle Einfachheit von erhebender
Wirkung; es enthält ausgezeichnete
Holzschnitzereien
(Chorstühle von
JörgSyrlin dem ältern),
Skulpturen,
Ölgemälde und Fensterglasmalereien
und eine 1856 erbaute, 1888 veränderte große
Orgel mit 100
Registern und 6286
Pfeifen. Das Mittelschiff
erreicht eine
Höhe von 41 m, die vier Seitenschiffe von je 23 m, das
Chor von 29 m. Der über dem prachtvollen Hauptportal
sich erhebende
Turm,
[* 8] welcher (das hölzerne Notdach nicht gerechnet) nur bis zur
Höhe von 75 m fertig
gebracht war, ist seit 1885 im
Ausbau begriffen und wird, nach dem Originalriß des
MatthäusBöblinger ausgeführt, eine
Höhe
von 151 m erreichen.
Der
Bau des
Münsters wurde 1377 begonnen und bis 1494 fortgeführt. Die beiden andern
KirchenUlms sind die
Heilige Dreifaltigkeitskirche
und die
katholische Kirche (mit sehenswerten
Skulpturen). Von neuern Bauwerken sind noch die 1832 vollendete
Donaubrücke
(Wilhelm Ludwigs-Brücke), die
Eisenbahnbrücke, mehrere
Schulhäuser, ein Schlachthaus und der
Bahnhof zu erwähnen.
Die
Bevölkerung
[* 9] betrug 1885 mit der
Garnison (ein Grenadierreg. Nr. 123, ein Infanteriereg.
Der lebhafte Handel, unterstützt durch eine Handels- undGewerbekammer, durch eine Reichsbanknebenstelle und mehrere Bankinstitute,
ist besonders Holz-, Produkten- und Speditionshandel. Unter den Messen und Märkten sind noch die Tuch- und Ledermesse sowie die
Fruchtmärkte von Bedeutung. An Bildungs- und andern öffentlichen Anstalten befinden sich dort: ein Gymnasium,
ein Realgymnasium, eine Realanstalt, eine Frauenarbeitsschule, eine landwirtschaftliche Winterschule, ein Verein fürKunst
und Altertum, eine Stadtbibliothek von 30,000 Bänden, ein Theater
[* 15] und ein Museum;
Geschichte. Ulm, in der Karolingerzeit ein königliches Hofgut mit einer Pfalz, wird zuerst 854 erwähnt
und wurde von Ludwig dem Deutschen und seinen Nachfolgern mehrfach zur Abhaltung von Reichsversammlungen benutzt. Seit 1027 ist
es als Stadt nachzuweisen und wurde bald Hauptstadt des Herzogtums Schwaben. Wegen seiner Anhänglichkeit an die Hohenstaufen
wurde Ulm 1134 von Heinrich dem Stolzen von Bayern
[* 18] niedergebrannt und geplündert. Doch erhob sich die Stadt
seit 1140 zu neuer Blüte
[* 19] und erscheint schon 1155 als Reichsstadt. 1274 erhielt sie dieselben Freiheiten wie Eßlingen.
[* 20]
Sie stand unter der Vogtei der Grafen von Dillingen, dann der von Württemberg.
[* 21] 1247 widerstand sie heldenmütig
dem GegenkönigHeinrichRaspe. 1331 trat sie in den Schwäbischen Städtebund und beteiligte sich auch 1376 an der Einigung
der schwäbischen Städte. Eine Belagerung durch KaiserKarl IV. in demselben Jahr blieb erfolglos. An dem Krieg von 1388 nahm
Ulm als Vorort des Städtebundes hervorragenden Anteil. Seine Blütezeit fällt in die zweite Hälfte des 14. Jahrh.,
wo es jedoch nur eine Bevölkerung von 20,000 Einw. und ein Gebiet von 926 qkm (17 QM.)
hatte.
1) Oberamt im württemb. Donaukreis, hat 415,33 qkm und (1895) 61865 (32649 männl., 29216 weibl.)
E. in 3 Stadt- und 34 Landgemeinden. (Vgl. Beschreibung des Oberamtes hg. vom königl. Statistischen Landesamt, 2 Bde., Stuttg.
1897.) -
2) Hauptstadt des württemb. Donaukreises, Oberamtsstadt im Oberamt und Festung, gegenüber von
Neu-Ulm (s. d.), am linken Ufer der Donau, die hier die Iller und Blau aufnimmt und für kleinere Fahrzeuge schiffbar wird,
in einer schönen und fruchtbaren Ebene, am Fuße der östl. Ausläufer der Schwäbischen Alb, liegt an den Linien Stuttgart-Ulm-Friedrichshafen
(197,6 km), Mergentheim-Crailsheim-Ulm (168,6 km), Ulm-Immendingen (145 km) der Württemb., Ulm-München
(146,4 km) und Ulm-Kempten (87,4 km) der Bayr. Staatsbahnen,
[* 24] ist Sitz der Kreisregierung, des Oberamtes,
eines Landgerichts (Oberlandesgericht Stuttgart)
[* 25] mit acht Amtsgerichten (Blaubeuren, Ehingen, Geislingen, Göppingen, Kirchheim
unter Teck, Laupheim, Münsingen, eines Amtsgerichts, Geueralsuperintendenten, Hauptzollamtes, einer Reichsbanknebenstelle,
Handels- und Gewerbekammer, eines Gouvernements, einer Kommandantur, der Kommandos der 27. Division, 53. und 54. Infanterie-
und 27. Kavalleriebrigade, einer Fortifikation, eines Artilleriedepots und Bezirkskommandos, und hat (1895) 39304 (22154 männl., 17150 weibl.)
E., darunter etwa 9900 Katholiken und 670 Israeliten, in Garnison das Grenadierregiment König Karl (5. württemb.) Nr. 123,
die Infanterieregimente König Wilhelm I. (6. württemb.) Nr. 124 und
das 9. württemb. Nr. 127, Stab,
[* 26] 1., 3. und 4. Eskadron des Ulanenregiments König Karl (1. württemb.) Nr. 19, das Feldartillerieregiment
König Karl (1. württemb.)
^[Wappen der Stadt Ulm]
Nr. 13 (außer der 4. Abteilung), das Fußartilleriebataillon Nr.
13 und das Pionierbataillon Nr.
13, ein Post- und ein Telegraphenamt. Zwei steinerne Brücken,
[* 27] worunter eine Eisenbahnbrücke, führen
nach Neu-Ulm. Die Stadt selbst ist eng, aber stattlich gebaut; großstädtisch ist die in neuerer Zeit erstandene Neustadt
[* 28] im Norden.
[* 29]
Gebäude. Das evang. Münster, 1377 begonnen, bis Anfang des 16. Jahrh. fortgeführt, 1844-90 neu hergestellt
und ausgebaut, ist eins der schönsten Denkmäler spätgot. Baukunst
[* 30] und zugleich die größte KircheDeutschlands
[* 31] nächst dem Kölner Dom. Die Kirche ist durch Teilung der Seitenschiffe (1507) fünfschiffig, im Innern 123,5 m lang und 48,75
m breit, auf einer überbauten Fläche von 7040 qm mit einem freien Raum von 5105 qm, der gegen 30000 Menschen
faßt. Das Mittelschiff ist 41 m, der Chor 17 m hoch.
Der mächtige Turm in der Mitte der Westfacade, mit dreiteiliger prächtiger Vorhalle, nach Plänen von Ulrich Ensinger (1392-99)
begonnen und von ihm und seinen Nachfolgern bis 1494 bis zum Abschluß des Vierecks (70 m) gefördert, wurde 1882-90
von Professor Aug. Bever nach dem alten, von dem letzten Münsterbaumeister Matthäus Bölblinger (1477-92) hinterlassenen
Aufriß durch Hinzufügung des Achtecks und der Pyramide ausgebaut. Mit 161 m Höhe ist er einer der höchsten Kirchtürme
der Welt.
Von andern Baumeistern sind zu nennen Matthäus Ensinger von 1446 an, Moritz Ensinger von 1465 bis gegen 1477 (Mittelschiff).
Nachdem der Münsterbau seit 1492 geruht, begannen die längst geplanten Restaurationsarbeiten. Münsterbaumeister
Thrän errichtete die fehlenden Strebepfeiler und Strebebögen von kolossaler Spannweite, Schell den äußern Chorumgang und
die zwei Chortürme (86 m hoch), Beyer den Hauptwestturm. Am wurde das 500 jährige Dombaujubiläum, das
Fest der Vollendung gefeiert.
Auch das Innere ist restauriert, der hölzerne Dachstuhl
[* 32] durch einen eisernen ersetzt. Sehenswürdigkeiten sind: die schönen
Glasfenster im Chor von Hans Wild (1480), vier ältere von 1417 und 1449, neuere seit 1878 im Chor, Süd- und Nordschiff aus
den Werkstätten von Zettler und Burkhard in München;
[* 33]
das 1469-74 von Jörg Syrlin dem Altern in Eichenholz
geschnitzte Chorgestühl, das schönste und reichste des ganzen spätern Mittelalters;
die Kanzel, um 1500 von Burkhard Engelberger
gefertigt, der Deckel der Kanzel aus Lindenholz von Syrlin dem Jüngern 1510;
das zierliche Altärchen in der Sakristei von 1484, angeblich
von M. Schön, und seit 1885 das große hängende Crucifix
[* 34] über dem Kreuzaltar, nach einem alten Original aus Syrlins Zeit
geschnitzt;
endlich eine Reihe kostbarer Gemälde von Martin Schaffner, Barthol, Zeitblom und andern
Meistern der Ulmer Schule, voran das erst 1877 aufgedeckte, von Weinmayer restaurierte kolossale und großartige Jüngste Gericht
über dem Triumphbogen, wohl von Hans Schühlein oder Herlin um 1470 ausgeführt.
Ferner besitzt eine evang. (Hospital-) Dreifaltigkeitskirche,
1617-21 von Martin Buchmüller erbaut, mit trefflichem Renaissancechorgestühl (1620), eine kath.
(Wengen-) Kirche, Synagoge (1873) in maur. Stil, ein Rathaus aus der gotischen und Frührenaissancezeit
mit alten, jetzt
¶
mehr
wiederher-52 gestellten Fresken, gegenüber einen schönen got. Brunnen,
[* 36] den sog. Fischkasten, das einzige bekannte steinerne
Skulpturwerk des ältern Syrlin (1482); das Ehinger- oder Neubronnerhaus mit prachtvollen Renaissancetäfelungen, jetzt Gewerbemuseum,
sowie das Bürglensche, von Schadsche, Fehlsche (früher Knoderersche) u. a. alte Privathäuser
mit Säulenhöfen, die Jacksche Apotheke, im Holzstil restauriert, das Kraftsche Haus, das Museum mit
altem Sgraffito, den NeuenBau, jetzt Kameralamt, an der Stelle einer kaiserl. Pfalz 1591 erbaut; die Komturei des Deutschordens,
1712-18 erbaut auf der Stelle des alten Ordensgebäudes (13. Jahrh.), jetzt teils Schwurgericht, teils Artilleriekaserne;
das Palais HerzogHeinrichs von Württemberg, seit 1839 Sitz der Kreisregierung, das Kornhaus, die Markthallen,
[* 37] das neue Justizgebäude und der neue Saalbau für Konzerte und Feste.
Von Unterrichtsanstalten bestehen ein königl. Gvmnasium mit Elementarschule, königl.
Realgymnasium und Realanstalt, eine Gewerbe-, Fortbildungs- und landwirtschaftliche Winterschule, Frauenarbeits-, höhere
Mädchen-, Knaben- und Mädchen-Mittelschule; ferner besitzt die Stadt ein städtisches Archiv, eine Bibliothek (36000 Bände,
seltene Werke des 17. und 18. Jahrh.) der Verein für Kunst und Altertum eine reiche Sammlung von Altertümern,
alten Bildern, Schnitzwerken, Rommelschen Thonfiguren zur Kostümkunde des 18. und 19. Jahrh.
und eine wertvolle Bibliothek.
Die Industrie erstreckt sich auf Leinwandbleicherei, Messinggießerei, Fabrikation von Werkzeugen, Hüten, Feuerspritzen
[* 38] und
Feuerlöschgerätschaften, landwirtschaftlichen Maschinen, Brauereieinrichtungen, Tabak, Goldleisten und
Stärke,
[* 39] sowie Brauereien; berühmt sind die Ulmer Pfeifenköpfe, das Zuckerbrot, Gemüse (Spargel), Gerste
[* 40] und Bier. ist einer
der bedeutendsten Handelsplätze Württembergs, besonders in Holz
[* 41] und Brettern. Im Aufschwung begriffen ist der Tuch- und Ledermarkt.
Außerdem besteht ein lebhafter Produkten- und Speditionsbandel sowie Donauschiffahrt. Die «Ulmer Schachteln»
(Schiffe)
[* 42] gehen (mit Aspbalt, Stärke u.s.w.) bis Wien.
[* 43] ist Sitz der landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft des württemb.
Donaukreises.
Befestigung. wurde 1841 Bundesfestung und von 1842 ab unter Leitung des prenß. Ingenieurobersten von Prittwitz in Neupreußischer
Befestigungsmanier (s.d.) befestigt. Den Brückenkopf bildet Neu-Ulm. Die Hauptfestung auf dem linken Donauufer zieht sich
mit langen geradlinigen Fronten von der Donau ober- und unterhalb bis auf das Plateau des nördlich, 4½ km vom Strome entfernt
liegenden Michelsberges, auf welchem die starke Wilhelmsfeste mit der Wilbelmsburg gewissermaßen eine Citadelle bilden.
Vor die Hauptumwallung vorgeschoben liegt ein Gürtel selbständiger Werke. Neu-Ulm hat vier Polygonalfronten und
sechs detachierte Forts, welche sich dem Gürtel des linken Ufers anschließen. Seit 1871 ist deutsche Reichsfestung, seit 1873 erweitert
und mit einem Gürtel detachierter Forts umgeben.
wird urkundlich zuerst 854 erwähnt und wurde schon im 12. Jahrh. Freie Reichsstadt des Schwäbischen Kreises, auf dessen
Versammlungstagen es den Vorsitz führte. Die Stadt hatte neben der Bevölkerung in ihren eigenen Mauern
ein Landgebiet von 640 qkm mit 38000 E. Gegen Ende des Mittelalters im Besitz großer Rechte, war sie stets eins der Hauptmitglieder
der Bündnisse in Schwaben (s. d.). An der Reformation
nahm sie Anteil durch Übertritt zum augsburgischen Bekenntnis kam 1803 an
Bayern, 1810 an Württemberg; 1805 wurde es, nachdem die Franzosen unter Napoleon und Ney 14. und 15. Okt. bei dem nahen Elchingen
gesiegt, 17. Okt. mit Kapitulation genommen und der österr. General Mack hier mit 26000 Mann kriegsgefangen.
Vgl. Jäger, U.s Verfassung u.s.w. im Mittelalter (Heilbr. 1831);
Grüneisen und Mauch, U.s Kunstleben im
Mittelalter (Stuttg. 1840);
Haßler, U.s Buchdruckergeschichte (Ulm 1840);
ders., U.s Kunstgeschichte im Mittelalter (Stuttg.
1864);