Titel
Tschudi
,
ältestes Adelsgeschlecht der
Schweiz
[* 2] im Kanton Glarus.
[* 3] Nachdem dasselbe 906-1288 das säckingische Meieramt besessen, erlangte
es durch
Jost Tschudi
, der mehr als 30 Jahre Glarus
als
Landammann vorstand und 1446 den
Sieg bei
Ragaz entschied, neues
Ansehen.
Sein Sohn
Johannes Tschudi
befehligte die
Glarner in den Burgunderkriegen und dessen Sohn
Ludwig Tschudi
in den Schwabenkriegen.
Des letztern jüngerer Sohn war
Ägidius (s. unten).
Vgl.
Blumer, Das
Geschlecht der Tschudi
von Glarus
(St.
Gallen 1853).
Bemerkenswert sind:
1) Ägidius (Gilg), Geschichtschreiber, geb. empfing seinen ersten Unterricht von Zwingli, damals Pfarrer in Glarus, studierte in Basel [* 4] u. Paris [* 5] und verfaßte 1528 eine »Beschreibung Rätiens«, welche gegen seinen Willen von Seb. Münster [* 6] gedruckt wurde. In verschiedenen hohen eidgenössischen und kantonalen Stellungen wirkte er anfänglich, obwohl der Reformation entschieden abgeneigt, eifrig im Sinn der konfessionellen Versöhnung. 1558 zum Landammann gewählt, nahm er jedoch als Haupt der katholischen Minderheit in Glarus allmählich eine schroffere Stellung ein.
Als er deshalb bei der
Neuwahl 1560 von der
Landsgemeinde übergangen wurde, widmete er sich bis zu seinem erfolgten
Tod fast ausschließlich der Vollendung seiner zwei großen Geschichtswerke, der »Gallia
Comata«, welche neben einer
Beschreibung des alten
Gallien namentlich die
Altertümer und Vorgeschichte der
Schweiz enthält,
und der viel wertvollern, bis 1470 reichenden »Schweizerchronik«, welche
bis auf
Joh. v.
Müller herab als Hauptquelle für die ältere Schweizergeschichte benutzt, aber erst
1734-36 zu Basel
gedruckt wurde (2 Bde.). Tschudis
Darstellung der Entstehung der
Eidgenossenschaft, die auf einer geschickten Verknüpfung
von
¶
mehr
Urkunden, sagenhafter Überlieferung und freier Erfindung des Autors beruht, ist jahrhundertelang die herrschende geblieben und
durch
Joh. v. Müller und Schiller europäisches Gemeingut geworden. Seit Kopps Forschungen dieselbe als Sage oder Roman haben
erkennen lassen, beruht der Wert der Chronik Tschudis
, abgesehen von ihrem litterarischen Verdienst, hauptsächlich auf den
zahlreichen, jetzt verlornen Urkunden, deren Wortlaut sie uns erhalten hat.
Vgl. Fuchs,
[* 8] Ägidius Tschudis
Leben und Schriften (St. Gallen 1805, 2 Bde.);
Vogel, Egidius Tschudi
als Staatsmann und Geschichtschreiber (Zürich
[* 9] 1856);
Blumer, Ägidius (im »Jahrbuch des Historischen Vereins Glarus" 1871 u. 1874);
Herzog, Die Beziehungen des Chronisten Ä. Tschudi
zum Aargau
(Aarau
[* 10] 1888).
2) Iwan von, geb. zu Glarus, seit 1846 Mitbesitzer der Verlagsbuchhandlung Scheitlein u. Zollikofer in St. Gallen, gest. daselbst, machte sich als Alpenforscher besonders verdient durch die Herausgabe eines trefflichen Reisehandbuchs: »Tourist in der Schweiz und dem angrenzenden Süddeutschland, Oberitalien [* 11] und Savoyen« (1855, 30. Aufl. 1888).
3) Johann Jakob von, Naturforscher, Bruder des vorigen, geb. zu Glarus, studierte in Leiden, [* 12] Neuchâtel, Zürich und Paris, später auch in Berlin [* 13] und Würzburg [* 14] Naturwissenschaft, bereiste 1838-43 Peru, [* 15] lebte seit 1848 auf seiner Besitzung Jakobshof in Niederösterreich, bereiste 1857-59 Brasilien, [* 16] die La Plata-Staaten, Chile, [* 17] Bolivia und Peru, ging 1859 als Gesandter der Schweiz nach Brasilien, wo er namentlich auch zum Studium der Einwanderungsverhältnisse die mittlern und südlichen Provinzen bereiste, kehrte 1861 zurück, ging 1866 als schweizerischer Geschäftsträger nach Wien [* 18] und wurde 1868 zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister daselbst ernannt.
Seit 1883 lebt er wieder auf seinem Gut. Er schrieb: »System der Batrachier« (Neuchât. 1838);
»Untersuchungen über die Fauna peruana« (St. Gallen 1844-47, mit 76 Tafeln);
»Die Kechuasprache« (Wien 1853, 3 Tle.);
»Ollanta, ein altperuanisches Drama, aus der Kechuasprache übersetzt und kommentiert« (das. 1875);
»Organismus der Khetsuasprache« (Leipz. 1884);
»Peru, Reiseskizzen« (St. Gallen 1846, 2 Bde.);
»Antiguedades peruanas« (mit Don Mariano de Rivero, Wien 1851, mit Atlas); [* 19]
»Reisen durch Südamerika« [* 20] (Leipz. 1866-69, 5 Bde.).
Auch bearbeitete er Winckells »Handbuch für Jäger« (5. Aufl., Leipz. 1878, 2 Bde.).
4) Friedrich von, Bruder der vorigen, geb. zu Glarus, studierte in Basel, Bonn [* 21] und Berlin Theologie, wurde 1843 Stadtpfarrer in Lichtensteig (Toggenburg), lebte seit 1847 als Privatmann in St. Gallen, übernahm dort seit 1856 verschiedene Beamtenstellungen, saß seit 1864 im Großen Rat, seit 1874 im Regierungsrat, wurde 1877 Mitglied des schweizerischen Ständerats und starb Er erwarb sich besondere Verdienste um das Erziehungswesen und führte den Kampf mit dem Klerus ebenso taktvoll wie entschieden.
Sein bekanntes Hauptwerk ist: »Das Tierleben der Alpenwelt« (Leipz. 1853, 10. Aufl. 1875; vielfach übersetzt),
ein auf eignen Forschungen und sorgfältigster Beobachtung beruhendes, auch sprachlich ausgezeichnetes Buch;
andre Schriften von ihm sind: »Der Sonderbund und seine Auflösung« (unter dem Pseudonym C. Weber, St. Gallen 1848);
»Landwirtschaftliches Lesebuch« (8. Aufl., Frauenfeld 1888);
»Der Obstbau und seine Pflege« (mit Schultheß, 4. Aufl., das. 1887).