Tuchfabrik
ation,
die Herstellung von
Tuch (s. d.) aus dem durch Weben
[* 2] (s.
Weberei)
[* 3] hergestellten Rohgewebe, dem Loden.
Die Vorbereitung des Rohgewebes zur Tuchfabrik
ation besteht in einer sorgfältigen
Reinigung desselben durch Noppen
(s.
Appretur) zum Zweck der Entfernung von anhaftenden Fadenknötchen, Holzsplittern
u. dgl. und Waschen in alkalischen Laugen
zum Zweck der
Befreiung des Gewebes von dem beim
Spinnen
[* 4] der
Wolle verwendeten Fett und dem beim Weben gebrauchten Kettenleim.
Die Verfilzung der
Wollhaare erfolgt durch Walken,
d. i. eine kräftige mechan. Bearbeitung des Zeuges
durch Kneten,
Schieben und Drücken in einer mäßig erwärmten, schwach alkalischen oder Seifenlauge auf besonders hierzu
konstruierten, auch zum
Auswaschen des Gewebes benutzten
Maschinen, den Walkmaschinen oder Walken (s.
Appretur). Für kleine
Betriebe, insbesondere bei der Ausübung der Tuchfabrik
ation als Hausgewerbe, bestehen besondere
Walkmühlen (Filzmühlen), in denen das Walken
(Verfilzen) der Gewebe
[* 5] vollzogen wird.
Durch den Walkprozeß werden die Fäden des Gewebes aufgelockert und die Einzelhaare derselben so gegeneinander verschoben, daß sie sich infolge ihrer eigentümlichen Oberflächenbeschaffenheit gegenseitig umklammern und verfilzen. Hierdurch findet eine Verdichtung und Verdickung des Gewebes auf Kosten seiner ursprünglichen Länge und Breite [* 6] statt; man nennt dies das Einlaufen, Einwalken oder Krimpen des Lodens. Gute Tuche verlieren hierbei 25-36 Proz. ihrer Länge, 35-52 Proz. ihrer Breite.
Infolge der losern Drehung leisten die Schußfäden dem Einwalken einen geringern Widerstand als die harten Kettenfäden, woraus sich das stärkere Einlaufen des Gewebes in der Breitenrichtung erklärt. Die Entfernung der Walkflüssigkeit aus dem Gewebe wird erreicht, indem die alkalische Lauge allmählich durch reines Wasser ersetzt wird. Die nassen Tuche werden, auf Trockenrahmen ausgespannt (das Rahmen des Tuchs), entweder in freier Luft oder in geheizten Trockenkammern getrocknet und hierdurch für die fernere Bearbeitung durch Rauhen und Scheren [* 7] (s. Appretur) vorbereitet. Durch das Rauhen werden die verfilzten Fasern der Gewebeoberfläche teilweise aus ihrem gegenseitigen Verband [* 8] gebracht, so daß sie sich über die Gewebefläche erheben und hier einen Flor bilden, der nicht nur dem Tuche ein besonderes (sammetartiges) Ansehen verleiht, ¶
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son-1044 dern der auch durch erhöhten Abschluß der Luft im Innern des Gewebes die Wärmeleitungsfähigkeit desselben abmindert. Das Rauhen des Tuchs ist teils Handarbeit, teils Maschinenarbeit. Vorzugsweise wird dasselbe mit den Fruchtköpfen der Kardendistel vorgenommen, die für diesen Zweck entweder in ein mit der Hand [* 10] geführtes Kardenkreuz eingesetzt sind, oder die Umfläche der Trommel der Rauhmaschine [* 11] (s. Appretur) bedecken. Das einmalige Durchrauhen eines Gewebestückes nennt man eine Tracht.
Diese Trachten folgen in größerer oder geringerer Zahl unmittelbar aufeinander. Das Rauhen erfolgt stets in der Längenrichtung des Tuchs, so daß hierbei die emporgehobenen Haarenden gleichzeitig im Strich niedergelegt werden. Die Florhöhe der gerauhten Stücke ist keine gleichförmige, da die Rauhkarden die Haarenden auf verschiedene Längen aus dem Gewebe herausziehen. Infolgedessen werfen verschiedene Oberflächenteile das Licht [* 12] verschieden stark zurück; das Gewebe erscheint fleckig und streifig.
Dem Rauhen folgt daher das Scheren des Tuchs, d. h. das Abschneiden der durch Bürsten aufgerichteten Haarenden auf gleiche Länge mittels der Schermaschine, seltener durch Handarbeit. Durch wiederholtes Scheren wird auf der ganzen Gewebefläche ein vollkommen gleich hoher Flor erzeugt und damit die gleichmäßige Zerstreuung des von der Fläche zurückgeworfenen Lichts, also ein völlig gleichförmiges Ansehen derselben erzielt. Die Rückseite der Tuche wird entweder nicht oder nur schwach gerauht und mit wenig Schnitten geschoren.
Hierdurch bleibt die Filzdecke unversehrt und gewinnt der Stoff an Haltbarkeit. Bei zu starker Entblößung der Vorderseite während des Scherens oder durch nachträgliches Abreiben der Haardecke während des Gebrauchs, treten die Grundfäden des Gewebes hervor; man nennt derartige Tuche fadenscheinig. Abgesehen von dem Färben stückfarbiger Tuche bestehen die Vollendungsarbeiten in dem Heißpressen und Dekatieren (s. d.), wodurch der Oberfläche des fertigen Tuchs ein schöner matter Glanz erteilt wird und das Tuch so weit eingeht, daß späteres Durchfeuchten beim Gebrauch weder das Ansehen noch die Größe der aus dem Tuche gefertigten Kleidungsstücke beeinträchtigt.
Das Tuch heißt wollfarbig, wenn die zu demselben verwendete Wolle vor der Bearbeitung auf dem Wolf (s. Wollspinnerei) gefärbt, lodenfarbig, wenn das Färben mit dem Gewebe vor dem Walken vorgenommen, tuchfarbig, wenn der Stoff nach dem Walken oder sogar erst nach dem Scheren gefärbt wurde. Im allgemeinen mit der Herstellung der Tuche übereinstimmend ist die Herstellung derjenigen dicken rauhen Stoffe aus Streichwolle, die verschiedene Namen, wie Flocconné, Velour, Ratiné, Welloné, Perlé u.s.w. führen und zu Herrenwinterkleidern verwendet werden. Auch sie werden nach dem Weben gewalkt, gerauht und geschoren, dann aber meist noch frisiert oder ratiniert. Hierdurch wird wiederum eine teilweise Verfilzung der Haardecke hervorgebracht und die Oberfläche des Stoffes mit verschiedenen Reliefmustern, Knötchen, Wellenlinien u.s.w. bedeckt. (S. Appretur).
Die Tuchfabrik
ation ist ein altes deutsches Gewerbe, das aber zuerst in den Niederlanden den höchsten Grad der Vollendung erreichte. Am
Ausgang des Mittelalters waren als Tuchfabrik
anten die Deutschen, Niederländer und Italiener berühmt. Heute nehmen in der
Tuchfabrik
ation
neben Preußen
[* 13] und Sachsen,
[* 14] die durch ihre ausgezeichneten Wollen begünstigt sind, Österreich,
[* 15] Frankreich, England und Belgien
[* 16] eine hervorragende Stellung ein. Frankreich hat besonders in den an Belgien und Luxemburg grenzenden Teilen und in der Normandie
bedeutende Tuchfabriken.
Die deutsche Tuchfabrikation
ist in der preuß. und sächs.
Lausitz, andern Teilen von Sachsen und am Rhein am weitesten vorgeschritten.
Vgl. Stommel, Das Ganze der Weberei des Tuch- und Buckskinfabrikanten (2 Bde., Düsseld. 1883);
Ölsner, Lehrbuch der Tuch- und Buckskinweberei, (2 Bde., Altona [* 17] 1881);
Löbner, Praktische Erfahrungen aus der Tuch- und Buckskinfabrikation (3 Bde., Grünberg [* 18] 1891).